Ingrid Neufeld

Verfangen


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Hunger starben.

       Nicht schlecht, freute sich der Professor. Aber nicht gut genug! Es sind noch zu viele, die im scheinbaren Wohlstand leben! Wenn die jetzt abstürzen…

       Da wollen wir doch mal sehen. Der Professor führte ein kurzes Telefonat. Danach lehnte er sich zufrieden in seinen Sessel zurück. Er studierte die aktuellen Börsenkurse und grinste böse.

       Luxusmodekonzern meldet Insolvenz an. LKW-Zulieferer vermeldet einen Kurssturz ins Bodenlose. Staaten wurden kreditunwürdig. Und so weiter, und so fort…

       In der Hand hielt er ein gefülltes Glas mit seinem Lieblingswhiskey. Mit dem prostete er sich selbst zu und lachte genussvoll. Die seit Jahren andauernde Wirtschaftskrise ging einem neuen Höhepunkt entgegen!

       Gleich danach telefonierte er an mehreren Mobilteilen gleichzeitig. Ein Mann seiner Machtbefugnis musste die Fähigkeit haben, sich zu teilen und an mehreren Orten gleichzeitig zu agieren.

       Kaum, dass er eines nach dem anderen auflegte, schellten die Telefone erneut. Wieder alle auf einmal. Lukas Morgenroth war dieses Tempo gewöhnt. Schrillende Telefone nichts Neues für ihn. Er nahm die Anrufe entgegen und redete wieder mit allen zur scheinbar gleichen Zeit.

       Sein Sekretär betrat das Zimmer. Es war Amphion Kerberos und kam aus dem wirtschaftlich angeschlagenen Griechenland. Doch Amphion Kerberos hatte sicherlich seine Schäfchen rechtzeitig ins Trockene gebracht. Lukas Morgenrot vertraute Amphion Kerberos in allen Dingen. Er war nicht nur sein Sekretär, sondern auch sein Freund.

       Amphion setzte sich unaufgefordert auf den Stuhl vor dem großen Schreibtisch. Auch er war von durchaus beeindruckender Gestalt. Durchtrainiert, gut gebaut, mit einem attraktiven Gesicht, braunen Augen und gerader Nase. Er war ein Frauentyp. Die Damen umschwärmten ihn und merkten anscheinend nicht, dass sein charmantes Lächeln die Augen nicht erreichte.

       Lukas Morgenroth drückte sämtliche Anrufer weg und wandte sich Amphion zu.

      „Gut, dass du kommst. Es gibt schlechte Nachrichten.“

       Amphion schaute seinen Chef fragend an. „Was ist los?“

      „Es gibt Krieg!“, Lukas Morgenroth schob entschlossen sein Kinn vor.

      „Ist das was Neues?“, Amphion wirkte nicht beunruhigt.

      „Diesmal schon.“, erwiderte Lukas. Er schaute nicht wirklich besorgt aus. Im Gegenteil. Die neue Bedrohung brachte seine Wichtigkeit erst richtig zur Geltung. „Weil dieser Wahnsinnige die Weltherrschaft für sich alleine beansprucht.“

       Amphion nickte. „Verstehe.“ Langsam setzte er hinzu. „Er will uns also die Macht aus der Hand nehmen?“

      „Richtig!“, bestätigte Lukas und grinste freudlos.

      „Doch so einfach ist das nicht. Die Macht über diese Welt wurde mir vor langer Zeit übertragen. Seitdem haben wir unsere Herrschaft immer verteidigt. Und das werden wir weiterhin tun.“

       Nach einer Pause fügte er hinzu: „Mir wurde einst von höchster Stelle zugesagt, der Fürst dieser Welt zu sein. Diesen Anspruch gebe ich jetzt nicht auf!“

       Professor Dr. Dr. Lukas Morgenroth stand vom Schreibtisch auf, trat ans riesige Fenster mit der großen Glasfront und der gigantischen Aussicht auf eine pulsierende wohlhabende Großstadt.

      „Dies alles will er uns mit seiner Rückkehr streitig machen?“ er machte eine wirkungsvolle Pause und setzte hinzu. „Ganz bestimmt nicht.“

       Amphion kratzte sich am Kinn. Er runzelte die Stirn, so dass seine dunklen Augenbrauen wie eine schwarze Linie wirkten. „So schlimm steht es?“

       Der Professor nickte nur.

