K. Ingo Schuch

Armadeira


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Der Sohn konnte ihn nicht erkennen und sein Vater schwebt noch in Lebensgefahr. Wenn er es schafft, ist er frühestens in zwei Tagen vernehmungsfähig. «

      Teixeira zog sein Nokia aus der Tasche. Er hatte den Flugzeugmodus noch eingeschaltet. Seine Anrufliste zeigte acht entgangene Anrufe.

      »Manda bala! Vanderlei, es wird höchste Zeit, dass wir uns mit dem lieben Chico unterhalten. Ich wette, diesen Neuen in Santos werden wir auf einem der Fotos finden. Irgendwas verbindet diese Menschen und unser Irrer ist dabei, sie systematisch auszuknipsen. Es ist natürlich ein absoluter Glücksfall, dass das jüngste Opfer überlebt hat. Der Mann wird uns hoffentlich sagen, was wir noch nicht wissen. «

      Zwei Stunden später saßen sie in einer Embraer Turbo-Prop Maschine auf dem Weg nach Belém. Mit dem Auto oder Bus über die Transamazônica wären sie zwei Tage unterwegs gewesen. Die dreißigsitzige Maschine machte bei Rückenwind gut über 500 km/h. Nach knapp zweieinhalb Stunden verließen sie ihre Reiseflughöhe und zerrissen die vereinzelten Wolken, die wie Baumwollfasern am Himmel schwebten. Vor dem Fenster erstreckte sich der dunkelgrüne, schier unendliche Teppich des Regenwaldes. Als der Pilot eine waghalsige Schleife flog, um sich in Richtung Landeanflug herunterzuschrauben, konnten sie die Mündung des Rio Guamá in den Rio Pará und die Bucht von Marajó unter sich erkennen.

      Der Taxifahrer setzte sie an der Praça da República ab. Das Teatro da Paz war wesentlich gefälliger als das Opernhaus in Manaus und Vanderlei wusste zu berichten, dass es sogar noch älter war und damit das älteste Theater im Amazonasgebiet. Die Avenida Presidente Vargas beherbergte Hotels, Cafés, Banken, das Gebäude der Post und etliche größere Geschäfte. Auf den Gehwegen reihten sich zahllose Verkaufsstände aneinander, die allerlei Essbares, Indio-Schnitzereien, Kleidung, Zeitungen und Getränke feilboten.

      Die beiden Polizisten schlenderten bei Atemraubender Hitze zwischen Touristen und Einheimischen in Richtung Hafen. An einem der Stände hatten sie sich eine côco gelado geholt und schlürften nun gierig das eiskalte Kokoswasser. Manaus war brütend heiß gewesen, aber Belém schien Teixeira noch stickiger, obwohl aufgrund seiner Lage an der Baía de Guajará eigentlich immer eine Brise wehen sollte.

      Das Büro des Conselho Brasileiro Florestal befand sich in der Altstadt, unweit der atemberaubend schönen Kathedrale. Teixeira fühlte eine tiefe Freude in sich aufsteigen. Das war das alte Brasilien! Solche Bauwerke hatte er bestenfalls einmal in Salvador oder eben in Manaus gesehen. Die ganze Stadt verströmte trotz des tropischen Klimas einen schweren, staubigen Duft von Geschichte. In seinem Kopf entstanden Bilder der portugiesischen Erstsiedler, der Cabanagem und des Kautschukhandels. Irgendwo hatte er gelesen, dass Belém auch Cidade das Mangueiras genannt wurde. Wenn er sich umschaute, leuchtete ihm das ein.

      Der Hauptsitz des FSC war in Brasilia, aber man hatte lokale Vertretungen, die vor Ort bei den Forstbetrieben und der Holz verarbeitenden Industrie die Einhaltung der definierten Kriterien überprüften, damit diese das mittlerweile weltweit anerkannte Prüfsiegel führen durften. Die hiesige Niederlassung fanden sie nach einigen vergeblichen Anläufen in einem niedrigen blauen Gebäude, eingefasst von einer Snack-Bar und einem Laden, der Indio-Kunst verkaufte. Sie betraten den einzigen Raum, der einen einfachen Schreibtisch und drei Plastikstühle beherbergte. Auf einem saß eine ziemlich korpulente junge Frau, die angeregt mit irgendeiner Person namens Jamiri telefonierte. Nach einer Weile schien sie zu begreifen, dass die beiden Männer zu ihr wollten und sie beendete das Gespräch.

      »Bom dia. Womit kann ich Ihnen helfen? « Wenn Sie eine Spende leisten wollen, hier unsere Bankverbindung oder Sie können auch gleich bar zahlen. Ich stelle Ihnen dann eine Quittung aus. «

      Teixeira blickte sich um. An den Wänden hingen Poster, die verschiedene Projekte des FSC zeigten. Nicht nur in Brasilien, sondern auch in Indonesien und in Afrika waren sie aktiv. Er blickte auf das Namensschild, das vor ihr auf dem Schreibtisch stand.

