K. Ingo Schuch

Armadeira


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läge noch etwas an Chico! Offenbar hatten wir unsere Rollen so gut gespielt, dass nicht mal unsere Freunde die Wahrheit sehen konnten. José und ich blieben die letzten Jahre über in Kontakt, zuletzt aufgrund seines dichten Terminkalenders aber hauptsächlich per Mail.

      Vor ungefähr einem Monat rief er mich dann überraschend an und fragte, ob ich ihm für die Feiertage ein Häuschen in Juquehy vermitteln könne. Er wollte dem ganzen Rummel entfliehen und sich mit einem guten Buch an den Strand setzen. Und jetzt ist er tot. Es ist einfach schrecklich. War er denn alleine dort? « In ihren Augen schimmerte es wieder verdächtig.

      Teixeira bestätigte: »Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass Tavares in Begleitung war. Uns kam das auch etwas ungewöhnlich vor, dass ein Mann wie er Weihnachten ganz alleine verbringt. «

      Vanderlei hatte aufmerksam zugehört und nebenbei in dem Fotostapel auf dem Tisch herumgestochert. Jetzt hielt er ein Foto hoch. »Senhora do Nascimento, Dona Anna, wer sind die Typen hier auf dem Bild? «

      Sie nahm es ihm ab und betrachtete es. »Das da neben Francisco ist José, die anderen kenne ich nicht. Das muss irgendwann Anfang oder Mitte der Neunziger gewesen sein. Francisco war damals viel in Mato Grosso und Pará unterwegs. «

      Teixeira nahm das Foto in die Hand. Es zeigte einen noch recht jungen Tavares zusammen mit do Nascimento und einigen weiteren Männern auf einer Lichtung im Wald. Im Hintergrund standen mächtige Bäume inmitten dichter Vegetation. Einer der Männer trug eine Uniform. Die Augen des Mannes waren von einer dunklen Sonnenbrille verborgen. Die kräftigen Kiefer ließen den Militär brutal, fast animalisch erscheinen. An der Jacke trug er Rangabzeichen und einige Aufnäher. Das Bild war zu grobkörnig. Er konnte keine Details erkennen.

      Einer Eingebung folgend fragte er: »Dona Anna. Dürfen wir uns einige Fotos ausleihen? «

      »Nehmen Sie nur. Sie bedeuten mir nichts. Ich Närrin kann mich nur nicht aufraffen, den ganzen Kram endlich wegzuwerfen. Ich habe sogar meinen Ehering wie zur Erinnerung an eine alte Wunde aufgehoben. «

      »Obrigado. Hatte Tavares Feinde? «

      Sie schnaubte verächtlich. »Feinde? Nur einige Millionen so genannter Umweltschützer. In den letzten Jahren hat die Öffentlichkeit zwar ein differenzierteres Bild von der Lage, aber in manchen Medien wird es immer noch so dargestellt, als ob die Brasilianer als einzige nicht begriffen hätten, wie wichtig der Regenwald für das Weltklima ist. Das hat vor Jahren schon die Holz verarbeitende Industrie erkannt und zusammen mit der Regierung viel Geld in die Hand genommen, um Wiederaufforstung zu betreiben und die Fabriken mit geeigneten Filtern auszustatten. Dennoch hat Millers immer wieder Drohbriefe und Mails aus allen möglichen Ländern bekommen. Aber die richteten sich gegen die Firma und nicht gegen José persönlich. Vor einigen Jahren sind mitten im Wald einige schwere Baumaschinen abgefackelt worden und José hat die MST verdächtigt. Natürlich konnte das nie aufgeklärt werden. Aber das ist ein Stochern im Nebel. Ich fürchte, ich kann Ihnen da keine Hinweise liefern. «

      Die Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra, kurz MST, war die Bewegung der Landlosen in Brasilien. Es gab immer wieder bewaffnete Auseinandersetzungen mit Großgrundbesitzern, leider auch mit dem Militär. Die MST wurde immer wieder auch mit Anschlägen auf die Holzindustrie in Verbindung gebracht.

      Teixeira erhob sich. »Noch eine letzte Frage. Für welche Firma war Ihr Ex-Mann eigentlich tätig? «

      »Francisco hat Forstwirtschaft studiert. Er arbeitete damals als freier Berater für verschiedene Firmen der Holz verarbeitenden Industrie im so genannten Mahagoni-Gürtel. Irgendwann nach dem Umweltgipfel von Rio zweiundneunzig hat er sich dann der Idee einer nachhaltigen Forstwirtschaft verschrieben und sich der FSC angeschlossen.

      Vanderlei stand ebenfalls auf. »Ach ja, eine allerletzte Frage, dann sind Sie uns erst einmal los, Dona Anna. Wissen Sie, wo man Senhora Tavares erreichen kann? « »Wegen der Beisetzung «, fügte er noch hinzu.