      „Du weißt schon, dass nach den alten Schriften und Prophezeiungen die Wiederkunft unser Ende bedeutet?“

       Lukas lachte rau und dunkel auf. Sein Lachen rollte wie Donnergrollen durch den Raum und wurde von den Wänden zurückgeworfen. „Das wollen wir doch mal sehen! Er wird erst wiederkommen, wenn er genügend Leute hier hat, die ihn empfangen. Und diese Suppe werden wir ihm gründlich vermasseln. Wenn es nach mir geht, wird er nur wenige, oder besser noch gar keine Anhänger finden.“

      „Natürlich nicht“, stimmte Amphion sofort zu. „Wir haben genug Leute, um Unglauben, Zweifel und Hass zu säen. Die Menschen sind leicht beeinflussbar. Die wenigsten werden wir zwingen müssen. Bei den meisten genügt es, ihren Verstand einzulullen und sie mit Wohlstand zu überhäufen, oder sie mit Armut und Leid zu quälen, ganz wie es uns gefällt!“ Er lachte finster. „Du wirst schon sehen: Wir halten die Karten in der Hand und wir werden sie auch nicht hergeben!“

       Fast perfekt

      Familie Hübschmann wohnte in einem schmucken Einfamilienhaus in einer netten gewachsenen Siedlung mit gepflegten Gärten. Vor dem Haus parkte ein chices Auto, ein neuer Audi A 4, in Silbermetallic. In der Garage stand ein weiteres Auto, ein VW Golf, den die Frau des Hauses fuhr.

      Die Familie war das was man im Allgemeinen als gut situiert bezeichnet. Eine Bilderbuchfamilie mit Mutter, Vater und Kind. Das Kind war ein herziges fünfjähriges Mädchen, das noch in den Kindergarten ging. Sie zeigte schon in ihren jungen Jahren eine hohe Intelligenz und ihre Eltern erwarteten, dass sie einmal eine steile Karriere machen würde. Deshalb wurde Lisa schon jetzt nicht nur in Englisch und Flöte unterwiesen, sondern erhielt außerdem Klavierunterricht.

      Frau Hübschmann stand mit Jeans und Gummistiefeln bekleidet in ihrem Garten und schnitt mit einer Schere ihre Hecke. Die langen blonden Haare trug sie im Nacken zusammengebunden. Auf dem Kopf saß ein Käppi zum Schutz vor der Sonne. Mareike Hübschmann wirkte durchtrainiert. Sie legte großen Wert auf Bewegung in frischer Luft und hielt sich so oft es ging in freier Natur auf. Sie prüfte die Hecke auf überstehende Zweige und setzte gerade zu einem neuen Schnitt an, als Veronika Meier um die Ecke bog.

      „Hallo Mareike“, begrüßte sie Frau Hübschmann. „Denkst Du an unsere Probe heute Abend?“

      „Na klar“, antwortete Mareike. Seit sie in der Siedlung wohnten, waren sie alle engagierte Mitglieder in der Kirchengemeinde. Frau Hübschmann sang im Kirchenchor und arbeitete außerdem im Kindergottesdienst mit, während sich ihr Mann Paul im Kirchenvorstand einbrachte.

      Beide nahmen ihre Tätigkeiten sehr ernst. Sie waren angesehene Mitglieder ihrer Gemeinde und eine Stütze für ihren Pfarrer.

      „Dann sehen wir uns später!“, rief ihr Veronika zu, bevor sie hinter der nächsten Biegung verschwand.

      Mareike winkte ihr noch mit der Schere hinterher, aber das sah Veronika nicht mehr.

      Frau Hübschmann schaute auf die Uhr und seufzte: „Schon so spät.“

      Sie packte die Schere und stapfte zielstrebig auf das Haus zu. Drinnen schlüpfte sie aus den Stiefeln, wusch sich die Hände und huschte in ihr Arbeitszimmer. Dort kramte sie ihre Unterlagen aus der Tasche und begann sich auf den nächsten Tag vorzubereiten. Sie war Lehrerin von Beruf und musste täglich Arbeiten korrigieren und sich den Unterricht für den nächsten Tag überlegen. Manche hielten den Beruf einer Lehrerin für einen Halbtagsjob, aber in Wirklichkeit war das eine Knochenarbeit, vor allem, weil es sich um eine Hauptschulklasse handelte, die sie unterrichtete.

      Um vier Uhr legte sie ihre Arbeit zur Seite. Sie zog sich an und machte sich auf den Weg zum Kindergarten. Jetzt hieß es Lisa abholen.

      Als attraktive, moderne, junge Frau war Mareike darauf bedacht, Beruf und Kindererziehung unter einen Hut zu bringen. Die Hausfrauenrolle, die ihre eigene Mutter noch mit Begeisterung ausgeübt hatte, wäre