Jörn Kolder

Betriebsfeiern(n) bis die Hütte brennt!


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abgezogen hatte, waren ihr bis Dezember 2013, also 12 Jahre lang 250 Euro zugegangen, was 144 Monate Abzocke bedeutete und ihr 36.000 Euro eingebracht hatte. Für die seit 2005 laufenden Transaktionen waren es 9 Jahre gleich 108 Monate zu jeweils 150 Euro gewesen: 16.200 Euro. Ab 2007 ergaben sich 7 Jahre zu jeweils 850 Euro: 84 Monate und 71.400 Euro. Insgesamt machte das 123.600 Euro.

      Als eines Tages wieder einmal Gunter Kriegel in der Firma erschienen war und seinem Vater laut (so dass es wieder alle hören konnten) klar gemacht hatte, dass in einem mittelständigen Unternehmen wie der KME ein Controller unabdingbar sei, hatte Birgit Frenzel für einen Augenblick kalte Füße bekommen. Dass so ein Typ jedes einzelne Konto unter die Lupe nehmen würde bezweifelte sie allerdings. Wenn sie jetzt die Zahlungen an sich selbst abrupt stoppen würde, würde sie sich erst recht verdächtig machen, und ließ die Dinge also laufen. Sie benötigte noch ungefähr ein viertel Jahr, dann wäre der Kredit für die Eigentumswohnung abbezahlt. Die Höhe und den Zeitpunkt des Erscheinens der getürkten Rechnungen hatte Birgit Frenzel nicht willkürlich festgelegt, sondern, als sie die zusätzlichen Rechnungen generierte, ganz genau ausgerechnet, wann sie den Kredit abgestottert haben würde. Einen Monat vor dem 18. Geburtstag ihres jetzt 17jährigen Sohnes, im April 2014, sollte es soweit sein. Die Wohnung wollte sie ihm dann als Startgeschenk für ein unbeschwertes Leben überschreiben. Das motivierte sie, die Sache jetzt noch die letzten Wochen eiskalt durchziehen zu wollen.

      Obwohl Friedhelm Richter sich gern von neuer Technik fernhielt war es ihn damals durchaus bewusst gewesen, dass er nicht daran vorbeikommen würde mit der Zeit zu gehen, und auf die Bearbeitung der Geschäftsvorfälle mittels Computer zu setzen. Als die Geräte so um die Mitte der achtziger Jahre herum langsam erschwinglicher wurden kaufte er für die Beschaffungs- und Vertriebstruppe zunächst zwei PC und ließ diese von einem Spezialisten einrichten. Der Mann hatte ihm erklärt, dass der Umgang mit den Maschinen nicht ganz einfach wäre und entsprechendes Wissen voraussetzen würde. Richter sollte sich überlegen, wem er das zutrauen würde und die Leute zu einem Lehrgang schicken. Ob er vielleicht nicht selbst Interesse daran hätte, hatte der Mann noch gefragt. Richter hatte dies scheinheilig mit dem Argument abgewehrt, dass er unbedingt die Geschicke des Unternehmens in der Hand behalten müsste und somit vollkommen unabkömmlich wäre. Er schlug dann zwei Mitarbeiter vor, die ihm einigermaßen geeignet erschienen. Als diese begeistert von den Möglichkeiten der Rechner berichteten, und die Sache dann tatsächlich auch funktionierte, wurde Friedhelm Richter von dem ausbrechenden Computerfieber angesteckt und bestellte für sich selbst auch einen PC. Dieser wurde in seinem Büro aufgebaut und der Unternehmer ging davon aus, dass er sich eventuell doch ohne Unterweisung in diese Technik einfuchsen könnte. Richter nahm an seinem Schreibtisch Platz und besah sich das Gerät.

      Der Kasten schien der Computer zu sein, und das fernseherartige Gebilde wurde wohl als Monitor bezeichnet. Vor dem Monitor lag eine Tastatur, mit der sich Richter auszukennen glaubte, denn sie erinnerte ihn an die Schreibmaschinentasten, die er jahrelang gedrückt hatte. Komischerweise wies dieses flache Teil aber viel mehr Tasten auf als er es gewohnt war. Friedhelm Richter hatte keinen blassen Schimmer was er nun tun musste. Also rief er einen der Mitarbeiter, der zur Schulung gewesen war zu sich, und ließ sich die Arbeitsschritte erklären. Zu Richters großem Erstaunen wurden auf dem Bildschirm nach einiger Zeit Zeichen sichtbar, die er aber nicht deuten konnte. Dann bauten sich Grafiken auf und der Mann sagte, dass dies das hochmoderne Windows 2 wäre. Richter konnte überhaupt nicht verstehen, wie man ein Produkt „Win Doofs“ nennen konnte. Wollten die arroganten Anbieter damit auf die mangelnden Fähigkeiten der Nutzer anspielen? Das ging ihm ein ganzes Stück zu weit, und da er bereits die Mitte der 50 überschritten hatte, baute sich in ihm eine heftige Allergie gegen dieses Gerät auf. Trotzdem tat er noch eine Weile interessiert und schickte den Mann dann fort, ohne überhaupt etwas begriffen zu haben. Als Friedhelm Richter später dann in 10 Jahren aus dem Berufsleben ausscheiden sollte, war sein Computer nur dieses einzige Mal für wenige Minuten in Betrieb gewesen.

