Ole R. Börgdahl

Pyjamamord


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hatte, dass seine neuen Kollegen ihn schon suchen würden. Ich konnte seine derzeitige Situation wirklich nicht einschätzen und ich überlegte, ob ich nicht auch ein wenig schuld daran war.

      *

      Ich hatte mir seine Mail mehrfach durchgelesen. Ich hatte sogar überlegt, es etwas umzuschreiben, war am Ende aber zu dem Schluss gekommen, dass man gar nichts mehr unternehmen sollte. Anstatt mich nicht mehr zu melden und Bruckner damit zu signalisieren, dass ich seinen Vorschlag ablehnte, schrieb ich ihm wenigstens eine Antwort. Ich feilte lange daran, weil ich auch erreichen wollte, dass er selbst davon überzeugt war, noch abzuwarten. Eine Stunde später schickte er ein Einfaches Danke zurück.

      Ich hörte über eine Woche nichts mehr von Bruckner. Ich hatte mir zwei-, dreimal ein Exemplar von Hamburg Direkt gekauft und dabei Stirnrunzeln bei Frau Sievers ausgelöst. Das Einzige, was es mir brachte, waren Tipps für billige Tankstellen in allen Hamburger Bezirken. Eine Antwort auf meinen Leserbrief fand ich nicht und ich fand auch nichts, was von Bruckner stammen konnte. Er hatte sich zurückgehalten. Am Vormittag war ich zu mehreren Objekten unterwegs, hatte einige Termine mit Kaufinteressenten für eine Doppelhaushälfte in Bahrenfeld. Ich kam auch an der ehemaligen Tierarztpraxis vorbei. Ich hielt kurz an, stellte sogar den Motor ab. Das Haus stand noch immer leer. Aus dieser Sache war Bruckner offenbar noch als großer Held hervorgegangen, obwohl der Haupttäter nie zur Rechschaft gezogen werden konnte. Und wieder war ich es, der daran nicht ganz unschuldig war. Es gab nur einen Trost, es hatte Bruckner und mir das Leben gerettet. Ich startete den Motor, der kraftvoll aufheulte, und fuhr weiter. In unmittelbarer Nähe zur Trabrennbahn fand ich einen Italiener und beschloss dort zu Mittag zu essen. Als ich schon beim Kaffee war, versuchte mich Frau Sievers zu erreichen. Ich nahm nicht ab, weil ich ohnehin in der nächsten halben Stunde wieder im Büro sein wollte. Als ich dort schließlich ankam, war Frau Sievers nicht mehr im Haus. Auf meinem Schreibtisch fand ich keinerlei Notiz. Mit ihrem Anruf hatte sie sich wahrscheinlich nur abmelden wollen. Ich ging in die Küche, um mir einen Kaffee zu holen. Als ich an Gustavs Büro vorbeikam, hörte ich, dass er Besuch hatte. Ich blieb kurz stehen, nicht um zu lauschen, sondern, weil mir die Stimme seines Gastes bekannt vorkam. Ich brauchte nicht lange zuzuhören. Bruckner! Ich zögerte kurz, klopfte an und trat sofort ein. Sie unterbrachen ihr Gespräch, Bruckner drehte sich zu mir um, Gustav sah mich an.

      »Da bist du ja! Frau Sievers konnte dich nicht erreichen, da habe ich mich um den Herrn Hauptkommissar gekümmert.«

      »Oberkommissar!«, korrigierte Bruckner meinen Schwiegervater. »Am Hauptkommissar arbeite ich noch, allerdings ziemlich erfolglos.«

      Gustav nickte eifrig. »Wird schon, wird schon!«

      In diesem Moment fragte ich mich, worüber die beiden Männer gesprochen hatten. Bruckner stand von seinem Stuhl auf, nahm seinen Mantel in die Hand, der auf seinem Schoß gelegen hatte, und gab meinem Schwiegervater die Hand.

      »Dann möchte ich mich schon mal verabschieden und entschuldigen Sie, dass ich Sie aufgehalten habe.«

      »Nein, nein, war mir ein Vergnügen.« Gustav erhob sich ebenfalls. »Ich habe ja Zeit«, sagte er, während er seinen eigenen Mantel aus dem Schrank holte. »Mir kommt es auf ein Stündchen mehr oder weniger nicht an.«

      Wir verließen gemeinsam den Raum. Gustav ging zum Empfang, nahm noch ein paar Unterlagen vom Tresen und strebte der Ausgangstür zu. Wir sahen ihm nach, gingen dann aber in mein Büro. Wir nahmen in der Sitzecke Platz. Bruckner legte seinen Mantel über die Lehne des freien Stuhls und atmete einmal tief durch.

      »Netter Mensch!«, sagte er schließlich. »Ich denke, Sie haben wirklich eine nette Familie.«

      »Ich bin aber selbst auch ganz schön nett«, erwiderte ich.