      »Senhora Veira, ich hatte angerufen. Teixeira. Polizei. Wir wollten uns gerne mit Senhor do Nascimento unterhalten. Ist er inzwischen zurück? «

      Die junge Frau blickte ihn über ihre altmodische Brille hinweg gelangweilt an. »Francisco? Der ist noch im Gebiet des Rio Moju unterwegs. Soll ich ihm was ausrichten, wenn er wieder hier ist? «

      »Senhora Veira, wir müssten schon selbst mit ihm sprechen. Können Sie ihn denn nicht irgendwie erreichen. Per Funk vielleicht? Hat er kein Mobiltelefon? «

      Die Frage schien sie zu amüsieren. »Per Funk? Wie stellen Sie sich das vor? Welche Reichweite sollte so ein Funkgerät denn haben? Ein Mobiltelefon mitzunehmen, ist hier ebenfalls sinnlos. Man hat da draußen keinen Empfang. « Sie schob die Brille höher. »Wenn Sie mit Francisco sprechen wollen, müssen Sie entweder warten oder ihm entgegen fahren. Unten am Fluss gibt es einen alten Caboclo, der Sie sicher gerne mit seinem Boot hinfährt. Sagen Sie ihm schöne Grüße von mir. Er heißt Osvaldo. Aber passen Sie auf, dass Sie nicht in den Fluss fallen. «

      »Wieso? Hier gibt es doch keine piranhas, oder? «

      »Die tun Ihnen nichts, aber die candirú. Einem Freund von mir ist mal einer in den... na ja... gekrochen. Jetzt muss er jedenfalls durch einen Schlauch pinkeln. «

      Sie dankten für den offenbar ernst gemeinten Hinweis, verließen das kleine Büro und sahen sich draußen um. Teixeira wischte sich den Schweiß von der Stirn. Es war verdammt schwül. »Wir suchen uns erst mal was zum Essen und überlegen dabei, wie wir am besten vorgehen. «

      In einem kleinen Restaurant zwei Straßen weiter bestellte Teixeira eine maniçoba. Vanderlei mochte keine Maniok-Blätter und fand das Gericht widerlich. Sein Gegenüber hatte nichts dagegen, eine weitere Portion vertilgen zu müssen. Genüsslich kauend setzte Teixeira Vanderlei die Optionen auseinander:

      »Wir könnten natürlich hier warten bis do Nascimento zurückkehrt aber wer kann schon sagen, wann das sein wird? Unverrichteter Dinge heim fliegen, vergiss es! Ich denke, wir sollten ihm mit dem Caboclo entgegen fahren. Ich bin sicher, dass wir do Nascimento nach einiger Zeit finden werden. Er fährt den Fluss hoch, wir runter. Wir sind hier hergekommen, weil wir mit ihm reden wollen. Das sollten wir weiter versuchen. «

      Vanderlei hatte nicht wirklich vorgehabt, seinen Chef von seinem Vorhaben abzubringen. Er fügte sich in sein Schicksal und wollte gerade noch eine Guaraná bestellen, als wieder sein Mobiltelefon klingelte.

      »Oi. Wer? Ach ja. Danke, dass Sie zurückrufen. Wie? Wer? Ja, das hat mir sehr geholfen. Wenn Sie mir die Akte bitte per Mail ins Büro schicken würden. Danke vielmals. « Er legte das Handy auf den Tisch und sah Teixeira triumphierend an.

      »Das war das Militär aus Marabá. Unser Mann auf dem Foto ist Dante Lopez. Er war in den Achtzigern beim 47° BIS und hat an einigen Operationen gegen die Indios teilgenommen. 1993 ist er als Segundo Tenente aus der Armee ausgeschieden. «

      Teixeira pulte sich ein Stückchen Maniok aus den Zähnen. Jetzt wusste er, warum ihm dieser Kerl so bekannt vorgekommen war! Langsam formte sich aus den einzelnen Teilchen ein Puzzle. Wenn sie jetzt noch do Nascimento fanden, würde aus dem Puzzle ein Bild entstehen, davon war er überzeugt. Er zog eine zerknickte Visitenkarte aus der Tasche und rief in Manaus an.

      »Bonfim, hier Teixeira. Unser Lopez, ja der Typ von Millers. Wir hatten Recht. Da gibt es eine Verbindung zu den Toten. Wir haben ihn auf einem Foto identifiziert, das irgendwo hier im Regenwald aufgenommen wurde. Wenn wir zuhause sind, lasse ich dir die Bilder zuschicken. Halte mal die Ohren auf und versuche herauszubekommen, was Lopez treibt, wenn er nicht bei Millers die Tür bewacht. Wir versuchen weiter mit do Nascimento zu sprechen. Tá bom. Ich melde mich wieder bei dir. «

      Sie beendeten ihre Mahlzeit und gingen am Ufer entlang. Nach einiger Zeit hatten sie sich zu Osvaldo durchgefragt. Er war ein Mischling unbestimmten Alters, dessen Furchen im Gesicht an die Rinde eines Baumes erinnerten. Seine Shorts mochten ehemals weiß gewesen sein und das löchrige Ronaldo-Trikot der Seleção von 1998 hatte er sicher auch lange nicht mehr gewaschen.

      Der Mann erklärte sich bereit, sie mit seinem Außenborder den Rio Guamá bis zur