      Die anderen Mitarbeiter jedoch sahen in den Computern die Möglichkeit, sich die Arbeit tatsächlich zu erleichtern, und Richter konnte gar nicht anders, als ihre Forderungen zu erfüllen. Das riss zwar ein ziemliches Loch in das Geschäftskonto, aber die Produktivität der Angestellten stieg erfreulich an. Nach kurzer Zeit konnte sich eigentlich keiner der im Büro Beschäftigten mehr vorstellen, wie mühsam früher die Bearbeitung der Geschäftsvorfälle gewesen war. So etwas wie echte Begeisterung für die moderne Technik war zu spüren gewesen, außer natürlich bei Friedhelm Richter, der diese Gefühlsausbrüche überhaupt nicht verstehen konnte. Jedenfalls lief der Laden jetzt deutlich effektiver und Richter war sich auch klar geworden, dass er ohne die immer noch recht teure Technik mehr Leute hätte einstellen müssen. Dass in den Fabriken immer mehr automatisiert wurde schien ihm einzuleuchten, aber dass dieser Trend jetzt offensichtlich auch auf die Büroarbeit übergriff, beunruhigte ihn schon sehr, weil er von dieser Sache keinen blassen Schimmer hatte. Sein eigentlich recht simples Geschäftsmodell, etwas zu beschaffen, woran andere Bedarf hatten, funktionierte immer noch einwandfrei. Dennoch war sich Friedhelm Richter sicher, dass er bei der technischen Aufrüstung weiterhin am Ball bleiben musste.

      Ausgehend von dieser Überlegung stellte er 1992 einen Diplomingenieur für Informationsverarbeitung ein. Der Mann hatte für Richters Maßstäbe unverschämt hohe Gehaltsvorstellungen geäußert, aber dem Unternehmer war dieses Arbeitsgebiet dermaßen suspekt, dass er sofort darauf einging. Peter Grundmann war tatsächlich sein Geld wert, aber auch ein ausgesprochenes Schlitzohr. Dass er die vereinzelt arbeitenden Computer als erste Handlung sofort in ein Rechnernetzwerk einband führte zu einem derartigen Produktivitätssprung, dass die Mitarbeiter regelrecht hingerissen waren, weil sie jetzt auf verschiedenste Programme und Datenbanken zugreifen konnten. Ihre Arbeitsabläufe wurden dadurch noch mehr standardisiert und ihnen so eine Menge Arbeit abgenommen. Grundmann war zwar am technischen Fortschritt gelegen, aber eigentlich verfolgte er eine Vielzahl anderer Ziele, die mit der „KME Export-Import GmbH“ nur mittelbar, oder rein gar nichts zu tun hatten.

      Gunter Kriegel sah sich selbst als hoffnungsvollen Manager, der die „KME Export-Import GmbH“ binnen kürzester Zeit radikal umkrempeln und an die Börse führen würde. Für ihn stand fest, dass er nach Abschluss seines BWL-Studiums seinen Vater als Geschäftsführer beerben würde, denn wenn alles gut lief, könnte er selbst in drei Jahren im Alter von 25 Jahren Diplomkaufmann sein. Sein Vater wäre dann 59 Jahre alt und könnte in den Ruhestand gehen. Damit verbunden wäre natürlich auch die Abtretung der Gesellschafteranteile an ihn, Gunter Kriegel. Seinen Großvater Friedhelm Richter, falls der dann noch leben sollte, würde er wegen Demenz für geschäftsunfähig erklären lassen. Auch dessen Gesellschafteranteile würden dann an ihn übergehen. So gesehen wäre er also in einem überschaubaren Zeitraum Alleingesellschafter und hätte demzufolge alle Fäden in der Hand. Erstmalig würde dann mit ihm ein fachlich hoch qualifizierter Mann an der Spitze des Unternehmens stehen, denn sein Großvater hatte gar keinen Abschluss, und sein Vater war ein stinknormaler Verkäufer gewesen. Großvater und Vater wollte er mit einer monatlichen Zahlung ruhig stellen.

      Leider war es so, dass die Wunschvorstellungen von Gunter Kriegel nicht mit der Realität übereinstimmten. In den Fächern, wo es um wohltönende Marketingprosa oder ähnliches Gewäsch ging, war er gut, denn das rhetorische Talent hatte er zweifellos von seinem Vater geerbt. Wurde es hingegen konkret, wie in der Finanzmathematik oder im Rechnungswesen, ruderte Kriegel hilflos durch den Studienstoff, denn vieles erschloss sich ihm überhaupt nicht. Er hatte die Strategie entwickelt, bestimmte Sachen auswendig zu lernen, um wenigstens rudimentäre Kenntnisse erlangen zu können. Systemdenken war ihm völlig fremd. So wandte er erhebliche Zeit dafür auf, stur zu pauken. Sobald sich aber irgendein Element in einer Aufgabenstellung veränderte tappte Kriegel bei der Lösung vollkommen im Dunkeln. Die Dozenten bekamen schnell mit, dass der junge Mann ein Blender war, aber drückten sehr oft ein Auge zu. Manche seiner Leistungen waren aber so grottenschlecht gewesen, dass er bei den Prüfungen gnadenlos versagte. Das hatte zur Folge, dass Kriegel schon einige nicht bestandene Prüfungen und damit auch nicht abgeschlossene Fächer hinter sich herschleppte. Falls er das Studium überhaupt jemals erfolgreich abschließen sollte,