Jörn Kolder

Betriebsfeiern(n) bis die Hütte brennt!


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deutlich zum Ausdruck.

      Er richtete es stets so ein, dass die Tür zum Büro seines Vater, Hubertus Kriegel, weit geöffnet war. Der Vater des jungen Mannes war nicht unbedingt glücklich darüber, dass er in einer Art Glaskasten saß, dessen Wände nur bis Hüfthöhe reichten, und sich darüber dann Scheiben anschlossen. Friedhelm Richter hatte stets Wert darauf gelegt ein Auge auf seine Leute zu haben, und Kriegel war schlichtweg zu faul gewesen etwas durch Baumaßnahmen am Zustand seines Büros ändern zu lassen. Also konnte er sehen was die Mitarbeiter so trieben, und diese im Gegenzug ihn beobachten. Da sich Kriegel meistens mit Modejournalen beschäftigte war für die Angestellten klar, dass von dem Mann keinerlei Impulse für die Weiterentwicklung der Firma ausgehen würden und sie zogen einfach gelangweilt ihr eigenes Ding durch. Auch Gunter Kriegel hatte das Desinteresse seines Vaters wahrgenommen und beschlossen, ihn auf Linie zu bringen.

      „Die Performance muss stimmen, ansonsten werden sich die Mitwettbewerber Marktanteile holen“ sagte er so laut, dass es die Mitarbeiter hören konnten.

      „Du solltest einmal eine Portfolioanalyse anschieben, um zu prüfen, wo die Firma überhaupt steht. Was sind die Cash-Cows, und wo sind wir schwach. Man muss sich strategisch aufstellen, um in Marktlücken vorzustoßen. Dazu muss sowohl die Unternehmensführung als auch das Humankapital innovativ sein und sich weiterentwickeln. Schumpeter hat einmal von der kreativen Zerstörung gesprochen. Für uns bedeutet das eine ständige Veränderung der Prozesse, das Infrage stellen alter Gewohnheiten und die Überprüfung jeglicher Arbeitsabläufe. Der Unternehmer muss genau wissen, was seine Mitarbeiter tun, und wo Reserven liegen um die Produktivität zu erhöhen.“

      Gunter Kriegel zog ein Blatt Papier aus seiner Aktentasche und legte es vor seinem Vater hin.

      „Ich habe hier einmal eine Arbeitsanalyse vorbereitet, denn ich gehe davon aus, dass deine Mitarbeiter nicht durchgängig ausgelastet sind.“

      Kriegel schaute aus dem Glaskasten heraus auf die an ihren Schreibtischen hockenden Angestellten, die jetzt höchste Anstrengungen simulierten.

      „Es kann doch nicht sein“ fuhr der BWL-Student so laut fort, dass es die Leute hören konnten, „dass es hier Leute gibt, die sich abducken und die Leistungsträger so diskreditieren. Für alle muss der gleiche Maßstab gelten. Sicher werden einige dabei sein deren intellektuelles Niveau nicht für anspruchsvolle Aufgaben ausreichen wird, aber die Talente sind eben nicht gleichmäßig verteilt. Ich zum Beispiel komme auf einen 14 Stunden Studientag weil die Anforderungen so hoch sind, dass nur die Besten dieses Studium bewältigen können. Deine Mitarbeiter werden also diese Bögen über einen Zeitraum von vier Wochen ausfüllen, dann werde ich diese auswerten und genau feststellen können, wer hier die Trittbrettfahrer sind, die sich auf Kosten der anderen durchmogeln.“

      Mit diesen Worten verließ Gunter Kriegel das Büro seines Vaters, ging immer wieder Blicke auf die an ihren Schreibtischen hockenden Leuten werfend vorbei, dann nach draußen auf den Gang, und ließ seinen verunsicherten Vater in seinem Glaskasten zurück. Hubertus Kriegel schaute sich das Blatt an. Sein Sohn hatte drei Spalten angeordnet, in denen stand:

      Datum, Tätigkeit, Zeit von bis. Ganz oben rechts war der Name des Mitarbeiters einzutragen.

      Hubertus Kriegel war stets dem Motto leben und leben lassen gefolgt, denn damit war er bislang bestens gefahren. So wie er es überblickte lief die Firma auch ohne sein Zutun, warum also sollte er sich irgendwie engagieren. Er ging zwar ab und an die verschiedenen Büros und tat interessiert, aber es war ihm eigentlich vollkommen egal, was die Leute dort machten. Solange es keine Anzeichen dafür gab, dass es der Firma schlecht ging, oder sich die Angestellten ihm gegenüber im Ton vergriffen sah er keinerlei Anlass dafür, aktiv zu werden.

