Kurt Partner

Draußen war Sommer...


Скачать книгу

diese oder jene Stelle gelegt hätte, denn jetzt nicht auch noch mal nachgeputzt werden müsste. Wahnsinn. Immer wieder. Das Sicherstellen, ob auch wirklich alles getan worden ist, um Gefahr abzuwenden. Alltäglicher Wahnsinn.

      Der Start in meinen Arbeitstag

      Der heutige Montag entsprach einem der ganz normalen Arbeitstage. Als ich aufstand, waren meine Lieben noch im Bett. Ich halte mich inzwischen an viele von Katrin auferlegte Regeln. So holte ich meine Notebooktasche aus meinem Zimmer und trug sie in unseren Vorraum im Erdgeschoss. Das ist ein kleiner Vorraum zwischen Haustür und Tür zum Wohnzimmer. Vom Vorraum hat man Zugang zum Gäste-Bad. Dieser Vorraum ist sozusagen unsere Dreckschleuse. Da ich beim Heruntertragen meiner als „dreckig” definierten Tasche die selbige natürlich auch angefasst hatte, musste ich erst im Gäste-Bad meine Hände waschen, bevor ich in der Küche den „Proviant" für meine Zeit im Büro einpackte. Ist dieses Waschen wirklich notwendig?

      Nein, ich denke nicht. Ich hätte also einfach das Händewaschen lassen können. Aber in unserem Neubau sind alle Wände im Grunde so dünn, dass jeder „geübte” Hausbewohner – und Katrin ist darin extrem geübt – genau hören kann, wo und in welchem Zimmer nun gerade welcher Wasserhahn betätigt, welche Tür geöffnet oder geschlossen wird. Oder eben welcher Wasserhahn auch nicht betätigt wird. Bevor ich nun heute nach der gesundeten Stimmung von gestern Nacht erneut den Zorn heraufbeschwöre, bleibe ich im von meiner Frau bestimmten Ritual.

      Während des Tages habe ich dann mit der Gesellschaft für Zwangserkrankung gesprochen und mir dort Adressen von Psychologen und Ärzten geben lassen. Ich wollte ergänzende Alternativen finden für die Urlaubszeit der Therapeutin. Auch Kliniken in Deutschland wurden mir empfohlen. Eine sehr freundliche Unterstützung wird einem hier gegeben – absolut empfehlenswert. Beim ersten genannten Arzt habe ich bereits in dieser Woche einen Termin vereinbart, um über Möglichkeiten der Therapie zu sprechen und darauf Katrin vorzubereiten. Der zweite Arzt war sehr verwundert, dass ich mich melde – und eben nicht Katrin. Er nannte mir einen weiteren Kontakt. Dort sollte jedoch nicht ich anrufen. Das hätte Katrin zu übernehmen. Auch als echtes Zeichen dafür, dass sie etwas tun möchte. Therapie funktioniere eben nur dann, wenn der Zwangskranke wirklich selbst erkannt hat, dass etwas an der eigenen Situation geändert werden soll. Nur dann „bringt” eine wie auch immer geartete Arbeit an dem Problem etwas.

      Und hier bin ich nun beim heutigen Abend. Die Hoffnung von gestern Abend ist verflogen. Ich hatte schon am frühen Nachmittag von meiner Frau erfahren, dass sie keinen Versuch unternommen hatte, ihre Therapeutin zu erreichen. Sie hatte also keine Möglichkeit gehabt, über Alternativen, eine Intensivierung, zu sprechen. Keine Hoffnung mehr auf kurzfristige Unterstützung. Was ist nur in der Zwischenzeit geschehen? Warum hat sie ihre Meinung wieder geändert? Es war gestern so ein gutes Gespräch gewesen!

      Aber vielleicht wird es gleich noch ein Gespräch geben, in dem ich neue Hoffnung schöpfen kann. Noch ist Katrin mal wieder unter der Dusche. Wie immer, wenn sie von der Schwangerschaftsgymnastik nach Hause kommt.

      Das war nicht das erste Duschen heute. Als ich aus dem Büro nach Hause kam, hatte ich Katrin und Niklas bereits kurz nach einem Duschgang angetroffen. Sie waren unterwegs gewesen und im Anschluss daran putzte Katrin erst intensiv die Küche, bevor sie in die Dusche stieg. Was der kleine Niklas in der Zeit gemacht hat? Ob er wieder in seinem Autokindersitz im Eingang festgeschnallt warten musste? Ich weiß es nicht. Ich hoffe auf Besserung.

      Dienstag, 10. Juli 2007 – Fehlende Kommunikation?

      Wir haben wieder über die weiteren Schritte gesprochen. Ich habe über meinen Anruf bei der Deutschen Gesellschaft für Zwangserkrankungen berichtet und über die Gespräche mit den Psychologen. Von „Therapieverschärfungen” oder über „Urlaubsalternativen” wollte Katrin aber nichts mehr hören und hat daher ihre Therapeutin nicht angerufen. Außerdem möchte Katrin keine zweite Meinung. Sie hat abgelehnt am Donnerstag den Termin wahrzunehmen, den ich ihr ausgemacht habe.

