K. Ingo Schuch

Armadeira


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Es machte ihm nichts aus, an seinem Geburtstag den Abend alleine zu verbringen. Momentan hatte er keine feste Beziehung und nach dem Stress der vergangenen Tage war er ganz froh, dass er die Füße hochlegen konnte. Es hatte ein Country Konzert im Bourbon Street Music Club gegeben und sie hatten den Auftrag gehabt, die Altrocker auf Schritt und Tritt zu bewachen.

      Matheus nahm sich aus der Bar eine Flasche Scotch und ein Glas mit Eis und setzte sich in seinen Lieblingssessel. Er zappte die Sender durch und suchte halbherzig nach einer Fußballübertragung. Die Corinthians hatten gegen Fluminense knapp die Meisterschaft verpasst und in europäischen Ligen war Winterpause.

      Plötzlich schreckte er hoch. Ihm war, als hätte jemand leise seinen Namen gerufen. Es musste aus dem Schlafzimmer gekommen sein. Trotz seiner zweiundneunzig Kilo Kampfgewicht beschlich ihn ein ungutes Gefühl. Seine Beretta lag im Waffenschrank in der Firma.

      Da war es wieder. Er umfasste die Whiskyflasche wie einen Knüppel und schlich auf Zehenspitzen zum Schlafzimmer. Die Tür war angelehnt. Er atmete tief durch und riss mit einem Ruck die Tür auf. Mit der Linken knipste er das Licht an.

      In seinem Bett lag eine Frau. Lange, dunkle Haare und Augen wie Bernsteine. Sie blinzelte ins Licht und gurrte mit rauchiger Stimme: »Nicht so stürmisch, touro. Willst du mich erschlagen? Ich dachte eher ans Aufspießen. «

      Seine Kollegen! Irgendwer musste sich gedacht haben, legen wir dem alten Matheus doch was Warmes, Weiches ins Bett, dann hat er an seinem Geburtstag noch ein wenig Spaß.

      »Na, das ist ja eine nette Überraschung. Wie heißt du denn, mein Kälbchen? « Er stellte die Flasche auf dem Nachttisch ab und beugte sich zu der puta hinüber. War ja keine schlechte Idee. Die Frau trug ein hauchdünnes Nichts und sie war ganz nach seinem Geschmack.

      Die Nutte zog ihn näher an sich heran und hauchte ihm ins Ohr: »Wie willst du mich denn nennen? Mach’ es dir doch bequem. « Schon fing sie an, ihm das Hemd aufzuknöpfen. Matheus nahm sich vor, sich morgen im Büro noch mal ganz besonders zu bedanken.

      »Ich denke, wir werden uns verstehen … Gabriela. «

      Sie fuhren aus Brotas kommend in Richtung Patrimonio. Silvana steuerte den Wagen, Teixeira hatte es sich auf dem Beifahrersitz gemütlich gemacht und genoss den Blick über die Viehweiden und Zuckerrohrfelder.

      Den Jahreswechsel hatten sie in Rio Claro verbracht. Sein älterer Bruder bewohnte dort das Haupthaus einer ehemaligen fazenda, das er vor Jahren aufwändig renoviert hatte. In Landesinnern waren die Immobilienpreise noch nicht auf dem Niveau der Hauptstadt und Carlos hatte als Tierarzt nicht schlecht verdient und konnte es sich leisten. Mittlerweile war er pensioniert und genoss seine zahlreichen Hobbys. Unter anderem hatte er vor einiger Zeit begonnen zu malen, was Ernesto einigermaßen überrascht hatte. Die Teixeiras waren eher zupackende Menschen und bei sich hatte er zumindest noch keinerlei künstlerische Adern entdeckt.

      »Ghizlaine ist eine bemerkenswerte Frau« sagte Silvana gerade. Ernesto brummte zustimmend. Irgendwas würde jetzt noch kommen.

      »Mich wundert nur, dass sie immer noch alleine lebt. Sie ist doch wirklich attraktiv, findest du nicht? «

      Agora. Das war es also. Auch nach so vielen Jahren Ehe, Ernesto musste kurz nachrechnen, neunzehn Jahre waren es inzwischen, war Silvana eifersüchtig wie am ersten Tag. Er brummte wieder und dachte über die letzten beiden Tage nach.

      Zu Silvester hatte Carlos in dem zur churrascera umgebauten ehemaligen Pferdestall ein Grillfest zelebriert. Mittlerweile genoss er es, die Hauptarbeit seinem Ältesten überlassen zu können. Er selbst konzentrierte sich auf die Kommunikation und darauf, dass alle auch genug aßen und tranken. Es gab Rippchen und Würstchen vorab, während die Picanha in der genau richtigen Hitze schmorte. Ernesto war wie immer für die Caipirinha zuständig gewesen und man hatte den alkoholischen Getränken allgemein gut zugesprochen.

      Auch Ernestos und Carlos’ Mutter, die nach dem Tod des alten Teixeira nach Rio Claro gezogen war, hatte immer wieder von ihrem geliebten Schnäpschen genippt und war anfangs ungewohnt heiter gewesen. Silvana hatte aber immer noch das Gefühl, dass ihre Schwiegermutter ihr persönlich übel nahm, dass sie ihr keine Enkelkinder geschenkt hatte. Wobei sich das mit dem Verwöhnen bei Carlos’ und Marias Enkeln mittlerweile auch auf Weihnachten und die Geburtstage beschränkte.

