K. Ingo Schuch

Armadeira


Скачать книгу

du dich mit Giftspinnen aus? Es gab jüngst zwei Todesfälle in Zusammenhang mit einer Phoneutria. « Sie unterbrach ihn: «Du sprichst von Tavares in Juquehy. Das ist in der Tat sehr interessant. «

      Teixeira konnte seine Verblüffung nicht verbergen. »Woher weißt du von Tavares? Ah, sag’ es nicht. Du hast auch mit Dr. Yamato zusammen studiert, richtig? Ihr steckt doch alle unter eine Decke. «

      Sie stieß ihr glockenhelles Lachen aus und drückte ihm einen freundschaftlichen Kuss auf die Wange.

      Nachdem man sich nach dem Frühstück herzlich von der Familie verabschiedet und sich versprochen hatte, dass das nächste Wiedersehen nicht erst zu Ostern stattfinden sollte, hatten sie heute die Rückfahrt ganz ohne Zeitdruck angetreten.

      Jetzt saß er neben seiner Frau im Auto und warf ihr einen Blick zu. Die Zeit war auch an ihr nicht spurlos vorübergegangen. Ihr schwarzes Haar war von feinen silbernen Fäden durchzogen, um ihre rehbraunen Augen zog sich ein Saum von kleinen Fältchen und die Haut an den Armen war nicht mehr ganz straff. Im Gegensatz zu ihrer Mutter hatte sie aber über die Jahre nicht kontinuierlich zugenommen. Er fand sie eigentlich nach wie vor attraktiv. Vielleicht müsste er ihr das einfach mal wieder sagen.

      Was er sagte, war: »Ich müsste diesem Yamato eigentlich die Schlitzaugen gerade ziehen, weil er über meinen Fall geplaudert hat, aber andererseits unterliegt er ja nicht der Schweigepflicht. «

      »Lieber Ernesto. Japaner haben keine Schlitzaugen. Bestenfalls könnte man von einer Mandelform sprechen. Und wundert es dich, dass sie uns Langnasen nennen? Schau dir doch nur den Rüssel von Carlos an. « Sie mussten lachen.

      Kurz hinter Brotas bog Silvana auf den Parkplatz des Recanto das Cachoeiras ab. Sie schimpfte am Eingang halbherzig über den Eintrittspreis von fünfundzwanzig Reals pro Kopf. Die Wasserfälle befanden sich hier alle auf den Grund und Boden privater fazendas und gerade hier hatte man etwas Infrastruktur bereitgestellt. Ein kleiner Pool, Toiletten und ein Restaurant.

      Sie schlitterten den schmalen Weg zur ersten cachoeira hinunter. Ernesto musste im neuen Jahr mal wieder versuchen, etwas abzunehmen. Er schnaufte jetzt schon wie ein Walross, wie sollte erst der Rückweg werden. Der Wasserfall entschädigte aber für die Strapazen. Braun und weiß stürzten die Wassermassen herab. Wenn man länger als einige Sekunden unter dem Strahl stehen blieb, wurde der Rücken schnell rot und es fing an, wehzutun.

      Im Anschluss fuhren sie quer in Richtung Rod. Castello Branco und versuchten halbherzig noch ein Zimmer in einer Pousada zu bekommen. In Brotas war schon alles ausgebucht und als sie bis zum Einbruch der Dunkelheit noch keine Unterkunft gefunden hatten, beschlossen sie, heimzufahren, zumal es nun richtig heftig anfing zu regnen. In einer der pousadas, sie hieß Recanto Alvorado oder so ähnlich, lief an der Rezeption der Fernseher. Dilma auf allen Kanälen.

      In Botucatu fuhren sie noch mal raus, um eine Toilettenpause einzulegen. Eher durch Zufall fanden sie eine nette kleine choperia & petiscaria, die einen wirklich interessanten Namen hatte: Confraria do Saci Im Logo hatten sie einen Saci Pererê Das Essen war überraschend gut und Teixeira gönnte sich das erste Bier des Tages.

      Ernesto sprach mit seiner Frau normalerweise nicht über seine Fälle, aber der Spinnenmörder, wie er inzwischen intern genannt wurde, beschäftigte ihn doch sehr. »Was denkst du? Ist das nun ein Zufall, dass Tavares und de Oliveira auf dieselbe Weise ums Leben kamen oder muss ich nach einem Psychopathen suchen? «

      Silvana neigte zu einer erfrischenden Offenheit, die sie manchmal schon in unangenehme Situationen geführt hatte, aber er schätzte ihre Art, ganz klar nach links und rechts, weiß und schwarz zu unterscheiden. Sie schaute ihn kurz sehr intensiv an. »Ernesto, das ist sonnenklar. Die Fälle hängen zusammen und es hat irgendetwas mit dieser Holzfirma zu tun. Ich glaube, du wirst eine Dienstreise in den Norden machen, nicht? «

      Manchmal war er immer noch erstaunt über ihre Instinkte.

      Teixeira saß in seinem Büro an seinem PC und überflog die Meldungen.

