Kurt Partner

Draußen war Sommer...


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Welche gesunden Verhaltensweisen müssten eingeübt werden? Oder ist das eine Aufgabe des Elternhauses? Vielleicht ginge es auch einfach nur darum, junge Menschen früher daran zu gewöhnen, dass nicht alles allein zu lösen ist. Dass es nicht schlecht ist, wenn man Hilfe sucht. Dass es von Größe zeugt, wenn man Hilfe annimmt. Hätte, wäre, wenn... Aber am Ende zählt nur, dass wir aufeinander aufpassen. Und wenn uns etwas auffällt, dann sollten wir den Mut haben, es offen anzusprechen. Psychische Krankheiten müssten entstigmatisiert werden. Eine gebrochene Psyche sollte just so behandelt und gesehen werden, wie ein gebrochener Arm. Dann wäre es vielleicht einfacher.

      Raue Zärtlichkeit war die spürbare Veränderung

      Es war erst zu Beginn des letzten Jahres, dass ich ahnte, dass in unserem Leben insgesamt etwas nicht stimmte. Unser Leben war inzwischen so sehr eingeschränkt. Die Freiheit fehlte. Es fing an, sich krank anzufühlen. Vor allen Dingen deswegen, weil immer dann, wenn Rituale nicht eingehalten wurden, eine Entschuldigung nicht mehr als Besänftigung ausreichte. Katrin, sonst so ausgeglichen und bis dahin so liebevoll, wurde nach jeder Ritual- und Regelverletzung aggressiv und ganz ungewöhnlich sauer. Sie machte mir ein schlechtes Gewissen. Und sie putzte.

      Zu diesem Zeitpunkt bemerkte ich auch, dass Katrin immer mehr Zeit damit verbrachte, sich ihre Hände einzucremen. Schon ihr Vater Rainer hätte sich immer seine Hände eincremen müssen, sagte sie ab und zu ein wenig entschuldigend. Oder bemerkte ich eher die steigende Frequenz des Händewaschens? Aber das ist doch nur ein Zeichen für eine gute Reinlichkeit. Oder was soll am Händewaschen schlimm sein? Jeder muss sich doch die Hände waschen. Stimmt. Aber bei dem, was Katrin machte... Das war anders. Das fühlte sich irgendwie beängstigend an. Es fühlte sich krank an.

      So viel konnte man sich gar nicht mehr die Hände eincremen, wie sie putzte und sich ihre Hände wusch. Ich bemerkte es auf andere Art und Weise ganz direkt. Hautnah sozusagen. Es war inzwischen nicht nur die wenige Zeit, die wir romantisch zärtlich miteinander verbrachten. Berührungen dieser mitgenommenen Hände auf meiner Haut waren eindeutig anders als früher. Wenn alles für sie einmal passte, ihre Hände den Weg für den seltenen und wohlgeplanten Sex zu mir fanden, dann waren diese Hände längst nicht mehr weich und sanft. Sie fühlten sich im wahrsten Sinne des Wortes krank an. Katrins Haut hatte sich verändert. Es waren zwar noch ihre zärtliche Berührungen. Aber der Körperkontakt mit ihren Fingern fühlten sich rau an. Ihre Hände waren rau, hart und spröde geworden. So als ob ein harter Winter im heißesten Sommer seine Kälte an ihnen ausgelebt hätte.

      Selbst Massageöle konnten die krustig aufplatzenden Hautflächen an ihren Fingern nicht besänftigen. Die enorme Belastung der Haut war ständig und deutlich spürbar. „Mein Frau wäscht sich krank,” war der Gedanke, mit dem ich mich hilfesuchend an meinen Hautarzt wandte. Dieser empfahl uns dann eine Psychiaterin. Nicht bei uns auf dem Lande. In der Stadt.

      In der nächsten Großstadt? Allein das war erneut ein Unterfangen, denn natürlich ist so eine Stadt ganz besonders dreckig, schmutzig und eklig... Zumindest für Katrin. Ich war ja schon als Kind in dieser Großstadt auf Abenteuertour unterwegs und so gab es wenig, was mich hätte schockieren können. Katrin dagegen? Sie ist auf dem Land aufgewachsen. Ganz intensiv behütet.

      Aber wir waren auf dem Weg zur Lösung des Problems! Was für Hoffnungen ich hatte! Meine Vorfreude auf die bessere Zeit vor uns war riesig. Jetzt musste es besser werden! Jetzt hatten wir endlich ärztliche Unterstützung.

      Doch wer so viel erhofft, der kann auch schwer enttäuscht werden. Ich begleitete Katrin bis vor die Praxis. Ihr Gespräch mit der Großstadt-Psychiaterin dauerte nur knappe fünfzehn Minuten. Als Belohnung bekam Katrin zwei Rezepte: Das erste Rezept war für ein Medikament. Es sollte die Angst dämpfen. Eine Therapie möglich machen. Leider habe ich den Namen nicht mehr, aber es sollte nicht das letzte Medikament gewesen sein. Das zweite Rezept war die Überweisung zu Katrins erstem Psychotherapeuten.

