K. Ingo Schuch

Armadeira


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gegeben. Ein säuerlicher Geruch hing in der Luft. Dutzende Fliegen schwirrten umher. Sein Magen protestierte und er machte einen großen Schritt um die Lache. Aus der Brusttasche zog er die Zigaretten-Packung und zündete sich eine an. Er blickte sich in dem Raum um. An den Wänden hingen einige vergrößerte und gerahmte Fotos. Zwei blonde Kinder, mal in Winterkleidung vor einer Bergkulisse, mal mit ihren Eltern abgelichtet, im Hintergrund das Meer und Backsteinhäuser. Wahrscheinlich eine europäische Stadt.

      Auf dem Holzfußboden vor der Sitzgruppe war mit Kreide der Umriss eines Menschen eingezeichnet. Kein Blut.

      Ein junger Mann in Designerjeans und einem neongrünen T-Shirt mit einem Alienkopf und dem Aufdruck CANTINA BAR MOS EISLEY löste sich aus einer Gruppe von Uniformierten, die rauchend auf der Terrasse und im Garten herum standen und schlurfte auf ihn zu. Seine Frisur entsprach der aktuellen Mode, das heißt sie wirkte, als sei er gerade aus dem Bett gekrochen. Er sah nicht wirklich aus wie ein Kriminalbeamter, eher könnte man ihn sich hinter der Konsole eines Computerspiels vorstellen.

      »Chefe. Gut, dass Sie da sind. Die ganze Sache geht mir langsam auf den Zeiger« sprach er mit einem zweifelnden Blick auf den Knitterlook seines Vorgesetzten.

      Teixeira grunzte: »Was machen die ganzen Dorfsheriffs hier? Die sollen weiter Verkehrssünder auf der Rio-Santos erschrecken. So, Vanderlei, nun erkläre noch mal in Ruhe, wofür ich mich bei der Affenhitze stundenlang ins Auto gesetzt habe. Ist das ein Scheiß-Verkehr! Ich nehme an, du bist mit deinem Reiskocher wesentlich schneller durchgekommen. Meine Klimaanlage streikt schon wieder. Wer von den Typen da ist der Tote? «

      »Sehr lustig. Die Leiche hat man erst mal nach Bertioga in die Krankenstation gebracht. Heute Abend soll sie nach São Paulo in die Gerichtsmedizin überführt werden, aber dafür müssen sie erst einen Kühlwagen auftreiben. Bis dahin musste der Bestand des Supermarkts an Crushed ice herhalten, der nicht sehr groß war. Diese Strandtypen sind ja hier so rückständig« seufzte er.

      Vanderlei zog sein Smartphone aus der Tasche und tippte wild auf dem Display herum. Teixeira kannte sich mit dem modernen Zeug nicht aus. i-phone, i-Pad, Blackberry. Wo sollte der Vorteil darin liegen, dass man seine Notizen in so ein Ding eintippte, zumal er mit seinen Wurstfingern wahrscheinlich niemals die richtigen Tasten treffen würde? Wobei die Telefone noch nicht einmal mehr Tasten hatten, sondern so komische bunte Symbole, Icons. Spielzeug. Er hatte sich nach Jahren mit seinem alten Klapphandy arrangiert und im Büro musste er notgedrungen auch mit einem PC arbeiten. Ansonsten versuchte er, unwichtige Informationen schnell zu vergessen und wichtige in seinem Kopf aufzubewahren.

      Der junge Ermittler hatte gefunden, wonach er gesucht hatte.

      »José Gabriel Tavares, geboren am 28.06.1958 in Mogi Das Cruzes. In der Schale auf dem Schränkchen da drüben lagen seine Papiere zusammen mit den Autoschlüsseln. Ich habe inzwischen etwas recherchiert. Er war der Sohn eines Kommunalpolitikers. Nach seinem Wirtschaftsstudium in São Paulo verschlug es ihn nach Pará. Er heuerte in den Achtzigern bei Indústria Millers an und machte in dem Unternehmen Karriere. Zuletzt war er für das Europageschäft verantwortlich und er war Sprecher der Vereinigung der Holzbetriebe in Pará. Nebenbei war er Mitglied der PT. Ihm werden sehr gute Kontakte zur Parteispitze nachgesagt. «

      Partido dos Trabalhadores war die Partei des brasilianischen Präsidenten, dessen zweite Amtszeit in wenigen Tagen auslaufen würde. Seine Wunschnachfolgerin Dilma hatte vor einigen Wochen die Stichwahl gewonnen. Nun war auch klar, warum der Geral sich in die Sache eingeschaltet hatte. Der Leiter der Mordkommission war bekanntermaßen ebenfalls in dem Verein.

