Gabriela Beyeler

Grüwig das Buch


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Wir erfuhren später, dass Mutter dachte wir würden uns streiten. Dieses Missverständnis muss sie sich heute noch ab und zu anhören. Mit Sascha stritt ich mich sehr oft. Er war meiner Meinung nach ja auch ein verwöhntes Bürschchen. Es gab Zeiten, in denen ich genug von ihm hatte, dann lockte ich ihn in unser Zimmer, schloss die Tür und machte mich über ihn her. Sascha konnte richtig jähzornig werden. Auch schon verfolgte er mich mit einer Gartenhacke. Ich floh in unser Zimmer und er hackte wutentbrannt in mindestens jede zweite Holzstufe und schlug oben ein unschönes Loch in die Tür. Nachdem ich Sascha wieder einmal so richtig ärgerte, verfehlte mich ein Stein, der knapp an meinem Kopf vorbei flog, nachdem ich schnell die Haustür hinter mir schloss. Das muss ein grosser Brocken gewesen sein, denn der Stein vermochte durch die dicke Glasscheibe zu fliegen und am Kasten dahinter aufschlagen! Wir beide hatten unsere Campingbekanntschaften. Sascha pflegte Kontakt mit einem Jungen aus Winterthur. Ich hatte damals keine Ahnung, wo Winterthur lag. Nun, dieser Junge hiess…, ja wie hiess er denn…? Ich weiss nur noch, dass wir ihn Münger genannt haben. An seinen Vornamen kann ich mich nicht erinnern. Als er bei uns in den Ferien war und ich mit ihm auf dem Campingspielplatz spielte, hatte ich eine Idee. Ich schleppte einige Bachziegelsteine an und deponierte sie neben der Wippe. Ich lud den Jungen ein mit mir zu wippen und als wir eine Weile auf und ab wippten, fing ich an die Steine aufzuheben und auf meiner Seite zu stapeln. Weil wir fast gleich schwer waren, war ich nach dem ersten geladenen Stein schon schwerer und es war ein Kinderspiel, die anderen Steine aufzulegen, bis die Steine allein ihn hochhielten. Ich stieg ab und sagte: „Tschüss, ich gehe jetzt!“ Er fing an zu heulen und ich verliess den Spielplatz. Ich weiss nicht mehr wie lange er da oben sass, allzu lange kann es nicht gewesen sein, doch meine Mutter war „stinksauer“ auf mich, weil der Knabe wieder nach Hause, zu seinen Eltern wollte. Ein weiteres Mal, als er auch bei uns schlief und wir in unseren Betten lagen, hatte ich wieder einmal eine Idee. Sascha und ich schliefen in einem Kajütenbett, ich oben und er mit seinem Kollegen unten. Ich holte eine Schnur und befestigte das eine Ende an des Knaben Handgelenk, ging nach oben unter meine Decke und zog nun vorsichtig an der Schnur. So konnte ich den Arm des Jungen bewegen, wie der eines Hampelmannes, dass fand ich ulkig, bis er dann erwachte. Wenn ich heute in Frauenfeld an der Autogarage Münger vorbei fahre, erinnert mich das immerzu an diesen Jungen.

