K. Ingo Schuch

Armadeira


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kippte plötzlich mitten im Satz nach vorne weg. Die Ruderpinne riss er dabei herum und das Boot verlor sofort an Fahrt, wechselte die Richtung und trieb mit der Strömung in die Flussmitte. Vorne fluchte Vanderlei, weil er einen Schwall Wasser abbekommen hatte.

      Teixeira beugte sich nach hinten und rüttelte do Nascimento heftig. Der Mann lag mit dem Gesicht nach unten auf den Knien als würde er beten. Er rührte sich nicht. Offenbar blutete er stark aus einer Kopfwunde. Der massige Kommissar rutschte ächzend über seine Sitzbank, die aus einem schmalen Holzsteg bestand und versuchte dabei, das heftig schwankende Boot nicht umzukippen. Schließlich saß er auf dem Hosenboden halb neben, halb über dem reglosen Körper und griff sich das Steuer. Er wusste dass man den Griff drehen musste, um Gas zu geben, ganz so wie bei einem Moped. Der Motor heulte auf und das Boot beschrieb einen Bogen in Richtung Ufer. Teixeira kniff die Augen zusammen und suchte nach einer Stelle, an der man aussteigen konnte. Gerade hier war die Vegetation aber sehr dicht und die Äste hingen teilweise bis ins Wasser herab. Zudem war das ohne seine Brille ein reiner Blindflug.

      Er rief: »Vanderlei, hast du irgendwas mitbekommen? Unser Mann hier blutet. Ich glaube, jemand hat auf ihn geschossen. Wir sollten dringend an Land gehen und ihn untersuchen. Komm her, wir müssen die Plätze tauschen. «

      Sein Assistent rollte die Augen und machte sich auf den Weg. Dieses Boot war ein gutes Stück länger als das des guten Osvaldo, aber extrem schmal. Er musste über irgendwelche Gerätschaften klettern, die auf dem Boden verstaut waren, während Teixeira so gut es ging versuchte, die Fahrtrichtung zu halten. Der Fluss mochte hier vielleicht zwanzig Meter bereit sein und sie waren nahe am linken Ufer. Endlich war Vanderlei direkt vor ihm und sah zunächst nach do Nascimento. Er tastete nach der Halsschlagader und nickte irgendwann.

      »Chefe, er lebt noch. Ich kann seinen Puls ganz schwach spüren. Wie wollen wir es machen? Am besten rutschen Sie ganz an die Seite und ich versuche, über ihn hinweg zu steigen, dann greife ich mir das Steuer und versuche, eine Stelle zum Anlegen zu finden. «

      Teixeira quetschte seine zwei Zentner ganz an die niedrige Bordwand und Vanderlei stand wackelig auf den paar Zentimetern, die ihm noch zwischen Teixeiras Füßen und do Nascimentos reglosem Körper blieben. Das schmale Boot schwankte hin und her wie eine Flaschenpost im Ozean und Vanderlei musste sich an seinem Vorgesetzten festklammern. Als er sich umdrehte, um sich hinzusetzen, verlor er endgültig den Halt und fiel wie ein Sack Maniokknollen ins Wasser.

      Teixeira nahm sofort das Gas weg und das Boot stoppte. Er beugte sich zur Seite und nach hinten und versuchte, seinem prustenden Assistenten eine Hand zu reichen, aber er sah gleich ein, dass das nur dazu führen würde, dass er ebenfalls in den Fluss fallen würde. Bei dem Gedanken an die Candirú und an die Kaimane, die sie bereits auf der Herfahrt gesehen hatten, wurde ihm ganz übel. Aber gerade aus diesem Grund musste Vanderlei aus dem Wasser!

      »Kannst du stehen? Wie tief ist das hier? «

      Vanderlei trat Wasser und versuchte, mit einem Fuß den Grund zu erreichen. Sofort verschwand sein Kopf in der trüben Brühe. Als er wieder hochkam, keuchte er: »Zu tief, hier kann ich nur schwimmen. Ich versuche, ans Ufer zu kommen. Ins Boot schaffe ich es nicht, das kippt sofort um. «

      Er warf sich herum und schwamm auf das Ufer zu.

      Teixeira fluchte wie ein vaqueiro. Der Motor tuckerte im Leerlauf. Er drehte sachte am Gashebel und folgte dem Schwimmer.

      Vanderlei wollte so schnell wie möglich aus dem Wasser. Mit einigen kräftigen Armzügen erreichte er das Ufer. Der Fluss wurde hier nicht flacher, also musste er nach einem herabhängenden Ast greifen und sich mühsam ins dichte Unterholz ziehen, das ihm Arme und Gesicht zerkratzte. Hier schaute er sich um und fand eine große Baumwurzel, die als Anlegestelle für das Boot herhalten mochte.