      »Fany? Die lebt jetzt in Santiago, soweit ich weiß. Sie hat irgendwann einen chilenischen Viehbaron kennen gelernt und ist mit ihm weggegangen. Ich werde mich um das Begräbnis kümmern. José hatte ja niemanden mehr. Seine Mutter ist neunzig und leidet an Alzheimer. Sie würde gar nicht verstehen, was geschehen ist. «

      Nachdem sie sich von Dona Anna verabschiedet hatten und auf dem Weg zum Auto waren, sprach Vanderlei aus, was beide dachten: »Die Frau will uns glauben machen, Tavares sei irgendeiner Umweltorganisation auf die Füße gestiegen und deshalb hat man ihn beseitigen lassen? Warum gerade jetzt und warum hier? «

      Teixeira kaute auf einer cochina, die er in einer Bäckerei an der Ecke erworben hatte.

      »Zu viele vermeintliche Zusammenhänge. Hier Tavares als Vertreter der Holzindustrie, die den Indios und den kleinen Landbesitzern den Lebensraum wegnimmt und irgendwann erkennen muss, dass die ganze Welt sich auf das Thema Regenwald stürzt, dort do Nascimento als geläuterter Mittäter, der nunmehr den Robin Wood gibt. Dazwischen die Großgrundbesitzer, die mit der Holzmafia gemeinsame Sache machen und die Landlosen. Und dann tauschen die beiden noch die Ehefrauen aus. «

      Das Büro des Departamento de Homicídios e Proteção à Pessoa, kurz D.H.P.P. befand sich unweit der Praça da República in der Rua Líbero Badaró. In dem mehrstöckigen Gebäude waren etliche Dienststellen der Polícia Civil untergebracht. Es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. Polizisten in Uniform und Zivil schwirrten über die Flure. Telefone klingelten, Männer und Frauen riefen sich Anweisungen, Scherze, Flüche oder die neuesten Gerüchte über das alles beherrschende Thema Fußball zu.

      Teixeira stand mit einer Tasse Kaffee am Fenster seines Büros, hörte mit halbem Ohr auf das Stimmengewirr im Flur und schaute dem Gedrängel der Autos weit unten auf den Straßen zu. Zwischen den Fingern hielt er seine unvermeidliche Zigarette. Eigentlich war das Rauchen im Gebäude schon lange untersagt, aber bislang hatte man noch kein Mittel gefunden, ihn davon abzuhalten.

      Er drehte sich um. Der Kommissar genoss den Luxus eines Einzelbüros, das allerdings gerade Platz bot für einen alten Schreibtisch, einen noch älteren Aktenschrank und zwei Stühle. Auf einem hockte Vanderlei und strapazierte die Tastatur des Computers. Seine Hälfte des Schreibtisches hatte er mit Zeitschriften, CD-Hüllen und Pappbechern voll gemüllt.

      Teixeira ließ sich in den zweiten Bürostuhl fallen. Das Metall ächzte beleidigt. »Vanderlei, was sagen deine elektronischen Freunde? Irgendwas gefunden, was uns in der Sache Tavares weiterbringt? «

      Der Fall war leider nicht der Einzige, um den Teixeira sich kümmern musste. Aufgrund der nicht näher erläuterten Bekanntschaft Tavares´ mit einigen hohen Tieren war dieser aber nicht ohne Brisanz.

      »Ernesto, bleib hier bitte am Ball. Ich will das so schnell wie möglich geklärt haben« hatte der Chef gesagt.

      Teixeiras Einwand, man könne bislang noch nicht mit letzter Sicherheit von einer Straftat ausgehen, hatte der Geral mit einem verächtlichen Schnauben abgetan: »Du glaubst also, dass Tavares es sich für die Weihnachtstage im Strandhaus mit ein paar schmutzigen Videos gemütlich gemacht hat und als er da so nackt auf dem Sofa lag, kam eine Riesenspinne hereinspaziert und hat ihm den Todeskuss verpasst? Ernesto, wir sind beide lange genug im Spiel. Hier ist was ober-faul und ich will, dass du es herausfindest. Zumal ich im Bericht nichts von solchen Videos gelesen habe. «

      Vanderlei blickte auf. Neben sich hatte er einen ganzen Stapel Computerausdrucke liegen. Er schnappte sich das oberste Blatt und überflog es.

      »Die Kollegen von DIPOL haben die Fotos vergrößert und elektronisch aufbereitet. Das Fotopapier wurde überwiegend in den späteren Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts verwendet. Die Aufnahmen wurden mit einer Kleinbildkamera geschossen, höchstwahrscheinlich Marke Minolta. Fragen Sie mich nicht, wie unsere Experten so etwas herausfinden. Irgendwann werden sie uns sicher auch noch verraten können, wer auf den Auslöser gedrückt hat und was er an dem Tag gefrühstückt hat. Bom. Kommen wir zu den wesentlichen Informationen. Hier. Der Aufnäher an der Uniform mit dem Tukan gehört zum 47° BIS. Es ist das Abzeichen des 47. Bataillons der Dschungel-Infanterie aus Marabá. Die Rangabzeichen sind die eines segundo tenente. Das Batalhão