      Sonntag, 8. Juli 2007 – Rückblick auf die Rückkehr

      Nach der abendlichen Rückkehr von ihren Eltern waren Katrin und ich sehr, sehr wortkarg. Niklas wurde wie üblich geduscht und kam dann ins Bett. Ein solches Duschen dauert jeweils mindestens 15 Minuten. Katrin nimmt Niklas dafür meistens mit zu sich in die Dusche. So kann sie besser darauf achten, dass kein „dreckiger Schaum" mehr in der Dusche ist, bevor Niklas zum Schluss noch einmal abgeduscht wird.

      Nachdem Niklas im Bett war, begann die große Putzaktion im ganzen Haus. Ich zog mich zurück. Schrieb auf. Katrin putzte bis tief in die Nacht. Erst kurz nach 23 Uhr rief sie mich herunter. Zur Standpauke. Zur intensiven Darbietung ihrer vollkommenen Erschöpfung. Zu den vollendet vorgebrachten Vorwürfen gegen mich. Warum ich denn just das Gegenteil von dem mache, was die Therapie vorsehe.

      Kloschüsseln ablecken?

      Natürlich nicht. Da wäre ich auch nie auf die Idee gekommen. Aber man kann so einiges erleben, wenn man in das Umfeld der gebrochenen Psychen kommt.

      Mit meinem Wissen von heute, war die Überweisung zur Psychiaterin tatsächlich ein Riesenglück und großer Erfolg gewesen! Diese beiden Rezepte hießen, dass Katrin auf gewisse Art und Weise das Problem eingesehen hatte. Sie hatte entschieden, dass etwas getan werden musste! Alles deutete darauf hin, dass sie diese ganzen Ängste und Zwänge ihr zu viel wurden und sie nun etwas verändern wollte. Vor ungefähr einem Jahr begann Katrin ihre therapeutische Behandlung mit medikamentöser Unterstützung. Alles wird gut?

      Nein. Die medikamentöse Behandlung wurde abgebrochen. Das Mittel hatte starke Nebenwirkungen. Katrin stöhnte über extrem starkes Schwitzen bei jeder Art von Aktivität. Außerdem kam sie mit dem Therapeuten nicht wirklich weiter. Zu Beginn der Therapie war für jede Woche ein Termin eingestellt. Zu Beginn... Dann begann Katrin davon zu erzählen, dass sie gar keine besonders problematische Patientin für den Therapeuten sei. Ihr Therapeut hatte ihr wohl von anderen Patienten berichtet. So zum Beispiel von einem Patienten, der das dringende Bedürfnis hatte, öffentliche Toiletten abzulecken…

      Das war für Katrin zu viel. Das bedeutete ja, dass dieser Patient auf dem gleichen Stuhl gesessen hatte wie sie... Dass er die gleichen Dinge angefasst hatte... Womöglich direkt vor ihr in der Praxis gewesen war... Danach dauerte es nicht mehr lange: Zuerst wurden Termine wegen Verspätungen verkürzt. Dann wurden Termine wegen verschiedener Gründe immer mal wieder abgesagt. Und dann? Dann sagte Katrin schließlich ihre Termine bei dem Therapeuten ganz ab.

      Sonntag, 8. Juli 2007 – Flohmarktsorgen, Sorgenflohmarkt

      Wie sah sonst unser Tag aus? Dafür vielleicht eine kleine Rückschau auf den heutigen Sonntag:

      09:15 Uhr: Niklas wird wach. Katrin holt ihn in unser Bett

      10:40 Uhr: Frühstück

      12:25 Uhr: Abfahrt zu einem Flohmarkt. Eigentlich war 11:45 Uhr als Abfahrtszeit geplant, aber das Kücheputzen hat länger gedauert. Es ist der Jahresflohmarkt in einer benachbarten Stadt. Mit kleinem Zirkus. Mit wenigen Händlern und immer so viel zu sehen. 20 Minuten fährt man in die Stadt. Und dann gilt es, noch einen Parkplatz zu finden.

      15:00 Uhr Rückkehr vom Flohmarkt, Ankunft zuhause.

      15:27 Uhr Katrin hat das Duschen von sich und von Niklas beendet. Um des lieben Friedens willen, gehe ich nun auch unter die Dusche.

      Ja, wir waren auf einem Flohmarkt! Wir waren gemeinsam unterwegs, draußen und unter Menschen. Das ist doch eine tolle Sache für eine Zwangskranke mit den Sorgen meiner Frau! Überall alte, dreckige Sachen und Katrin geht mit mir dorthin!

      Nun, ganz so schön war es nicht. Die Geschichte war die: Beim gemeinsamen Gang über den Flohmarkt ist Niklas auf dem Kopfsteinpflaster hingefallen und war wohl mit seiner Hand mitten über eine Vogelfeder gerutscht. Katrin hat die Vogelfeder gesehen. Mir ist sie nicht aufgefallen. Ich habe Niklas natürlich nur einfach die Steinchen von seiner Hand gewischt, war zufrieden, dass die Hand nicht aufgeschürft war und nahm ihn danach wieder an meine Hand.

      Für Katrin muss dies der Horror gewesen sein. Aus ihrer Sicht eine reine Provokation von meiner Seite: Kein wirkliches Abwaschen nach dem