      Schließlich hat sie mir deutlich gesagt, dass ihre Therapeutin, Frau Saggur, ja sicher wüsste, was zu tun sei. Dem habe ich nicht widersprochen, sondern ihr schweren Herzens zugestimmt. Schließlich ist die Arbeit von Katrin mit Frau Saggur im Moment der einzige Strohhalm für mich zum Klammern. Wenn Katrin dort kein Vertrauen mehr hat, nicht weitermacht, dann gibt es auf Sicht gar keine Chance auf Besserung.

      Dabei zeigt die Krankheit so viele Auswirkungen. Auch und gerade für unseren Sohn. Das zeigt sich in Kleinigkeiten. So hat er aus dem Urlaub mit Oma Bettina und Opa Rainer, Katrins Eltern, ein sehr schönes Spielzeugauto zum Aufziehen geschenkt bekommen. Damit spielte er dann im Urlaub und auch nach der Rückkehr aus dem Urlaub. Sehr ausgiebig. Sehr intensiv. Beim Eintritt in unser Haus musste er dann sein neues Spielzeugauto aus der Hand geben. Es musste ja erst gewaschen werden. Das Auto sollte er erst am nächsten Tag wieder erhalten. Warum? Ganz einfach: Das Auto musste von Katrin erst mit Desinfektionsspray eingesprüht und dann mit Babyputztüchern abgewaschen werden. Sonst hätte er nicht wieder damit spielen dürfen.

      Dies macht nicht nur Katrin, sondern auch mich fertig. Gestern Abend hatte ich das Gefühl, als ob es in meinem rechten Ohr anfing zu fiepen. Es hörte rasch wieder auf. Ich muss fit bleiben!

      Jung, engagiert und in Ausbildung – die Therapeutin

      Frau Saggur ist noch in Ausbildung. Ihr betreuender Professor ist Herr Fölkner. Jener Professor, der bereits mit meiner Schwiegermutter Bettina gearbeitet, ihr bei der Bewältigung ihrer Zwänge geholfen hatte. Ihre Medikation einstellte. Mit Frau Saggur fingen dann die ersten neuen Therapiestunden an. Alles noch auf ganz leichtem Niveau. Das Ziel: Den „Status Quo halten”. Die Situation nicht verschlimmern. Wirklich Loslegen könne man ja erst nach der Geburt. Im Grunde auch erst nach dem Abstillen. Katrin musste ja erst einmal auf ein Medikament richtig eingestellt werden. Das war ihre Überzeugung. Vielleicht ihr Glaubensbekenntnis? „Ich glaube an die heilige chemische Keule,” Das war alles niederschmetternd. So komplett ohne Hoffnung für Niklas und mich!

      Für Frau Saggur war es wichtig, dass ich in einem gewissen Rahmen auch beteiligt bin. Wir seien „ein System“. Also gab es ein erstes gemeinsames Gespräch mit ihr, Katrin und mir. Dabei wurden Regeln für das Zusammenleben festgehalten. Das von mir zu lebende Motto sollte aus Sicht von Frau Saggur sein: „Keine Provokationen!" Das hatte sie bereits vorab mit Katrin besprochen und mich dann beim gemeinsamen Gespräch mit einbezogen: Wenn ich also meine Notebook-Tasche von der Arbeit nach Hause bringe, dann sollte ich sie eben nicht „provokativ” im Wohnzimmer auf den Esstisch legen. Ich sollte sie in mein Zimmer tragen. Hoch unter das Dach. In meine „Zone”. Katrin sollte lernen zu akzeptieren, dass die Tasche dort liegt und nicht gesäubert werden muss. So hatte ich dann auch erfahren, dass sie heimlich meine Tasche säuberte. Oder heimlich mit irgendeinem Reiniger die Holztür in unserem Wohnzimmer. Die fasste ich ja an, wenn ich von draußen komme. Das Putzen hat tatsächlich sogar diese teure, vom Schreiner extra angefertigte Holz-Glas-Tür angegriffen. Das Holz dort war rau geworden. So rau, dass es wirklich mit Katrins Händen, also mit Katrins Haut zu vergleichen ist. Und das Etikett am Firmenlaptop? Auch dieses zeigte deutliche Abnutzungsspuren. Das war mir bis dahin nicht wirklich aufgefallen. Ich bin eben nicht so der optische Typ. Aber es kam nicht von meiner Nutzung. Das Etikett verblasste vom heimlichen Putzen!

      Schließlich wurde das Thema des Gartenausflugs mit Niklas aufgerollt. Ob ich denn wirklich gedacht hätte, dass Katrin den Ausflug zum Sandkasten nicht bemerkt hätte?

      War es eine Provokation? Ich sage nein. Es war der ganz klare Wunsch eines Vaters, seinem Sohn die Erfahrung zu geben, dass man da draußen, in der Sonne, gemeinsam Spaß haben kann. Zuhause. Wenn draußen Sommer ist.

      Dienstag, 10. Juli 2007 – Aussichten

      Heute hatte Katrin wieder eine „Vor-Therapie"-Stunde. Die Aussichten sehen aus meiner Sicht düster aus. Frau Saggur macht mehr Fragebogenarbeit, als konkrete lebenserleichternde Unterstützung. Fragebogenarbeit? Es scheint ein mögliches Standardverfahren zu sein, dass in den ersten Stunden bei einer solchen Therapie Fragebögen über das Leben und insbesondere den Einfluss der Angst auf das Leben gemeinsam ausgefüllt werden. Sicherlich auch,