K. Ingo Schuch

Armadeira


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sein Ding, aber als Polizist musste er sich zumindest eine minimale Beweglichkeit erhalten, also zwang er sich einmal die Woche her. Wobei sich die Übungen auf einige Kilometer mit dem Laufrad beschränkten. Wenn nicht zu viele Kunden im ginásio waren, legte er sich auch mal auf die Hantelbank, aber die paar Wiederholungen waren eher geeignet, ihm am nächsten Tag einen Muskelkater zu bescheren als den Rücken zu stärken.

      Nilton klopfte ihm mit der flachen Hand auf die Schulter. »Pronto. Du hast es überstanden, Delegado. Jetzt kannst du dich wieder hinter deinen Schreibtisch klemmen. « Besser als das Strampeln und Eisenverbiegen bekam ihm die Massage im Anschluss, auch wenn Nilton es nach seinem Empfinden heute zu gut gemeint hatte.

      Er wälzte sich von der Pritsche und watschelte zur Dusche, ein Badetuch um die Hüften gewickelt. Er war gerade dabei sich abzurubbeln, als sein Nokia auf der Bank umher hüpfte. Fluchend klappte er das Gerät auf und drückte auf die grüne Taste. Er hörte der Stimme des Diensthabenden zu und grunzte dann ungehalten: »Ich komme hin. «

      Gerade wollte er Vanderlei anrufen, als ihm einfiel, dass der Junge ja an der Akademie war. Irgendwelche Theoriestunden.

      Teixeira war wieder mit seinem Honda unterwegs. Nach einer guten Stunde kam er an seinem Ziel an. Zum Glück gab es hier Parkplätze. Das Apartmenthaus lag in einer normalen Wohngegend unweit der Metrô.

      Im Eingang standen einige Uniformierte herum und salutierten, als er seinen Ausweis hochhielt. Das Apartment lag im 17. Stock. Als er aus dem Aufzug trat, sah er gleich die offene Tür. Er trat ein und blickte sich um. Einfache Möblierung. Die Wohnung eines Junggesellen. Niedriger Bildungsstand. Im Wohnzimmer hingen ein paar gerahmte Poster von Fußballern und von Kinohelden. Ein Wimpel der Corinthians.

      Im Schlafzimmer traten sich ein paar Männer in weißen Papieroveralls auf die Füße. Die Leiche lag auf dem Bett. Teixeira erkannte sofort die Ähnlichkeit zu dem Fall Tavares. Nackt. Blauschwarze Extremitäten, die schwarze Zunge lag wie ein Blutegel im halb geöffneten Mund. Die Augen waren unnatürlich weit aufgerissen. Sein Blick wanderte zu dem violetten Fleischklumpen, der obszön zwischen den Beinen des Toten baumelte.

      Ein Kollege der Spurensicherung sprach ihn an: »Teixeira. Das ist eine ganz schöne Schweinerei, nicht? Wenn der rot statt blau angelaufen wäre, würde ich auf Cyanid tippen, aber ich habe von dem Fall unten am Strand gehört, deshalb habe ich dich gleich rufen lassen. «

      Teixeira brummte: »Ich denke, man wird feststellen, dass der Mann von einer Spinne gebissen wurde. Tarantula hat ihren Weg aus den Estados Unidos in unser nettes Land gefunden. «

      Er ließ den verdutzt drein blickenden Mann stehen und ging zurück ins Wohnzimmer. Die Kollegen hatten bereits ganze Arbeit geleistet. Schubladen waren herausgezogen, Papiere und persönliche Gegenstände lagen überall verstreut herum. Teixeira ging in die Hocke und griff nach einem altmodischen Fotoalbum. Über die Schulter rief er in den Flur »Wie heißt der Tote, was hat er bis zu seinem Ableben getrieben und wer hat ihn gefunden? «

      Ein Uniformierter antwortete zackig: »Matheus De Oliveira, zweiundfünfzig Jahre alt. Arbeitet bei einer Sicherheitsfirma in der Nähe von Gongonhas. Single. Hatte vorgestern Geburtstag. Sein Chef hat ihn abends zum Essen eingeladen und gegen halb Elf hier abgesetzt. Der porteiro hat das bestätigt. Gefunden wurde er, weil hier einmal die Woche sauber gemacht wird. Die Leute von der Reinigungsfirma haben einen Hauptschlüssel für alle Wohnungen. Wollen Sie mit den Angestellten sprechen? «

      Teixeira erinnerte sich an die wenig Ziel führende Unterhaltung mit dem Wachmann in Juquehy und lehnte dankend ab. Er wandte sich an den Polizisten: »Hat sonst irgendeiner was gesehen oder gehört? «

      »Das ist hier ein typisches Apartmenthaus. Da kennt kaum einer seinen direkten Nachbarn. Die Wohnung links neben uns steht gerade leer und rechts wohnt eine alte Frau, die fast taub ist und wahrscheinlich nichts gehört hätte, wenn der Täter die Tür aufgesprengt hätte. «

      »Ich will trotzdem eine Liste aller Hausbewohner. Heute Mittag in meinem Büro. « Er musste dem jungen Kollegen ja nicht sagen, dass er sich nicht für die Mitbewohner interessierte, aber der Vollständigkeit halber wäre es gut, die Liste in der Akte zu haben.