      Jeden ersten Mittwoch nach Monatsende ließ er Birgit Frenzel Punkt 11 Uhr in seinem Büro zum Rapport antreten. Die Bilanzbuchhalterin trug dann in sprödem Ton die Ergebnisse vor, und Kriegels einzige und sich jedes Mal wiederholende Frage war:

      „Wie sieht es aus?“

      Da die Antwort meistens gut oder sehr gut lautete sah der Geschäftsführer keinen Grund, noch weiteres erfahren zu müssen. Die ganze Prozedur nahm nie mehr als fünf Minuten in Anspruch, so dass sich Kriegel dann wieder der Lektüre von Modejournalen widmen konnte oder sich im Internet diverse Seiten anschaute. Vor der jährlich stattfindenden Jahresabschlussprüfung hatte Kriegel immer Schiss, denn er wusste überhaupt nicht so recht, was er dem Wirtschaftsprüfer dann erzählen sollte. Wenn es dann wieder einmal soweit war führte er einen kurzen Smalltalk und verwies auf Birgit Frenzel. Dass diese schon lange ihr eigenes Süppchen kochte wusste Kriegel natürlich nicht.

      Jedenfalls stand er momentan vor dem Problem, es sich mit den Mitarbeitern gründlich zu verscherzen, wenn er diesen die Arbeitsanalyse aufdrückte. Was sollte damit eigentlich erreicht werden? Hubertus Kriegel war nicht entscheidungsfreudig und vertagte die Sache einfach, ganz würde er nicht daran vorbeikommen können, denn sein Sohn würde mit Sicherheit danach fragen. Also drückte er das Blatt am nächsten Tag seiner Sekretärin Frau Lange in die Hand und gab ihr den Auftrag es zu kopieren oder am Computer zu schreiben, und es dem neuen Controller auszuhändigen. Der solle sich um die Sache kümmern.

      Agnes Lange bekam schlagartig kalte Füße, denn sie hatte, seitdem Hubertus Kriegel 1995 Geschäftsführer geworden war, eine an beiden Händen abzuzählende Anzahl von Schreiben anfertigen müssen. Das war kein allzu üppiges Ergebnis für einen Zeitraum von 19 Jahren.

      Kunze war 1997 im Alter von 22 Jahren als Bürokaufmann in die „KME Export-Import GmbH“ eingestiegen und fühlte sich im Jahr 2014 mit seinen 39 Jahren als Urgestein der Firma. Seine Ausbildungsleistungen hatten damals für einen Job in mehr renommierten Unternehmen leider nicht ausgereicht. Kunze konnte zwar Dinge, die er einmal begriffen hatte, ganz gut anwenden, aber wenn er vor einer neuen und nicht durch Erfahrungswissen begründeten Aufgabe stand, sah er meistens kein Land. Er wusste zwar sehr wohl um seine mangelnden intellektuellen Fähigkeiten, aber versuchte das zu verdrängen und durch ein scheinbar sicheres Auftreten zu kompensieren. Wenn ihm also eine Sache übertragen wurde, die ihn wieder einmal überforderte, maulte er meist lautstark rum.

      „Ich bin hier als Sachbearbeiter eingestellt worden und nicht als Mathematikprofessor“ verkündete er dann lauthals, so dass es alle in dem Büroraum, in dem die Leute des Inlandsvertriebs zusammen saßen, hören konnten, „wer versteht denn überhaupt, was eine Zinseszinsrechnung oder ein Barwert ist? Ich jedenfalls nicht! Das ist auch nicht mein Job, das zu begreifen.“

      Martin Haller war ähnlich alt wie Kunze, aber bedeutend schlauer.

      „Stell‘ dir mal vor, du legst Geld bei der Bank an. Dann bekommst du dafür Zinsen. Klar?“

      „Sicher.“

      „Du lässt das Geld auf der Bank liegen und nach einem Jahr zum Beispiel bekommst du 100 D-Mark Zinsen gutgeschrieben. Wenn du jetzt nichts abhebst, haben die Zinsen dein Guthaben erhöht. Klar?“

      „Denkst du ich bin blöd!“

      „Nein. Der Ausgangswert deines Guthabens für die neue Zinsperiode ist dann also höher als im ersten Jahr, und damit erhältst du bei gleichbleibendem Zinssatz in den folgenden Perioden mehr Zinsen. Du kannst natürlich auch anders herum rechnen, wenn du wissen willst, wieviel Geld du anlegen musst, um einen bestimmten Wert in der Zukunft zu erreichen. Das ist also der Wert, den zukünftige Zahlungen in der Gegenwart besitzen. Er wird durch Abzinsung ermittelt. Der sogenannte Barwert. Klar?“

      „Wie bitte? Zukünftige Zahlungen in der Gegenwart? Sag‘ mal, willst du mich verarschen?“

      „Will ich nicht, aber so etwas sollte man als Bürokaufmann schon wissen“ hatte Haller dann noch trocken erklärt und damit verlegenes Lachen der anderen Leute geerntet, denn die wussten auch nicht so recht, worum es bei dieser Sache ging.

      Von da an stand für Erwin Kunze fest, dass er mit Haller nie ein lockeres Verhältnis haben würde. Jedenfalls versuchte er immer Wege zu finden, sich solche für ihn unlösbaren Aufgaben vom Halse zu schaffen