K. Ingo Schuch

Armadeira


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war vor Jahren mit seinen Eltern schon einmal hier gewesen, er konnte sich aber nur noch an das Opernhaus erinnern, über dessen ästhetischen Wert man geteilter Meinung sein konnte. Ihr Ziel war ein Industriekomplex unten am Hafen.

      Am Flussufer standen einige Fabrikgebäude, die aussahen wie eine Mischung aus Sägewerk und Containerhallen, etwas versetzt dahinter ein langweiliges Verwaltungsgebäude aus den Siebzigern, das keine Rückschlüsse darauf zuließ, dass sich hinter seinen Fenstern einer der größten Holzkonzerne Südamerikas verbarg.

      Am Haupttor hielt der Wachmann telefonisch Rücksprache und lies sie dann passieren. Dutzende Holztransporter standen in Reihen vor Laderampen und wurden von Männern in Gabelstaplern und kleinen Kränen mit Greifern sowohl be- als auch entladen. Offenbar kamen einige der mächtigen Stämme über den Fluss und wurden per LKW weiter transportiert aber es wurden auch welche abgeladen. Der Standort hier schien auch eine Art Umschlagplatz zu sein.

      Ihre Gesprächspartner warteten im dritten Stock in einem geschmackvoll eingerichteten, nicht sehr großen Büro, durch dessen Fenster man einen fantastischen Blick auf den Fluss hinaus hatte. An einem Besprechungstisch saß Senhor Carl Porter, der leitende Direktor. Er erhob sich und begrüßte die drei Polizisten kühl. Yankee, dachte Teixeira. Ein kleiner Mann mit feingliedrigen, manikürten Fingern. Intelligenter Blick. Er wirkte hier im Amazonas-Gebiet merkwürdig deplatziert. Eher hätte man ihn sich in einem holzgetäfelten Büro mit Blick auf Manhattan vorstellen können.

      Mit ihm im Büro befand sich ein kräftiger Mann mit einem militärischen Haarschnitt und einer hängenden Unterlippe, die Teixeira spontan an einen Fila denken ließ. Dante Lopez, der sich als Sicherheitschef vorstellte. Irgendetwas an dem Mann kam ihm merkwürdig bekannt vor. Er versuchte sich zu erinnern, wo er ihm schon einmal begegnet sein mochte, aber er kam nicht darauf.

      Ohne die üblichen Höflichkeitsformeln auszutauschen, preschte Porter vor: »Delegado, spielen wir offen. Direktor Tavares war ein bedeutender Mann in unserem Unternehmen und selbstverständlich haben wir eigene Erkundigungen angestellt. Was, glauben Sie, ist ihm zugestoßen? Laut Autopsie Bericht starb er zwar an dem Gift, aber wenn es sich um einen Unfall handelte, hätten Sie sicher nicht den weiten Weg zu uns auf sich genommen, richtig? «

      Teixeira nahm sich vor, vorsichtig zu sein. Woher hatte der Typ den Autopsie Bericht? In diesem Land war es zwar nicht ungewöhnlich, dass der Schwager deiner Putzfrau zufällig eine Autowerkstatt betrieb, in der der Fahrer des Staatsanwalts immer die Reifen nachschauen ließ und wenn man hier und da mal eine kleine Gefälligkeit...

      »Man hat mir gesagt, dass es im Staat São Paulo wahrscheinlicher ist, von einem abstürzenden Hubschrauber getroffen zu werden als durch den Biss einer Giftspinne ums Leben zu kommen. Da ist die Wahrscheinlichkeit doch hier an Ihrem Firmensitz sicher viel größer, nicht? «

      »Nun, wir leben sozusagen am Rande des Dschungels. Sie können sich vorstellen, dass es trotz aller Vorsichtsmaßnahmen ab und an auch zu schmerzhaften Begegnungen zwischen unseren Arbeitern und der einheimischen Fauna kommt. Sie haben natürlich völlig Recht. Es wäre schon eine Laune des Schicksals, dass Direktor Tavares ausgerechnet an seinem Urlaubsdomizil Opfer eines solch tragischen Unfalls würde. Deshalb haben wir die Presseversion auch keinen Augenblick lang geglaubt. Haben Sie schon einen Verdacht, irgendwelche Spuren? « Er blickte Teixeira herausfordernd an.

      Der Kommissar war froh, mit Porter Klartext reden zu können. »Senhor Porter. Es ist offenbar ein Perverser unterwegs, der Menschen mit Spinnengift umbringt. Ich will die Zusammenhänge verstehen und hoffe, Sie können mir etwas über Tavares erzählen. Und wenn wir schon dabei sind, können wir uns auch gleich über Matheus de Oliveira, Leonardo Mateus Alves und Lucimar Silva unterhalten. «

      »Wer ist das? Diese Namen sagen mir nichts. «

      Bildete Teixeira es sich nur ein oder hatte sich der Sicherheitschef bei Aufzählung der Namen etwas zu angestrengt auf einen Fleck an seinem Hemdsärmel konzentriert? An wen nur erinnerte ihn der Typ? Gleich musste es ihm doch einfallen, er spürte, dass er kurz davor war. Er fuhr fort: »Das sind alles ehemalige Mitarbeiter Ihres Unternehmens, die durch Spinnengift ums Leben gekommen sind. Es scheint zudem nicht gerade ungefährlich, in Ihrer Sicherheitsabteilung zu arbeiten. Wovor genau müssen Sie sich eigentlich schützen? Sie erinnern sich an diesen Leandro Aranjo? «

      Lopez verschränkte die Arme vor der Brust und sah den Kommunikationschef auffordernd an.