      Teixeira nahm das Gas wieder ganz weg und lies sich treiben. Vanderlei packte das Boot und zog es längsseits. Teixeira griff do Nascimento unter den Achseln und wuchtete ihn ächzend hoch und dann über die Bordkante, während sein triefender Assistent mit einem Bein in der Wurzel hing, mit einer Hand das Boot hielt und mit der anderen versuchte, den leblosen Körper entgegen zu nehmen. Es ging natürlich schief und mit einem Mal lagen alle drei im Wasser. Das Boot erhielt einen Stoß und trieb sofort ab. Zum Teufel damit! Sie waren damit beschäftigt, sich selbst irgendwo festzuklammern und zudem noch do Nascimento vor dem Absaufen zu bewahren. Spuckend und fluchend zerrten, strampelten und schoben sie, bis sie schließlich halb im Gestrüpp, halb im Wasser hingen.

      Die beiden Polizisten keuchten vor Anstrengung und unterzogen ihren leblosen Begleiter einer näheren Untersuchung. Teixeira untersuchte so vorsichtig er konnte die Wunde an do Nascimentos Hinterkopf.

      »Merda!« Er legte dem Mann das Ohr auf die Brust. Das Herz schlug schwach, aber regelmäßig. Do Nascimento war tatsächlich anschossen worden. Wegen des Motorengeräuschs hatten sie den Schuss nicht gehört. Zum Glück schien er nur ein Haarbüschel und etwas Fleisch verloren zu haben. Die Wunde blutete stark. Teixeira zog dem Mann das Hemd aus und riss es in Streifen. Die Fetzen wickelte er ihm als behelfsmäßigen Verband um den Kopf.

      »Was machen wir jetzt? Das Boot ist schon ein gutes Stück weggetrieben. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das noch erreiche, wenn ich jetzt hinterher schwimme. Ehrlich gesagt, habe ich auch keine Lust, schon wieder in die Brühe zu springen! «

      »Vanderlei, das kann ich dir nicht verübeln. Mir reicht es jetzt auch. Wir sollten versuchen, uns schleunigst aus dem Staub zu machen. Irgendjemand hat es auf unseren Chico hier abgesehen und wir geben hier schon wieder eine verdammte Zielscheibe ab. «

      Sie zerrten do Nascimento irgendwie die Böschung hoch und lehnten ihn an einen Baum. Der Mann war weiterhin bewusstlos, was Teixeira angesichts des Fehlens jeglicher Schmerzmittel begrüßte.

      Teixeira überschlug, wie weit sie seit ihrer Abfahrt vom Lagerplatz gekommen sein mochten. Gestern hatten sie bereits nach wenigen Stunden Bootsfahrt keine menschlichen Behausungen mehr gesehen. Do Nascimento hatte aber davon gesprochen, dass die nächste Siedlung nur ein paar Kilometer von ihrem Treffpunkt lag. Das war vor einer Stunde oder so gewesen. Aber sie waren auf der falschen Seite des Flusses. Sie hatten keine Ahnung, ob und wann sie auf Menschen treffen würden, aber wenn sie weiter hier herum saßen, bestand die Gefahr, dass der Killer nach ihnen suchen würde. Vielleicht steckte er gerade jetzt hinter irgendeinem Baum und hatte sie im Visier.

      Aus einigen Ästen und do Nascimentos Gürtel bastelten sie eine höchst erbärmliche Trage, von der ihr Patient ständig herunterzurutschen drohte, aber das musste irgendwie gehen. Jeder schnappte sich zwei Astenden und sie brachen auf, weiter flussabwärts.

      Zwischen den Baumriesen wuchsen kleinere Büsche und Schlingpflanzen und immer wieder versperrte ihnen ein umgestürzter Baum den Weg, über den sie mühsam hinweg klettern mussten wie Käfer. Nass waren sie sowieso schon und so machte ihnen die Feuchtigkeit hier im dichten Wald schon nichts mehr aus. Es war fast, als fiele ständig ein feiner Sprühregen aus den Wipfeln der uralten Bäume. Meist konnte man nur erahnen, wie weit nach oben die mächtigen Stämme reichten, die abwechselnd grünlich und rostrot schimmerten.

      Vanderlei ging vor und Teixeira folgte ihm wie ein Blinder seinem Hund. Von ihrem kurzen Marsch heute Morgen, mittlerweile war es schon wieder Nachmittag und ihre Mägen knurrten wie die Jaguare, hatten beide bereits einige tiefe Risse in Haut und Kleidern davongetragen und hier war das Dickicht noch erbarmungsloser. Wie schon am Morgen hielten sie sich soweit es ging in der Nähe des Flusses, da an dessen Ufern unweigerlich früher oder später eine Siedlung auftauchen musste.

      Bald klagte auch Vanderlei über Kopfschmerzen und Schwindel. Sie hatten keinerlei Nahrungsmittel. Trotz der hohen Luftfeuchtigkeit fehlte ihnen in erster Linie Flüssigkeit. Es war heiß und Teixeira rann der Schweiß in kleinen Bächen den Nacken und die Brust hinab. Er keuchte schwer und in den Schläfen spürte er heftig seinen Herzschlag. Ihre Schritte wurden immer kürzer.

      Nach einer gefühlten Ewigkeit mussten sie eine Pause einlegen. Sie setzten die Trage vorsichtig ab und ließen sich auf einen umgestürzten Baumriesen fallen. Vanderlei hatte tiefschwarze Ringe unter den Augen und Teixeira hatte ihn noch nie so blass gesehen. Plötzlich fing der junge Mann an zu würgen