K. Ingo Schuch

Armadeira


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der Ecke. Durch ihre schiere Größe sah sie eindeutig bedrohlich aus. Daneben musste man schon sehr genau hinsehen, um die einige Zentimeter kleine Gartenspinne auf dem Boden zu entdecken.

      Dann kam der Glaskasten, den Teixeira gesucht hatte. An der Scheibe saß eine Spinne in der Größe einer Kinderhand. Auf dem Schild stand, dass es sich um eine Armadeira handelte und das Tier eine Länge von fünfzehn Zentimetern erreichen konnte.

      »Vixe Maria! « entfuhr es Vanderlei. Teixeira ging ganz nahe heran und versuchte, so etwas wie Kontakt mit den verwirrend zahlreichen Augen der Spinne herzustellen. »Bist du unser Mörder oder nicht? « flüsterte er.

      Das Tier ignorierte ihn.

      Vom Butantan aus fuhren sie über die Rod. Régis Bittencourt weiter nach Embu, das wegen seiner vielen Kunsthandwerker auch Embu das Artes genannt wurde. Die Galerie lag der Beschreibung nach gleich neben einer churrascaria in einer schmalen Gasse. Selbstverständlich konnte Teixeira nicht darauf verzichten, seinem Assistenten die Spare Ribs zu empfehlen, die man hier mit einer ganz besonders köstlichen Soße servierte.

      Anna do Nascimento musste einmal eine sehr attraktive Frau gewesen sein. Sie mochte Anfang vierzig sein. Ihre blondierten Haare ließen am Scheitel erkennen, dass sie ursprünglich brünett war. Sie hatte geweint. Die Falten um den Mund und die Augen zeugten davon, dass sie auch die Schattenseiten des Lebens kannte. Sie trug Leggings und darüber ein gehäkeltes Kleid, das ihre Figur betonte.

      Sie saß in ihrer kleinen Galerie hinter einem einfachen Tisch. An den Wänden waren dutzende Bilder unterschiedlichster Stile ausgestellt. Neben einem Takebayachi hingen die typischen kugelförmigen, naiven Figuren aus Bahia. Dazwischen schwärmerische Darstellungen von Indios bei der Ausübung handwerklicher Tätigkeiten. Auf dem Boden standen einige Schnitzereien und Skulpturen. Teixeira fragte sich, warum Wagner den Laden noch nicht komplett aufgekauft hatte, aber wahrscheinlich war es doch anregender, wenn man als Sammler solche Dinge in irgendwelchen Winkeln des Landes ergatterte.

      Sie sprach völlig akzentfrei, ihre Stimme verriet die starke Raucherin.

      »Senhores. Bitte entschuldigen Sie, dass Sie stehen müssen. Wie Sie sehen, ist hier nicht viel Platz. Sie kommen wegen José, sagen Sie? Ich kann es noch immer nicht fassen, dass er tot sein soll. Heide, Senhora Wagner, hat mich schon vorgewarnt, dass Sie mich wahrscheinlich aufsuchen würden. Was hat die Polizei damit zu tun? Sie scheinen der Ansicht zu sein, dass es kein Unfall war? Heide hat mir nur gesagt, dass José in ihrem Strandhaus tot aufgefunden wurde und er möglicherweise von einer Spinne gebissen wurde. «

      Teixeira räusperte sich. »Senhora do Nascimento, leider müssen wir davon ausgehen, dass Tavares ermordet wurde.«

      Dona Annas Lippen zitterten, dann fing sie plötzlich an zu weinen.

      »Bitte, hier nennen mich alle Dona Anna «, schluchzte sie »Sie machen mir Angst. Um Himmels willen, ermordet? «

      Auch nach Jahren im Dienst war es nie einfach, die Nachricht von einem gewaltsamen Tod zu überbringen. Neben der nackten Tatsache, dass eines Menschen Existenz geendet hatte, war es immer noch schwerer zu akzeptieren, wenn es sich um ein Verbrechen handelte.

      Teixeira wunderte sich nur etwas über die Reaktion. Es schien, als seien Tavares und Dona Anna mehr als Bekannte gewesen. Er reichte ihr sein fleckiges Taschentuch. Sie schnäuzte sich und schien sich zu zwingen, die Fassung wieder zu erlangen. Dann griff sie nach der Zigarette, die Teixeira ihr hinhielt und lies sich Feuer geben. Er steckte sich auch eine an. Vanderlei zog missbilligend die Augenbraue hoch. Er rauchte und trank nicht, allenfalls genehmigte er sich ab und an mal ein Bierchen.

      »Bitte entschuldigen Sie. José war ein guter Freund. Wir kannten uns seit vielen Jahren. Sagen Sie mir, was Sie wissen. «

      »Dona Anna. Bislang wissen wir nichts über die genauen Todesumstände. Offenbar ist er tatsächlich an Spinnengift gestorben, aber gewisse Indizien sprechen dafür, dass hier Fremdeinwirkung im Spiel war. Momentan interessiert uns, was Tavares in Juquehy wollte. Wann hat er Kontakt mit Ihnen aufgenommen und was hat er Ihnen erzählt? «

      Sie richtete sich energisch auf, hängte ein Schild mit der Aufschrift FECHADO in die Tür und schloss ab.

