Kurt Partner

Draußen war Sommer...


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kann ich für mich ausschließen, dass ich deswegen im Nachhinein ein besonderes Reinigungsritual benötige. Ein Reinigungsritual, um die Hinterlassenschaften des Vorgängers zu entfernen. Seien dies nun mikroskopische Mengen an Speichel, Hautschuppen, Kot, Urin oder vielleicht auch Sperma oder die Reste von Reinigungschemikalien. Ganz anders sähe die Situation für Katrin aus. In dem Moment, in dem sie die mögliche Gefahr für sich realisiert hat – möge sie auch noch so klein sein – würde sie mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln versuchen, die Gefahr zu bekämpfen. Und sie würde sich bewusst oder unbewusst immer weiter in die Angst hineinsteigern. Was könnte sonst nun noch passieren? Im nächsten Augenblick wären sofort Überlegungen da, ob der Vorbewohner nicht vielleicht AIDS hatte, mit Vögeln hantierte und vielleicht damit ein Überträger der Vogelgrippe sein könnte. Wie lange kann ein Mensch in diesem Käfig der Angst nur leben? Und das Schlimme ist: Natürlich ist es für Katrin eine Leichtigkeit diesen Gefahren aus dem Weg zu gehen: Dafür muss man schließlich nur in den eigenen vier Wänden bleiben. Wenn wir kein Kind hätten... Ich bin mir sicher, dass Katrin höchstens noch zum Einkaufen aus dem Haus gehen würde. Zumindest solange, bis es die Lebensmittel im Internet zu bestellen gibt. Da muss man schließlich nur das Paket entsprechend mit Vorsicht behandeln. Aber zum Glück gibt es unseren Sohn. So weiß sie zumindest heute noch, dass sie mit einer totalen Isolierung unseres Sohnes noch mehr Schaden anrichten würde. Also geht sie raus, geht damit tatsächlich auch das Risiko ein, dass etwas „Schlimmes" passiert. Damit lebt sie in ständiger Angst und so auch in ständiger Anspannung.

      Aber zurück zum Urlaub auf Korfu: Katrin hatte nach der Ankunft am Strand sehr schnell die Befürchtung angedeutet, dass an dem – sicherlich nicht traumhaften Strand – bestimmt auch Drogenabhängige Urlaub machen würden. Mit der hohen Gefahr von AIDS und Übertragung durch herumfliegende Spritzen... Ich beruhigte sie damit, dass ich erklärte, dass Heroin-Abhängige ihrem Drogenkonsum sicherlich nicht in aller Öffentlichkeit an einem Touristenstrand nachgehen würden – schließlich gibt es dort ja auch regelmäßige Polizeikontrollgänge. Wir breiteten also an einem der ersten Tage dort unsere Strandtücher aus. Ein schönes Plätzchen Erde. Das Meer wunderbar klar und der Strand nicht überlagert. Wir legten uns hin. Ich nahm mir mein Buch, legte mich zur Seite und während ich lese... Es gibt unglaubliche Zufälle... Während ich lese, bemerke ich recht nah an unserem Strandtuch im Sand halb vergraben den Kolben einer Einweg-Spritze... Ich hoffte, dass ich diese Überreste der Spritze entfernen könnte, ohne dass meine Freundin (wir waren damals gerade ein Jahr „zusammen”) etwas davon mitbekommen würde. Pustekuchen. Der 7. Sinn meiner Frau. Es war... furchtbar. Alle Sorgen bestätigt.

      Von nun an sind konnten wir nur noch mit Badesandalen an den Strand gehen. Zum Glück für unsere junge Beziehung war die Angst und Sorge jedoch noch nicht so weit fortgeschritten, dass der Aufenthalt im Wasser zur freudlosen Zeit wurde. Der erste Sex im Meer. Ein ungestörter, unbeschwerter Moment. Diese wenigen Momente überlagerten schließlich sämtliche Fragezeichen in Bezug auf ihre besondere Vorsicht.

      Mittwoch, 8. August 2007 – Blut oder Ketchup?

      Was ist normal? Ist es normal, wenn Kinder barfuß draußen im Garten umher tollen? Wenn Kinder barfuß im Hof oder vielleicht auch auf der Straße oder im Park laufen? Heute wäre ein solches Barfußgehen von unserem Sohn vollkommen unmöglich. Dafür müsste entweder Katrin weit entfernt sein, oder die Therapie wäre erheblich weiter fortgeschritten. Ich komme darauf, weil ich mir schon jetzt darüber Gedanken mache, wie es wohl wird, wenn wir unsere Tochter haben. Wenn die medikamentöse Behandlung meiner Frau beginnt. Wie es wohl wird, wenn nach und nach eine neue Normalität in unser Leben kommt. Was heißt dann Normalität? Was heißt normales Putzen? Was ist normale Sauberkeit? Ich habe mir zwei „Putzbücher für Männer” bestellt. Mit dem Gedanken, dass dies ja eine unabhängige Basis sein könnte, was „normale" Sauberkeit im Haus heißen könnte. Daraus könnte man Normalität dann auch für uns ableiten. Ich grübele weiter.