      Vanderlei fuhr fort: »Das Haus gehört einem gewissen Gerhart Wagner, ein mittlerweile pensionierter, ehemaliger Direktor von Volkswagen. Ich habe vorhin mit seiner Haushälterin telefoniert und ihm ausrichten lassen, dass er mich zurückrufen soll, wenn er nach Hause kommt. Sie sagt, er sei Tennis spielen. Dieser Wagner ist übrigens fast ein Nachbar von Ihnen. Então, was wir bislang wissen, ist dass eine gewisse Flora Maria da Fonseca heute Morgen hier das Strandhaus sauber machen wollte. Sie ist bei einer Reinigungsfirma angestellt, die hier im Ort die ganzen pousadas und einige von den privaten Ferienhäusern in Ordnung hält. Senhora da Fonseca hat einen Schlüssel und ist hinten zur Küchentür rein, wie sie sagt. Wie üblich fängt sie in der Küche an, wäscht die paar Teller und Gläser ab, die Sie draußen neben der Spüle sehen könnten, bringt den Müll raus und so was. Dann schnappt sie sich das Putzzeug und arbeitet sich zum Wohnzimmer vor. Hier muss sie dann den Toten gesehen haben, rennt völlig aufgelöst zwei Männern einer privaten Sicherheitsfirma vors Auto und fällt erst mal in Ohnmacht. Da hinten sitzt sie bei dem Kerl mit der schwarzen Kappe. «

      Teixeira warf die Kippe in den Putzeimer, zog ein fleckiges Taschentuch aus der Hosentasche und wischte sich den Schweiß vom Nacken. Es war mittlerweile kurz vor eins und die Sonne stand hoch am wolkenlosen Himmel.

      »Bom, jetzt weiß ich, dass die Gute den Toten findet, aus dem Haus rennt und umfällt. Hat Fernanda am Telefon nicht irgendwas davon gesagt, dass die Leiche irgendwie ungewöhnlich aussah? Kennen wir inzwischen die Todesursache? «

      Vanderlei verzog das Gesicht. »Der Arzt sagt, dass Tavares sehr wahrscheinlich vergiftet wurde, wobei er noch nicht sagen konnte, womit. Seiner Meinung nach lag Tavares hier schon ein paar Tage, dem Grad der Verwesung nach zu urteilen. Das ist aber noch nicht alles. Seinem pinto muss etwas widerfahren sein, was die Reaktion der guten Flora Maria erklärt. «

      Vanderlei sprach den Befund aus, als säße er auf dem Zahnarztstuhl und der Bohrer läge schon am Nerv.

      Teixeira grunzte: »Kannst du dich vielleicht etwas deutlicher ausdrücken? Vergiftet? Und was ist das für eine Scheiße mit seinem besten Stück? «

      Vanderlei drehte sich um und wedelte die ältliche Matrone und einen Mann zu sich, der die Phantasieuniform eines privaten Wachdienstes trug. »Wärt ihr so freundlich, dem delegado hier noch einmal zu erzählen, wie das war, als ihr den Verblichenen gefunden habt? «

      Der Mann sah aus, als hätte er seit einigen Nächten nicht geschlafen. Er hatte dunkle Augenränder und eine ungesunde Gesichtsfarbe. Man sah ihm an, dass er lieber zuhause Geschenke einpacken würde, als den ganzen Polizisten hier die Geschichte wieder und wieder zu erzählen. Er trat unruhig von einem Bein aufs andere. Die Frau sah eingeschüchtert von einem zum anderen und schwieg.

      »Senhor delegado, mein Kollege Henrique da hinten und ich saßen in unserem Auto draußen an der Straßenecke, unsere Schicht war beinah vorbei, als diese Frau auf uns zu gerannt kam und dabei wie eine Furie gebrüllt hat und sich immer wieder umgeblickt hat als sei der Leibhaftige hinter ihr her. Direkt vor meinem Fenster hat sie dann die Augen verdreht und ist auf die Straße gefallen. Ich hab’ die Tür nicht aufgekriegt und Henrique musste erst ums Auto ’rum gehen und die Frau weg zerren, ne? Wir ham’ dann über Funk den Krankenwagen gerufen und ich bin dann zu dem Haus hier gegangen, weil ich doch wissen wollte, was die Arme so erschreckt hat, ne? «

      Jetzt rief die Matrone dazwischen: »Ai, que coisa. Da spricht dieser Mensch hier als wenn ich nicht dabei gewesen wäre. Natürlich habe ich gerufen. Ich wollte ja schließlich, dass jemand kommt und sich das mit ansieht. Und dass mir dann etwas schwindlig geworden ist, kann man doch auch verstehen, nicht? Man findet ja nicht jeden Tag einen Toten und dann auch noch so nackt und sein ... «

      Sie blickte verschämt zu Boden. Teixeira war sich sicher, dass sie noch für Wochen und Monate was zu erzählen hatte.

      Der Wachmann fuhr mit seinem Bericht fort: »Die Hintertür war offen. Ich hab’ gerufen, aber es hat sich niemand gemeldet. Es hat ganz komisch gerochen. Letzte Woche lag auf der Straße vor dem Haus, wo ich mit meiner Familie wohne, ein toter Hund. Der hat auch so gestunken. Ich bin dann rein gegangen und da habe ich den armen Kerl dann liegen sehen, ne? « Er deutete über die Schulter auf die Kreideumrisse auf dem Fußboden. »Als ich den da so liegen sah, musste ich erst mal kotzen, ne? Der Typ war ganz schwarz und aufgequollen. Am schlimmsten war aber, dass der unten rum ganz komisch aussah, irgendwie aufgeplatzt. «

      Die empregada zerzauste sich die Haare und rief dazwischen: »Ai, o Delegado, wie der aussah! « Sie ließ die Männer im Unklaren, ob DER sich auf den