      »Kommen Sie bitte. « Sie ging durch den angrenzenden Raum, der wohl als Lager, Packstation und Rumpelkammer in Einem diente und stieg vor ihnen eine schmale Treppe hoch.

      Vanderlei warf Teixeira einen anerkennenden Blick zu, der sich offensichtlich auf Dona Annas Hinterteil bezog. Teixeira drohte ihm mit der Hand. Das Obergeschoss beherbergte Dona Annas Wohnräume. Im kleinen Esszimmer bot sie den Polizisten Sitzplätze an. Die Wände waren schmucklos weiß getüncht. Aus einer antiken Kommode holte sie einen Karton und stellte ihn vor sich auf den Tisch. Er enthielt Erinnerungen in Form von hunderten Fotos auf Papierabzügen und auf verschiedenen Speichermedien, von CDs bis zu Speicherchips. Etliche Bilder schaute sie kurz an und legte sie zur Seite, bis sie fand, wonach sie gesucht hatte.

      »Das ist José mit meinem Ex-Mann Francisco. Das muss irgendwann in den Neunzigern gewesen sein. «

      Teixeira nahm das Foto in die Hand und reichte es dann weiter an Vanderlei. Es zeigte zwei Männer beim Fischen vor einem breiten Fluss. Man konnte nicht erkennen, wo das Bild aufgenommen wurde. Vielleicht der Amazonas oder ein Nebenfluss.

      »Ich habe José ungefähr ein Jahr vorher kennen gelernt. Francisco arbeitete damals als Berater für die Holzindustrie und machte irgendeine Analyse bei Millers in Josés Abteilung. Sie haben sich von Beginn an sehr gut verstanden und sind auch mal ein Bierchen trinken gegangen. Irgendwann kamen dann auch wir Ehefrauen mit ins Spiel und bald verbrachten wir manche Abende gemeinsam und sind zusammen auch mal in den Urlaub gefahren. Das lief einige Jahre so, bis dann die saudumme Sache passiert ist, an die ich zu dem Zeitpunkt niemals gedacht hätte. Hier. Das war Silvester Neunundneunzig. Das Datum vergisst man nicht. Den Jahreswechsel verbrachten wir gemeinsam in Johnny’ s Restaurant in Juquehy. Wir wohnten in den Neunzigern in Belém, aber Francisco stammt ursprünglich aus Sorocaba und wir kamen hier her, sobald wir es einrichten konnten. Er hat Familie hier. Später sind wir dann auch nach São Paulo gezogen. «

      »Sie waren gemeinsam in Juquehy? «

      Vanderlei rückte seinen Stuhl näher heran und zeigte auf das Foto: »Das sind Sie. Wenn mich nicht alles täuscht, ist der Senhor mit der Sonnenbrille im Haar Ihr Ex-Mann und der links davon Tavares. Wer ist die Sambakönigin neben ihm? Juliana Paes? «

      Dona Anna musste nicht auf das Bild sehen. »Das ist Fany. Damals waren José und sie noch verheiratet. Meine Ehe mit Francisco war zu dem Zeitpunkt bereits eine Hülle ohne Inhalt. Wir haben uns im Sommer Zweitausend scheiden lassen. José und Fany haben noch ein Jahr länger ausgehalten. Ich bin dann nach Embu gegangen und habe meine kleine Galerie eröffnet«

      In Teixeiras Kopf formte sich ein Gedanke. »Spielte Ihre Freundschaft zu den Tavares irgendeine Rolle für das Auseinanderbrechen der beiden Ehen? «

      Anna legte ihm die Hand auf den Arm und blickte ihn aus unergründlichen, wässrig-blauen Augen an. »Delegado, Sie sind ein sehr instinktsicherer Mensch. Früher oder später werden Sie und der aufgeweckte junge Mann hier sowieso hinter unser dunkles Geheimnis kommen. «

      Sie steckte sich eine neue Zigarette an und blies den Rauch an die Zimmerdecke.

      »Francisco und Fany hatten eine Affäre. Als wir den Jahreswechsel Neunundneunzig gemeinsam am Strand verbrachten, kam es irgendwann zum Streit zwischen José und Fany. Ich habe am Anfang gar nichts kapiert. Es wurde immer hässlicher. Irgendwann schüttete José Fany ein Glas Sekt über und beschimpfte sie als Puta. Als Francisco aufsprang und José an die Gurgel ging, wurde mir auf einmal klar, was hier gespielt wurde. Ich war so dumm. Ich hatte zwar bemerkt, wie Chico sich verändert hatte. Die langen Abende im Büro. Die vielen Dienstreisen. Und dann war da mal was mit einer Mitarbeiterin von Millers. Das Übliche eben. Wir hatten uns auseinander gelebt, wie man so schön sagt. Irgendwann wussten wir dann beide, dass es nicht mehr lange gehen würde. Aber Fany? Die nette Fany mit den Glutaugen und den dicken Eutern?

      José erzählte mir später, dass er irgendwann