      Bruckner nickte. »Stimmt, und das nicht nur, weil Sie so viel Geduld mit mir haben.«

      »Sie sind besser drauf, als in der vergangenen Woche«, stellte ich fest. »Und dabei ist Ihr HSV in München doch mit neun zu zwei Toren untergegangen.«

      Bruckner schüttelte mit dem Kopf. »Wichtigkeit! So etwas lässt mich im Moment kalt, ist mir sogar völlig egal, und das hat auch einen Grund. Erstens habe ich mir mein Büro zurückgeholt. Ich sitze wieder in meiner Sternspitze.«

      »Im Polizeipräsidium am Bruno-Georges-Platz?«, fragte ich.

      »Ja und das habe ich Ihnen zu verdanken, zumindest den Ruck, den ich brauchte, um es durchzusetzen.«

      »Bitte, bitte, aber wie ist es dazugekommen?«

      »Sie haben mich doch gefragt, ob ich suspendiert sei?«

      »Entschuldigen Sie, aber das sah ein bisschen danach aus, nach dem, was Sie so über Ihre derzeitige Arbeit erzählt haben.«

      »Tja, das habe ich meinen Chef auch gefragt, ob ich suspendiert sei. Wenn ja, solle er mir das schriftlich geben, weil ich dann etwas Besseres mit meiner Zeit anzufangen hätte. Wenn nein, sollte er mich meine Arbeit machen lassen.«

      »Und was hat Ihr Chef gesagt?«

      »Er hat rumgedruckst. Ich habe meine Frage wiederholt und er hat Nein gesagt: Nein, sie sind nicht suspendiert. Das war am Gründonnerstag. Gestern bin ich wieder in mein Büro eingezogen. Ich habe dem vorübergehenden Mieter über Ostern Zeit gegeben, das Feld zu räumen und außerdem habe ich meinem Chef gesagt, dass ich Anlass sehe, im Falle der aufgefundenen Schaufensterpuppen auf ein Gewaltverbrechen zu ermitteln.«

      »Oh! War das nicht etwas voreilig?«, fragte ich.

      Bruckner schüttelte den Kopf. »Ich habe es ihm ja erst heute Morgen mitgeteilt, und zwar nachdem ich ...«

      Bruckner wandte sich kurz von mir ab und griff nach seinem Mantel. Er zog eine zusammengefaltete Zeitung aus der Tasche im Innenfutter und legte sie vor mich auf den Besprechungstisch.

      »Ich gehe davon aus, dass Sie es noch nicht gesehen haben«, sagte er schließlich.

      Ich beugte mich vor. »Es gab eine Antwort auf den Leserbrief?«

      »Das kann ich noch nicht sagen.« Bruckner faltete die Zeitung auseinander, blätterte auf die Seite zwei. »Für die Titelseite hat es nicht gereicht, aber das ist vielleicht ganz gut so. Lesen Sie!«, forderte er mich auf.

      Ich nahm die Zeitung vom Tisch, lehnte mich in meinem Stuhl zurück und las den Artikel. Ab und zu blickte ich von der Zeitung auf. Bruckner sah mir grinsend zu.

      »Da steht Ihr Name«, sagte ich schließlich. »Haben Sie doch noch an das Blatt geschrieben?«

      »Nein, nein, das haben die selbst herausgefunden, dass ich den Fall bearbeite. Ich weiß nicht wie, aber da gibt es Wege, und nachdem sie meinen Namen hatten, wussten sie ja auch, zu welchem Resort ich gehöre. Die haben mich wenigstens gleich richtig eingeschätzt, aber das ist eine andere Sache.« Bruckner lächelte. »Und, was halten Sie von dem Geschreibe?«

      »Schlecht einzuschätzen, da werden eine Menge Fakten erwähnt. Wie weit war die Presse denn über die Spurenlage an den Fundorten der Schaufensterpuppen informiert?«

      »Ja, ja, das ist ein Punkt«, sagte Bruckner schnell. »Das ist mir auch sofort aufgefallen. Ich habe noch nicht alles überprüft, aber zum Beispiel die Kleidermarke und die Konfektionsgröße des seidenen Pyjamas. Das kann nur ein Insider wissen.«

      »Verstehe, entweder hat dieser ...« Ich bemühte noch einmal die Zeitung, suchte das Pseudonym unter dem Artikel. »... hat dieser ARTUS einen Polizeiinformanten ...«

      »Oder er hat Kontakt zu dem oder den Tätern«, ergänzte Bruckner mich.

      »ARTUS! Sie haben sich in den letzten zwei Wochen doch mit Hamburg Direkt beschäftigt, was hat dieser ARTUS denn sonst so veröffentlicht?«

      »Das weiß ich nicht, müsste man noch mal recherchieren.« Bruckner tippte auf die Zeitung. »In der Ausgabe hier hat er aber nur diesen einen Artikel geschrieben.« Bruckner hatte auf einmal seine E-Zigarette zur Hand. Er nahm einen tiefen Zug, wie bei einer richtigen Zigarette. »Was halten Sie von der anderen Geschichte, die in dem Artikel erwähnt ist?«

      Ich