K. Ingo Schuch

Armadeira


Скачать книгу

Wo hast du denn das andere Essen verstaut? «

      Der Caboclo drosselte die Geschwindigkeit und steuerte das Boot in die Flussmitte. Dann griff er unter seine Sitzbank und förderte ein löchriges Wurfnetz zu Tage. Das Boot begann bedenklich zu schwanken, als er, einen Fuß gegen die Bordwand gestemmt, das Netz über den Kopf schwang und es in hohem Bogen ins Wasser plantschen ließ. Noch bevor die Bleigewichte es vollständig unter die Wasseroberfläche ziehen konnten, zog er es wieder ein und entblößte seine Zahnstummel. Zwei winzige Fische zappelten im Netz. Osvaldo fingerte sie aus den Maschen und lies ihre silbrigen Leiber ins Boot fallen. Dann warf er das Netz erneut aus.

      Teixeira stieß Vanderlei mit dem Fuß an und flüsterte: »Sag, hast du noch was von den Keksen, die wir im Supermarkt gekauft haben? Ich kann mir eigentlich nicht so richtig vorstellen, wie unser tapferer Fischer hier uns mit den paar Guppys satt bekommen will. «

      Vanderlei reichte ihm wortlos eine halbleere Packung Schokokekse hin, die durch die Hitze schmierig aufgeweicht waren und schlug sich zum wiederholten Male auf den Nacken. »Die Moskitos hier sind ebenso hungrig wie wir. Außerdem... «

      Ohne Vorwarnung fiel ein Schuss. Das Boot schwankte so heftig, dass beide sich gerade noch am Dollbord festkrallen konnten. Osvaldo verschwand mit einem lauten Klatschen im Fluss. Er strampelte und schlug wild mit den Armen um sich, dann war mit einem Mal außer dem Zirpen der Zikaden und dem empörten Schnattern der Vögel hoch oben in den Baumwipfeln nichts mehr zu hören. Die beiden Polizisten duckten sich so tief es ging und sahen sich entsetzt an. Teixeira zog seine Dienstwaffe aus dem Holster.

      »Puta merda! Hast du eine Waffe? «

      »Chefe. Ich habe keine Dienstwaffe, schon vergessen? «

      »Okay, bleib hinter mir. «

      Das Boot war inzwischen in Ufernähe getrieben. Sie ließen sich über die Bordwand fallen und krochen an Land, wo sie sich in die Deckung eines großen Baumes kauerten. Halblaut zischte Teixeira: »Osvaldo. Capitão. Bist du da draußen irgendwo? «

      Sie versuchten weiter, die Geräusche einzuordnen. Nichts, das auf einen Schwimmer oder einen Menschen in Not hinwies. Neben ihrer Sorge um den Caboclo bewegte die beiden Polizisten natürlich auch ihre eigene Situation. Wo war der Schütze? Hatte er es auf sie abgesehen?

      »Und nun? «

      »Und nun? Nun hocken wir hier erst mal fest. Der Schuss kam, glaube ich, vom anderen Ufer. Um näher an uns heran zu kommen, müsste der Schütze also erst mal den Fluss überqueren. Aber wir können nicht zurück ins Boot. Da hocken wir wie auf dem Präsentierteller. Uns ohne Nahrung zu Fuß durch den Dschungel schlagen, können wir auch nicht. Bis zur nächsten Siedlung sind es bestimmt zwei Tagesmärsche. Vanderlei, es bleibt uns nicht übrig, als auf die Dunkelheit zu warten und zu hoffen, dass der Killer kein Boot hat. Und mein Magen knurrt jetzt schon wie ein tollwütiger Köter. «

      Vanderlei versuchte mit einem langen Ast nach der Bootsleine zu fingern, aber er konnte sie nicht erreichen. Bei einem erneuten Versuch stieß er gegen den Rumpf und das Boot trieb ab. Schnell hatte die Strömung es erfasst und in die Flussmitte gezogen.

      »Puta que o pariu! «

      Die Männer krochen noch tiefer an Land zwischen die dichte Vegetation und äugten immer wieder nach allen Seiten. Jetzt war ihnen zunächst jegliche Fluchtmöglichkeit genommen und es blieb ihnen nichts weiter übrig, als sich am Ufer entlang zu bewegen und zu hoffen, dass ihr Boot irgendwo flussabwärts angetrieben würde. Hoffentlich auf ihrer Seite.

      Die Hitze und die Insekten setzten ihnen nach einiger Zeit schwer zu.

      Teixeira nickte in Richtung des Flusses und brummte: »Irgendwann werden wir dieses Wasser trinken müssen, mein Junge oder hast du hier irgendwo eine taberna gesehen? «

      Dann stolperten sie weiter am Ufer entlang flussabwärts und lugten immer wieder zwischen den bodentiefen Hängepflanzen hindurch, in der Hoffnung, den blauen Bootsrumpf zu entdecken.