      In Cidade Tiradentes hatte ein Mann seiner Frau einen von Silvester übrig gebliebenen Feuerwerkskörper in den Mund gesteckt und sie vom Balkon des Apartmenthauses gesprengt.

      Bei einer Schießerei in São Miguel Paulista war zwischen zwei rivalisierenden Drogenbanden auch eine unbeteiligte Passantin ums Leben gekommen.

      In Sorocaba wurde eine psychisch gestörte Frau nach drei Jahren Gefangenschaft aus ihrem eigenen Küster befreit. Sie hatte sich von Konserven ernährt und, als diese aufgebraucht waren, die Holzregale aufgegessen. Unklar war, wer sie in diese missliche Lage gebracht hatte, da sie alleine lebte. Ansonsten der ganz normale Wahnsinn. Entführungen, Messerstechereien. Raubüberfälle.

      Er öffnete den Browser und durchstöberte die Nachrichtenportale. Das alles beherrschende Thema war natürlich die Flutkatastrophe im Norden Rios. Teixeira las den Bericht einer lokalen Nachrichtenagentur:

       Die Flutkatastrophe hat mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mehr als 1.300 Menschenleben gefordert. Nach den jüngsten Zahlen der Behörden wurden mittlerweile 820 Todesopfer bestätigt, über 500 Personen werden auch zwei Wochen nach dem verheerenden Hochwasser und den zahlreichen Erdrutschen weiterhin vermisst. Beobachter befürchten zudem, dass die Zahl der vermissten Personen in den kommenden Tagen eher steigen als fallen dürfte, da viele Meldungen noch nicht in der von der Regierung des Bundesstaates eingerichteten Datenbank integriert wurden.

       Die Hoffnung unter den Millionen von Kubikmetern Schlamm und Geröll noch Überlebende zu finden, ist nach zwei Wochen faktisch ausgeschlossen. Längst konzentrieren sich die Helfer auf den Wiederaufbau von Infrastruktur, Schul- und Gesundheitswesen. Feldlazarette wurden eingerichtet, Trinkwasser und Lebensmittel für Notunterkünfte herbeigeschafft, Straßen wurden notdürftig geflickt. Zudem errichteten Einheiten des Militärs erste provisorische Brücken über die Flüsse. Zivilschutz und Feuerwehr sind derweil weiterhin mit dem Abtragen der Erde und der Beseitigung des Schlamms beschäftigt.

      Er schüttelte den Kopf. Lernten die denn nie etwas? Er konnte sich noch gut an die Bilder von dem Erdrutsch in Angra und der Ilha Grande vor ziemlich genau einem Jahr erinnern. Auch über fünfzig Tote. Aber die Behörden sahen weg, wenn die Leute ihre Häuser immer weiter die Hänge hinauf trieben. Das nächste Unglück war vorprogrammiert.

      Einer Eingebung folgend suchte er nach Indústria Millers. Die Firmenseite leitete ihn auf die Website des Mutterkonzerns weiter. Die Millers Company war ein Konglomerat unterschiedlichster Firmen. Begonnen hatte John Miller, ein aus Deutschland eingewanderter Krämer, Mitte des neunzehnten Jahrhunderts in Iowa mit einem Getreidehandel. In den vergangenen hundertfünfzig Jahren hatte das Unternehmen durch Übernahmen hauptsächlich in den Staaten, in Südamerika und in Europa sein Portfolio um Landmaschinen, Holzproduktion und etliche weitere Handlungsfelder erweitert. Millers war unter anderem der zweitgrößte Hersteller von Biosprit weltweit.

      Teixeira las interessiert weiter.

      Der Konzern, dessen Aktivitäten inzwischen von Ölraffinerien bis zu Papiertaschentüchern reichten, beschäftigte nach eigenen Angaben einhundertsechzigtausend Mitarbeiter und erzielte im vergangenen Jahr einen Umsatz von 130 Milliarden US-Dollar.

      Auf einer US-amerikanischen Nachrichtenseite fand Teixeira mehrere Beiträge zu Verstrickungen des aktuellen Verwaltungsratschefs Jonathan Millers III. in eine Parteispendenaffäre sowie über seine Kontakte zur Tea-Party-Bewegung.

      Das war ja alles sehr interessant, aber würde ihnen bei der Aufklärung des Tavares-Falles nicht weiterhelfen. Vanderlei konnte später noch weitere Informationen über das Unternehmen heraussuchen. Teixeira loggte sich aus, schnappte sich seine Autoschlüssel und fuhr in die Stadt. Er hatte einen wichtigen Termin.

      »Ai! Das soll mir gut tun und mich nicht umbringen! « Die Antwort kannte er bereits, da es wahrscheinlich Niltons Lieblings-Sprichwort war: »A loucura é breve, longo é o arrependimento (Bras. Sprichwort: Kurz ist der Wahnsinn, lang die Reue) «

      Teixeira lag mit dem Gesicht nach unten auf der Pritsche und lies sich