      Porter antwortete: »Aranjo. Natürlich erinnere ich mich an die tragische Sache. Das war, warten Sie, im Februar 2007, als die Regierung diese Militäraktion abgezogen hat, um der Öffentlichkeit vorzugaukeln, sie unternähme endlich etwas gegen die illegale Abholzung des Regenwaldes. Der Mann war ein Opfer der Regierungswillkür und es ist ein Skandal, dass man damals den Täter nicht ermittelt und vor ein Militärgericht gestellt hat. Unsere Firma zahlt seiner Witwe eine Pension und zwar aus freien Stücken. « Er beugte sich vor und sah seine Besucher der Reihe nach an.

      »Wissen Sie, was unser Problem ist? Der Regenwald am Amazonas ist der größte noch intakte Regenwald dieser Erde und eines der artenreichsten Gebiete. Aber die weltweite Nachfrage der Industriestaaten und Chinas nach Soja als Futtermittel bedroht immer größere Waldflächen. Gleichzeitig steigt durch die Nachfrage nach billigem Fleisch, vor allem in Europa, der Bedarf an Weideflächen. Brasilien als Futterkrippe der Welt. Und nun kommt der dritte Faktor: Der weltweit wachsende Bedarf nach Agrokraftstoffen. Brasilien ist weltweit in einer Vorreiterrolle für Biosprit und jetzt machen es alle nach. Okay, die Chinesen und Inder haben offenbar die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt, aber der Bedarf in den anderen Industrienationen steigt. Und wer soll ihn decken? Natürlich Brasilien. Zuckerrohr und wieder Soja. Glauben Sie, es verbessert wirklich die Ökobilanz, wenn der Holzindustrie durch immer schärfere Auflagen die Existenzgrundlage entzogen wird? Die Regierung selbst ist der größte Umweltsünder, weil sie vor den Sojabauern und den Großgrundbesitzern den Schwanz einzieht. Unser Unternehmen war eines der ersten, das ein konsequentes Vorgehen gegen das unkontrollierte Abholzen gefordert hat und das nicht erst nach Kyoto 1997. Die so genannten tropischen Hölzer spielen für Millers inzwischen kaum mehr eine Rolle. Wir unterhalten ein umfangreiches Wiederaufforstungsprogramm und setzen in erster Linie auf schnell nachwachsende Sorten wie Eukalyptus. Die Möbel oder Parkettböden aus tropischem Holz in den europäischen Villen stammen aus Indonesien, kaum noch aus Brasilien. «

      Teixeira hatte keine klare Meinung zu der Frage, ob es schlimmer war, dass mit dem Soja Millionen Rinder ernährt wurden, die mit ihren Ausdünstungen das Klima vergifteten oder dass aus dem Zeug Biosprit hergestellt wurde, dessen Rückstände von Millionen Autos in die Luft geblasen wurden. Eines war so schlecht wir das andere. Allerdings konnte man Autos nicht essen.

      »Senhor Porter. Ich bin nicht hierhergekommen, um mit Ihnen über Ursachen und mögliche Lösungen der Regenwaldproblematik zu streiten. Ich bin dafür auch gar nicht qualifiziert. Ich ermittle in einem oder zwei Mordfällen. Was wissen Sie über Matheus de Oliveira? «

      »Sie erwähnten den Namen eingangs bereits. Nicht gerade selten. Haben Sie nähere Informationen für mich? Was ist mit dem Mann? «

      Vanderlei holte sein Smartphone hervor und schob einige Widgets hin und her, bis er seine Notizen gefunden hatte.

      »Geboren am 27. Dezember 1959 in São Luiz, Pará. Ledig. Zuletzt wohnhaft in São Paulo. Er hat zuletzt bei einer privaten Sicherheitsfirma gearbeitet. Es ist leider nicht viel mehr über ihn bekannt, außer dass er bis vor drei Jahren bei Ihnen angestellt war. «

      Porter sah Lopez auffordernd an. Der zuckte mit den Schultern und brummte: »Wir haben eine recht hohe Fluktuation. Das ist hier kein leichter Job. Es gibt ständig Auseinandersetzungen mit irgendwelchen Umweltaktivisten und sensationsgierigen Journalisten, die versuchen, sich in den Betrieb einzuschleichen. Kann sein, dass ein de Oliveira mal hier beschäftigt war. Und jetzt ist er tot? Das tut mir leid. São Paulo scheint wirklich ein gewalttätiger Ort zu sein. Ich war bislang noch niemals so weit im Süden. «

      »Sie hören ja. Da werden wir Ihnen wohl nicht weiterhelfen können. Wenn Sie mir die Daten hier lassen, kann ich gerne überprüfen lassen, ob wir seine Personalakte noch haben. Aber wollten Sie nicht eigentlich etwas über Direktor Tavares