      Nach weiteren ihnen endlos erscheinenden Stunden legte sich die Dämmerung auf den Urwald. Bereits nach wenigen Minuten konnten sie die Hand vor den Augen nicht mehr erkennen.

      Die Männer suchten sich einen Platz, an dem sie die Nacht verbringen wollten. Unterwegs hatten sie von verschiedenen Früchten gekostet und wenn sie nicht bitter oder allzu fremd schmeckten, konnten sie mit ihnen wenigstens den dringlichsten Hunger stillen. Teixeira hatte kurz überlegt, wie groß seine Chancen standen, mit seiner Dienstpistole einer der Affen oder Vögel von Baum zu holen und den Gedanken verworfen. Die Schüsse würden ihren Gegnern nur ihren Standort verraten. Sie vereinbarten, abwechselnd wache zu halten aber nach einiger Zeit wurden die Stimmen der Wildtiere ergänzt durch ein zweistimmiges Schnarchen.

      Vanderlei kitzelte etwas an der Nase. Er wischte sich unwirsch mit der Hand über das Gesicht. Da war es wieder. Langsam öffnete er die Augen und erstarrte. Über seine Brust kletterte eine fette schwarze Spinne. Angewidert schlug er das Tier mit dem Handrücken weg, dann sprang er auf und kickte Erde und Blätter in Richtung des ekelhaften Wesens. Es war ihm gar nicht bewusst, dass er dabei quiekte wie ein Meerschweinchen.

      Ernesto Teixeira lag gegen einen Baumstamm gelehnt ein paar Schritte weiter. Sein Mund stand offen wie ein Basketballtor. Durch Vanderleis Gekeife wachte er auf und besah sich in der Morgendämmerung schlaftrunken die Szene, ohne sie zu verstehen.

      Endlich hatte Vanderlei es geschafft, die Spinne zu töten. Er hatte so viel Erde darauf gehäuft, dass sie sich nicht mehr bewegte. Er hasste die Viecher. Genau genommen hatte er sogar eine irrationale Angst davor, ihm könne eine ins Hemd krabbeln. Seine Nackenhaare hatten sich aufgestellt, er atmete schwer. Dann drehte er sich um und blickte seinem Chef ins Gesicht.

      »Spinnen! Hier gibt es Spinnen! Wahrscheinlich wäre ich schon so tot wie Tavares und die anderen, wenn ich nicht so einen empfindlichen Schlaf hätte! Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugetan und habe das Vieh gerade noch entdeckt, wie es sich herangeschlichen hat. « Er setzte sich auf den Baumstamm und barg das Gesicht in den Händen.

      Teixeira erhob sich ächzend und überprüfte nun auch erst einmal, ob sich irgend so ein Viehzeug an oder in seiner Kleidung versteckt hatte.

      Eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang erwachte der Dschungel, mit Zirpen, Summen, Zwitschern. Aus dem Blätterwald über ihren Köpfen erschallte das Meckern eines schapu, aus größerer Entfernung hörten sie die aufgeregten Schreie und Rufe von Brüllaffen.

      Sie zählten ihre Mückenstiche. Teixeira hatte an der Wade einen fetten Blutegel, der sich nur mit dem Taschenmesser ablösen ließ. Der Saugwurm hinterließ ein blutendes Loch von Fingernagelgröße. Der Polizist hatte mal gelesen, dass Urin desinfizieren sollte, also trat er neben einen Baum und pinkelte sich auf das Bein.

      »Ich bin schon froh, dass das Vieh nicht in meinem Nacken gesessen hat« rief er aufmunternd zu Vanderlei hinüber, der angewidert wegsah.

      Teixeira nestelte aus der Hemdtasche eine fast leere Packung Mentholzigaretten und steckte sich eine an. Sofort wurde ihm schwindelig. Die mangelhafte Nahrungsversorgung und die feuchte Schwüle taten seinem Kreislauf nicht gut. Zudem war er schon seit Jahren nicht mehr so viel gelaufen. Die Füße taten ihm weh und die Hände zitterten.

      Sie mussten weiter.

      Nach wenigen Metern sah Vanderlei etwas durch die Blätter. Er stieß seinen Vorgesetzten an. »Da! Da vorne! Das muss unser Boot sein! «

      Sie schoben die herabhängenden Lianen zur Seite und erblickten unweit entfernt tatsächlich das blaue Boot. Allerdings lag es kieloben auf einem Felsen. Teixeira konnte sich nicht erinnern, dass sie an diesem vorbei gekommen waren. War ja auch egal. Auf jeden Fall musste das Boot führerlos gegen die Steine geprallt und umgekippt sein. Sie mussten irgendwie dort hinüber gelangen und versuchen, es wieder aufzurichten. Er erklärte es dem jungen Ermittler.

      Vanderlei sah ihn entsetzt an. »Sie meinen, ich soll in diesem Wasser schwimmen? Und wenn da Krokodile, Piranhas oder diese – wie heißen die – ach, ist ja auch egal – in diese