      Gestern hat mich Katrin wieder mit unserem Sohn in der Reha besucht. Am Abend gingen wir gemeinsam in eine Pizzeria. Draußen waren Plätze frei. Wir setzten uns an einen freien Tisch und noch bevor wir richtig gesessen hatten, begann der akribische Blick über die Tischfläche, die Stuhllehnen. Katrin war wieder auf der Suche nach Schmutz, Dreck oder eben Blut. Und tatsächlich: Ein kleiner roter Fleck war von einem der letzten Gäste auf dem Holztisch hinterlassen worden – und leider wohl auch nicht beim kurzen Reinigen durch den Service entfernt worden. Es ist bisweilen faszinierend, wie strategisch dann das Säuberungsritual abläuft: Mit spitzen Fingern zieht Katrin ihre Umhängetasche so nach vorne, dass sie ihren Inhalt hervorholen kann, aber nicht mit dem „dreckigen" Tisch in Kontakt kommt. Auch die Tasche selbst hat verschiedene „Sauberkeitsbereiche". Die Innentasche wird nur mit wirklich sauberen Händen geöffnet. Direkt zuvor müssen also die Hände gewaschen, oder wenigstens mit einem „Hygienetuch" gesäubert sein. In der von außen erreichbaren Tasche befindet sich immer eine genügend große Anzahl dieser feuchten Wunder der Chemieindustrie. Zum Glück sind es eher selten echte Desinfektionstücher – das wird hoffentlich noch an uns vorübergehen. Katrin holt mindestens zwei Tücher heraus. Mit dem ersten Tuch putzt sie den eigentlichen Dreck weg. Es ist damit das am stärksten verdreckte Tuch. Das zweite Tuch verwendet sie dann, um ihre eigenen Hände nach der erfolgreichen Dreckentfernung zu säubern. Damit ist der vermeintliche Blutfleck eliminiert. Dann kommt die Vergewisserung. War es wirklich nur Ketchup? War es vielleicht doch Blut? Hat die Reinigung jetzt gereicht? Ist sie jetzt wieder sauber? Die Vergewisserung richtet sich an eine eingeweihte Person. In diesem Fall war ich hierfür in der Pizzeria das Opfer. Ich bin dann in letzter Zeit dazu übergegangen nachzufragen, was sie denn denkt. Sie verhält sich dann neutral und will von mir die Antwort hören. Ich versuche dann zu beruhigen. Noch einmal bestätigen, dass es sich allein schon auf Grund der Farbe nur um irgendeinen Lebensmittelrest handeln kann. Diese Rückversicherung läuft derzeit – also während meines Reha-Aufenthaltes – jeweils noch einmal intensiv während der abendlichen Telefonate ab. Zuhören, beruhigen, loben, bestätigen. In diesem Viereck spielen sich unsere Gespräche ab. Das sind keine Gespräche zwischen einem Paar. Es gibt einfach keinen Raum mehr für Dinge, die sonst vielleicht normal wären. Der Austausch über Freunde. Über Politik. Über die Entwicklung unseres Kindes. Über Pläne. Stattdessen? Die immer neue und so unsinnige Durchsprache von Putzplänen.

      Die Wolldecken

      Die „Wolldecken auf Korfu” oder ganz allgemein das Thema der Wolldecken im Hotel lassen mich nicht los: Wer von seinen Eltern einen bestimmten Umgang mit Decken und Betten, Schuhen und Strümpfen vorgelebt bekommt, der entwickelt seinen ganz individuellen Umgang mit all jenen Dingen, die wir an unsere Haut lassen. Mit meiner Sozialisation ist es daher wahrscheinlich nur verständlich, dass ich diese Hotel-Wolldecken im Hotel auf Korfu nicht gerade superkuschelig empfunden habe. Unbeschwerter Umgang mit solchen nicht so regelmäßig gewaschenen Decken würde sicherlich erst dann entstehen, wenn sie zu „meinen” Wolldecken geworden sind. Vielleicht gibt es da etwas wie Gewöhnung, etwas wie „Vertrauen in Ungefährlichkeit”. Die für den Umgang also relevante Frage ist: Wie geht man mit diesem leicht unwohligen Gefühl um? Ich stelle mir vor, dass der gesunde Umgang ein ganz unterschwelliges Vermeiden des direkten „Kopf-Kontaktes” beinhaltet. Und wenn doch beim Umdrehen die Hand des Partners auf eine derartige Baumwolldecke landet? Müssten dann diese Hände erst im Bad gewaschen werden, bevor dieser weiter das Laken oder sogar mich – sehnlichst erwartet – schließlich berühren? Ich glaube, das ist der große Unterschied: Gesund würde man in einer knisternden Stunde jede „Wolldecken-Berührung” ganz einfach vernachlässigen. Die Vorfreude und die Lust auf jede Berührung des Partners überwiegt einfach alles. Mein Wunsch nach Berührung ist heute und war schon damals auf jeden Fall größer als die Sorge vor Ansteckung durch dreckige Wolldecken. Leider jedoch nur mein Wunsch. Für Katrin waren diese Wolldecken, ganz allgemein das Wissen über den Zustand des Zimmers vor unserer Ankunft am Ende der dauernd beherrschende Liebestöter. Hoffentlich wird alles wieder gut!

      Donnerstag, 9. August 2007 – Raus aus der Geheimniskiste

      Ich möchte so gerne meine Familie über die Situation informieren. Es macht mich krank! Diese Geheimniskiste. Aber es wäre ein Hintergehen meiner Frau. Und das wäre Stress. Vor allen Dingen, wenn sie es