Kurt Partner

Draußen war Sommer...


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die Wartezeiten bei den Therapeuten teilweise sehr, sehr lang. Auch deshalb gilt es, lieber früher als später, Kontakt aufzunehmen.

      Wichtig ist, dass auch der Freund, die Freundin, der Partner selbst etwas ändern will. Ein schwieriges Unterfangen, denn das, was da kommt... Das ist wie Entzug. Wie „Rehab”. Nicht von Drogen. Entzug von der Angst. Entzug mit totaler Angst. Ein Entzug vom bisherigen Leben. Je bequemer man sich in den Zwängen eingerichtet hatte, je größer vielleicht sogar der „Krankheitsgewinn” war, umso schwieriger ist die „Lossagung”.

      Mittwoch, 11. Juli 2007 – Beim Frauenarzt

      Wir sind bei Frau Dr. Müller, Katrins Frauenärztin. Gleich soll das erste CTG geschrieben werden. Gleichzeitig ist die Frage spannend, ob Katrin heute etwas über ihre Krankheit zu ihrer Frauenärztin sagt. Zu meiner großen Freude haben meine Bettina und Rainer entsprechend „Lobbyarbeit" geleistet. Ich habe jedoch meine Zweifel, ob Katrin sich dazu durchringt, die Mauer des Schweigens zu durchbrechen. Dabei würde es doch so sehr helfen – da bin ich mir sicher. Geburt heißt doch auch „loslassen”. Und genau dieses „Loslassen” kann Katrin im Moment gar nicht mehr. Totale Kontrolle ist ständig und immer angesagt. Sicherlich die für sie einfachste Möglichkeit bei aller Anstrengung, um die Angst klein zu halten.

      Sicher ist auch etwas ganz anderes: Morgen gehe ich selbst ins Krankenhaus. Das mit dem Gesundbleiben hat nicht geklappt. Darmentzündung. Mehrfach hatte ich in den letzten zwei Jahren entsprechende Schmerzen, musste Diät halten und Medikamente nehmen. Nun scheint es schlimmer, als in der Vergangenheit zu sein. Also sind zwei Tage als Diagnosezeit angesetzt. Der mich behandelnde Professor fragte mich direkt, ob sich denn in den letzten Monaten etwas dramatisch verändert hätte, dass die Darmentzündung so heftig ausgebrochen wäre...

      So habe ich mit der weiteren Recherche von Ärzten und Kliniken für Katrin aufgehört. Auch einen Beratungstermin für morgen bei einem Psychologen direkt „um die Ecke" habe ich abgesagt – denn ich kann ja nicht gleichzeitig im Krankenhaus und in der Praxis eines Psychologen sein.

      Donnerstag, 12. Juli 2007 – Auf dem Weg ins Krankenhaus

      Vor dem Start ins Krankenhaus gab es noch eine große Auseinandersetzung mit Katrin: Ob ich denn meinen Organizer, meinen kleinen mobilen Rechner, mit in die Klinik nehmen dürfte, oder nicht. Katrin hat die große Sorge, dass dieser Minicomputer im Krankenhaus zur Gefahrenquelle wird. Bei dem ganzen Schmutz dort. Auch musste ich Desinfektionstücher – die sie mir gestern extra noch in der Apotheke gekauft hat – mitnehmen. Und ich musste mehrmals versprechen, dass ich mich jetzt im Krankenhaus „vorsehe". Das bedeutet in Katrins Sprache, dass ich darauf achte, nichts zu machen, was sie verängstigen würde oder was für sie oder unsere Kinder gefährlich wäre. Ich werde nur zwei Tage zur Diagnostik im Krankenhaus sein. Ich habe jedoch das Gefühl, dass für Katrin die Vorstellung, was ich in dieser kurzen Zeit alles Gefährliches machen würde, schlimmer ist, als die zu diagnostizierende Erkrankung. Sie hat es nicht leicht. Es ist krank.

      Rainer hat mich heute Morgen ins Krankenhaus gefahren. Ich habe die Chance genutzt und mit ihm darüber gesprochen, wie die aktuelle Situation bei uns aussieht. Katrin scheint ihren Eltern wenig darüber zu erzählen, wie ihr Leben derzeit tatsächlich ist. Das ist sehr schade und lässt erklären, warum auch meine Schwiegereltern so defensiv reagieren. Rainer hat wieder davon gesprochen, dass man in der aktuellen Situation auf keinen Fall auf Konfrontation oder Therapie gehen könnte – das sagt nicht nur seine Frau, sondern auch der befreundete Kollege eines großen Pharmakonzerns... Ich bleibe dabei, auf Einsicht zu hoffen.

      Freitag, 13. Juli 2007 – Therapeutin mit Elan

      Ein kleines Fünkchen Hoffnung. Frau Saggur hat doch noch angeboten, sie auch in ihrem Urlaub zu betreuen.

      Gleichzeit musste Katrin sich telefonisch wieder zu verschiedenen Themen bei mir absichern. Ob dies oder jenes in Ordnung wäre oder was sie nun noch putzen soll. Dabei drohte sie mir, dass wenn ich ihr dazu nicht Rede und Antwort stehen würde, dann würde sie einfach länger und alles putzen...