      Ernestos Neffe Davide war kürzlich mit seiner Frau Regiane und der kleinen Anna nach Pato Branco gezogen, das war eine Strecke von gut neunhundert Kilometern. Demzufolge kam er seine Eltern und Oma nicht mehr so häufig besuchen. Ihre Tochter Paula wohnte noch bei ihnen, aber sie hatte inzwischen das colégio abgeschlossen und würde wohl bald ausziehen. In Pato Branco gab es keine Universität.

      Ernesto empfand Familienfeste ziemlich schnell als anstrengend. Natürlich freute man sich, Mutter, Carlos, Maria und die Kinder ab und zu wieder zu sehen, aber man spürte doch eine gewisse Distanz, die nicht nur durch die räumliche Trennung herrührte. Aufgrund ihrer beider Berufstätigkeit hatten sich Kinder einfach nie ergeben und nun waren sie auch darüber hinweg. Silvana hatte sich nach ihrem Studium voll in ihren Job als Landschaftsgärtnerin gestürzt, um nicht das Schicksal vieler Polizisten-Ehen zu riskieren. Seit einigen Jahren war sie mit ihrem Team für die Pflege und Erhaltung des Parque Burle Marx mitten in Morumbi verantwortlich, was sehr viel Arbeit bedeutete, ihr aber auch unglaublich viel Freude bescherte.

      Nach einer Weile war das Gespräch unweigerlich auf das Thema Kriminalität gekommen. Ernestos Mutter las sehr viel. Sie hatte einen mehrfach gefalteten Zeitungsartikel hervor gekramt, den sie sich für das Treffen mit ihrem jüngsten Sohn aufbewahrt hatte und mit ihrer aufgrund der eigenen Schwerhörigkeit etwas zu lauten Stimme vorgelesen. Es war eine Statistik, die besagte, dass von den Städten und Gemeinden des Bundesstaates São Paulo vierhundertsiebenundzwanzig eine Mordrate unter zehn Morden pro hunderttausend Einwohner aufwiesen.

      »Tinho, was meinst du? Liegt der Rückgang der Morde daran, dass die Menschen vernünftiger geworden sind oder macht ihre eure Arbeit nur besser? «

      Ernesto hasste es, wenn sie ihn bei seinem Kosenamen nannte. Und es kotzte ihn an, wenn sie ihn als Generalbevollmächtigten für Mord und Totschlag hinstellte. Aber sie war seine Mutter, deshalb hatte er freundlich geantwortet: »Mãe, selbstverständlich ist der Rückgang auf den verstärkten Personaleinsatz sowohl bei der Policia Civil, in der Stadt auch der ROTA zurückzuführen. Aber ich denke, dass auch die Verbesserung der Lebensumstände einen Beitrag dazu leistet. Man kann über Lula denken, wie man will, aber unbestritten ist, dass etliche während seiner Präsidentschaft auf den Weg gebrachten Maßnahmen greifen. Nimm zum Beispiel den Selo Social. Das Programm bringt Steuerbefreiungen, ermöglicht steuerbegünstigten Verkauf des Biokraftstoffs, den Kleinbauern über den Anbau von Ölpflanzen erzeugen und schafft damit Existenzgrundlagen. Auch das Programm "Strom für alle" hat dazu geführt, dass die Landflucht in Richtung der Metropolen zurückgegangen ist. Die Leute schließen sich einen Fernseher an und haben Strom zum Waschen und Kochen, das reicht manchmal schon aus, dass sie in ihrem Umfeld besser zu Recht kommen. Weniger in ihrer Existenz bedrohte Menschen auf dem Land, weniger Favelas in den Metropolen, Rückgang der Tötungsdelikte. Das ist meine ganz einfache Gleichung, ob die nun von Politikern und Wissenschaftlern bestätigt wird oder nicht. Und hoffen wir, dass Dilma diesen Kurs weiter verfolgen wird. «

      Er wusste, dass seine Mutter Anhängerin der Opposition war. Erwartungsgemäß spie sie den Namen aus, als wäre er giftig: »Dilma! Eine Frau als Präsidentin, das gehört sich nicht! Und eine ehemalige Guerillera noch dazu! Wo soll das denn noch hinführen? «

      Am Neujahrstag gab es mittags immer noch Carlos’ Spezialität. Er hatte von einem seiner ehemaligen Kunden ein Ferkel bekommen und das musste einige Stunden lang im Holzofen schmoren. Die kleine Anna durfte die Dekoration übernehmen und alle waren ganz entzückt, wie sie diese Aufgabe meisterte. Zur Schlemmerei waren diesmal noch ein paar Freunde von Carlos und Maria eingeladen. Man kannte sich schon von früheren Gelegenheiten und insbesondere mit der Biologin Ghizlaine konnte sich Silvana ausgezeichnet unterhalten. Sie interessierte sich insbesondere für die Tiere, die mitten in São Paulo im Parque Burle Marx lebten.

      Ernesto