      Mittlerweile hatte Teixeira das Album durchgeblättert. Fußballer auf irgendeinem staubigen Bolzplatz. Churrasco und Bierchen nach dem Spiel, dazwischen mehr oder minder hübsche Frauen. Er legte es zur Seite und nahm sich ein weiteres.

      Die Bilder waren älteren Ursprungs. Auf der vorletzten Seite wurde er stutzig. Das hatte er schon mal gesehen. Es zeigte eine Gruppe von Männern vor großen Bäumen. Er schaute genauer hin. Der Dritte von links schien ein deutlich jüngerer de Oliveira zu sein. In der Hand hielt er etwas Längliches, das Teixeira nicht genau erkennen konnte, das in ihm aber irgendwelche Assoziationen weckte.

      »Hat einer mal eine Lupe? «

      Ein Beamter reichte ihm ein Vergrößerungsglas, mit dem er gerade eine Whiskyflasche auf Fingerabdrücke untersucht hatte.

      Der Ex-Mann von Anna do Nascimento war nicht auf dem Foto. Es war aber die gleiche Umgebung, und dieser kleine Dunkelhäutige links war auf dem Abzug von Dona Anna auch zu sehen gewesen, da war Teixeira sich sicher. Das Labor würde die Details herausarbeiten. Er ließ sich einen Plastikbeutel geben und legte das Album hinein.

      »Alles einpacken und mitnehmen. « wies er an.

      Nach einem letzten Blick auf den Toten verließ er das Apartmenthaus und fuhr zurück zur D. H. P. P.

      Teixeira hielt die beiden Fotos in der Hand und verglich immer wieder Gesichter. Für ihn stand eindeutig fest, dass beide Aufnahmen in der gleichen Gegend aufgenommen wurden. Regenwald. Do Nascimento, Tavares, de Oliveira, Holzindustrie. Wo blieb nur dieser verdammte Vanderlei? Er wühlte in einem Regal bis er das richtige Telefonbuch gefunden hatte, blätterte ein wenig vor und zurück und griff zum Hörer.

      Bereits nach dem zweiten Klingeln hob sie ab. »Galeria Belas Artes.«

      »Dona Anna. Teixeira hier. Der Polizist. Darf ich kurz mit Ihnen reden? «

      Sie schien überrascht, von ihm zu hören. »Teixeira, natürlich dürfen Sie. Gibt es schon Hinweise auf die Täter? Haben Sie eine Spur? «

      »Dona Anna. Wir stehen noch am Beginn der Ermittlungen. Wir müssen aber inzwischen davon ausgehen, dass Senhor Tavares wahrscheinlich nicht das einzige Opfer ist. Es gibt einen weiteren Todesfall, der eindeutige Ähnlichkeiten aufweist. Ihnen sagt nicht zufällig der Name Matheus de Oliveira etwas? Vielleicht in Zusammenhang mit Ihrem Ex-Mann? «

      Anna do Nascimentos Antwort kam schnell: »Sagt mir überhaupt nichts. Noch ein Toter sagen Sie? Was ist denn passiert? Warum kommen Sie darauf, dass es Zusammenhänge gibt? «

      »Dona Anna, ich will und darf über die laufenden Ermittlungen keine Details verraten, ich bin aber fest davon überzeugt, dass die Opfer ein gemeinsames Element haben. Es ist nur so ein Gefühl, aber es könnte eine Verbindung zwischen Ihrem Ex-Mann und den beiden Toten geben. Wo lebt Senhor do Nascimento übrigens jetzt? «

      Er hörte, wie Dona Anna den Zigarettenrauch ausstieß. »Delegado. Sie machen mir Angst. Glauben Sie wirklich, es gibt einen Zusammenhang zwischen José, Francisco und diesem, was sagten Sie, de Oliveira? Ist Francisco in Gefahr? Bitte, sagen Sie es mir! «

      Teixeira wollte sie gerne beruhigen. »Dona Anna, noch wissen wir zu wenig. Ich würde nur gerne mit Ihrem Ex-Mann Kontakt aufnehmen und mich mit ihm über seine Zeit bei Millers unterhalten. «

      »Francisco und ich haben uns seit Jahren nichts mehr zu sagen, aber zwölf Jahre Ehe kann man nicht einfach wegwischen wie einen Schmutzfleck auf der Biografie. Bitte sprechen Sie mit ihm. Warnen Sie ihn, wenn Sie der Ansicht sind, dass er in Gefahr ist. Er lebt wahrscheinlich wieder in Pará. Ich habe seine Adresse und Telefonnummer nicht. Sie können ihn aber sicher über die FSC erreichen. Ich will... ich kann nicht mit ihm sprechen. «

      Nachdem sie aufgelegt hatten, stand Teixeira auf und ging hinüber zum Vorzimmer des Geral. »Fernanda, kannst du mir eine Nummer besorgen? «

      Zwei Minuten später