      Sie hat von ihrer Therapeutin Hausaufgaben bekommen. Sie soll ein Angsttagebuch führen. Aufschreiben, was für Punkte ihr Sorgen bereiten. Diese Sorgen sollen dann noch klassifiziert, eingeordnet werden. Wie hoch ist der Angstgrad. Von Null für „Keine Angst” bis zehn für „nicht mehr auszuhalten”.

      Die Hausaufgabe der Angsttagebücher hat sie gestern noch kurzfristig vor ihrem Therapietermin ausgefüllt. In der Therapie wurden dann wohl „Angstkarten" erstellt. Hier sollen die Gedanken zu den auftretenden Herausforderungen notiert werden.

      Donnerstag, 26. Juli 2007 – Zwei Wochen Krankenhaus gehen fast vorüber

      Zwei Wochen? Richtig! Mein Körper hat die ständige Belastung nicht ausgehalten. Noch während der Diagnose war klar – es musste direkt operiert werden. Lebensgefahr. Sauber... Nun bin ich um einen Teil meines Darms beraubt, konnte mich aber von dem Wahnsinn zuhause ein wenig erholen. Den Organizer musste ich tatsächlich zuhause lassen. Keine Möglichkeit, meine Notizen zu machen. Aber viel Zeit zum Nachdenken. Wenn man mal von den Schmerzen absieht. Aber auch das besondere Erlebnis einer „Schmerzpumpe”. Wenn Schmerzen unüberstehbar für mich wurden, dann konnte ich aufgespartes Schmerzmittel in großer Menge verwenden. So zum Beispiel beim Ziehen der letzten Drainage. Paradoxerweise hieß der zuständige Arzt auch noch „Fleischer”. Wie passend.

      Ich soll eine Reha machen. Der Platz in der Rehaklinik ist noch nicht frei. In dieser zu überbrückenden Woche soll ich nach Hause. Es ist eine interessante und gleichzeitig schwierige Situation: Zu wissen, dass die eigene Frau sich nicht einfach darauf freut, dass ihr Ehemann zurück nach Hause kommt. Sie sieht vor allen Dingen den damit verbundenen Stress.

      Damit ist nicht nur der einfach verständliche „Pflegestress" gemeint. Es ist vor allen Dingen der Kontrollstress. Katrin konnte jetzt fast zwei Wochen ungehindert, unhinterfragt ihre Rituale durchführen. Wenn ich nun aus dem Krankenhaus zurückkomme, dann würde dies ja für sie zur reinsten Stresstortur werden – so direkt von ihr erklärt. Angefangen von der Ankunft von mir und meiner Krankenhausausstattung und der damit verbundenen strengen Kontrolle aller Gegenstände und Kleidungsstücke, die ich mit im Krankenhaus hatte.

      Bis hin zu meiner dringend notwendigen Zurückhaltung aus allen Organisationsdingen im Haushalt. Schließlich würde ich mich ja längst nicht genug vorsehen. Das ist so krank!

      Freitag, 27. Juli 2007 – Endlich eingeweiht: Die Frauenärztin

      Ich war zwar nicht direkt dabei, dennoch ist das Ergebnis eine große Erleichterung für mich: Heute war wieder eine Routineuntersuchung bei Frau Dr. Müller, der Frauenärztin. Vorweg gesagt: Unserem Kind geht es gut. Spannend war jedoch, dass die Frauenärztin bei der Besprechung der CTG-Ergebnisse Katrin direkt anspricht: Was denn mit ihr los sei. Nach eigener Erzählung konnte Katrin daraufhin ihre Tarnung nicht mehr aufrecht erhalten. Sie hat ihrer Frauenärztin nun – so sagte sie mir zumindest und ich hoffe, dass ich mich hier darauf verlassen kann – von ihrer Zwangserkrankung und der daraus inzwischen existierenden großen allgemeinen Erschöpfung erzählt. Die Ärztin muss wohl ziemlich einfühlsam gewesen sein. Hat ihr lange und intensiv zugehört, ihr wohl aber auch klargemacht, dass dies zwar erstens keine direkte Gefahr für unser werdendes Kind darstellt, aber zweitens natürlich wichtig für die Vor- und Nachsorge ist. Wenn nach der Geburt sowieso sämtliche Hormone verrückt spielen und zum Beispiel „Babyblues"-mäßige Depressionen nicht selten sind, dann mache eine Zwangserkrankung die Zeit nach der Geburt nicht wirklich leichter.

      Wichtig wäre in diesem Zusammenhang, dass alle betroffenen Parteien wirklich von der Krankheit wissen und sich entsprechend darauf einstellen können. Auf meine Frage, ob Katrin denn nun Meike, ihre beste Freundin und unsere Hebamme,bereits eingeweiht hätte, verneinte Katrin. Sie möchte mit Meike ungetrübt sprechen können – ohne Rücksicht auf ihre Krankheit. Außerdem möchte sie nicht das Gefühl haben, dass sie auch von ihr ständig beobachtet wird.

      Für mich ist Katrins kleines „Coming Out" eine große Erleichterung. Wie ein Ereignis, auf dass ich