      Primarschulzeit

      In den ersten sechs Schuljahren überquerte ich tagtäglich die Kantonsgrenze. Die Schulhäuser die ich besuchte, standen auf Appenzellerboden in Schönengrund. Meine erste Lehrerin, Fräulein Eichholzer, mochte ich am liebsten und dann in der vierten Klasse kam Fräulein Vonbank. Die ersten Schuljahre sind mir nicht bewusst. Von der vierten Klasse weg, kann ich mich schon besser erinnern, was und mit wem ich in der Pause spielte und wer mein erster Verehrer war. Zu unserer Zeit spielten wir in der ersten Klasse „Räuber und Polli“, dass war das allerbeste und einzige Spiel überhaupt. Im ersten Schuljahr sah ich ab und zu Philip auf dem gemeinsamen Pausenplatz und dann nicht mehr, weil er das Schulhaus wechselte und schon in die Sekundarschule kam. Später spielten wir Mädchen „Gummitwist“ und kriegten uns dabei auch hin und wieder in die Haare. Apropos Haare, meine Freundin Susanne trug damals Zöpfe. Sie und eine Schulkameradin, der Name war Barbara Hungenbühler, stritten sich fürchterlich auf dem Nachhauseweg und nicht das erste Mal. Susanne platzte nun der Kragen und sie ging auf Barbara los, schlug sie, zog sie an den Haaren auf deren Knie am Boden entlang und bumste deren Kopf in eine Hauswand. Barbara blutete aus der Nase, weinte und lief nach Hause. Von da an, gab es keinen Streit mehr zwischen den beiden. Mich wollte in der ersten Klasse immer wieder der blonde Martin Fischer verhauen. Er drückte mich an einen Zaun und brachte mich schier zum heulen. Nach längerer Belästigung seinerseits, habe ich nach Mutters Erzählung kurzerhand beschlossen, im Hochsommer mit Skischuhen in die Schule zu gehen. Nach längerer Befragung, gab ich dann an, dass ich diese schweren Klötze an den Füssen zur Verteidigung, mittels Fusstritten gegen sein Schienbein brauchte. Und ich habe es durchgezogen. Martin humpelte mir weinend hinterher und liess mich seit diesem Tag in Ruhe. Nach der Schule schlenderte ich am Liebsten dem Bachlauf entlang nach Hause und nicht wie vorgesehen auf dem Trottoir. In den Gummistiefeln auf Abenteuer aus. Meine Mutter machte sich Sorgen und zur gleichen Zeit hatten Oliver Tschopp, Martin Fischer und ich unseren Spass und vergassen die Zeit. Wir stapften im Bachbeet voran, bis wir zu einem Weiher kamen. Wow, den hatten wir entdeckt! Plötzlich standen wir vor der „Landi-Tankstelle“. Da erst riss es mich aus meiner Kinderfantasiewelt und mir wurde bewusst, dass ich weit weg von zu Hause war. Zum Glück sah ich meinen Opa, der gerade sein Auto tankte und schon war ich wieder sicher zu Hause angekommen. Da gab es natürlich Schimpfe. Ich verstand zwar nicht die Aufregung, doch ich zeigte volles Verständnis und es kam so auch nicht wieder vor. Ein andermal erkundete ich eine seltsame Höhle unter der Strasse, in der Nähe der „Sonne“. Heute weiss ich, dass das ein Abwasserkanal war. Ich kroch an einer anderen Stelle in eine unterirdische Röhre, in der ein Bächlein floss. Ich musste gebückt gehen, so eng war sie. Die Röhre hatte eine Gesamtlänge von 20-30 Meter, durch die ich mich voller Abenteuerlust zwängte. Da sie eine Biegung hatte, war es ganz schön dunkel und unheimlich. Übrigens war das der Ort, wo der Junge vom Camping die Fische angebunden hatte. Wenn ich mir vorstelle, dass das heute meine Kinder machen würden... da stehen mir die Haare zu Berge!

      Meine Mutter habe ich zu der Zeit hauptsächlich als Coiffeuse in Erinnerung. Und an schönen Tagen im Garten beschäftigt, mit Giesskanne oder Korb. Jäten war wohl ihre häufigste Tätigkeit. Ich sehe noch heute die Rübchen vor mir, so gross gewachsen und wunderprächtig, doch als ich sie aus dem Boden zog, war mehr als die Hälfte des Gemüses weggefressen. Die hungrigen Mäuse hatten sich daran gemacht. Abends vor dem Fernseher hatte sie meist gestrickt und auch oft dazu ein Fussbad in einem Kunststoffeimer genommen. Der Teppich an diesem Ort war schon gekennzeichnet, von dem immer wieder überschwappenden Wasser. Ich sah einen„gruseligen“ Film und bekam davon Alpträume. Es handelte sich von Menschen die krank waren und eingeschlossen wurden in einer Art Tempel oder Kirche. Ein Nichtwissender und mutiger Mann ging dann dort hinein, erschrak, als er die Menschen darin sah, die alle zu ihm gekrochen kamen. Er floh die Treppe hoch und die verwahrlosten Menschen folgten ihm kriechend, auf allen Vieren. Er wollte die Tür öffnen, doch sie war verschlossen. Verzweifelt drückte er dagegen und kurz bevor sie ihn erreichten, brachte er sie grade noch auf und konnte sich retten. Einmal träumte ich von Kutteln, die eine Strasse entlang krochen. So ekelig und weil ich Kutteln nicht ausstehen konnte, kein Wunder. Ich hatte auch ab und zu Flugträume. Ich stand im Traum auf das Balkongeländer, flog los in den Himmel und bewegte mich wie im Wasser, so als würde ich schwimmend durch das All fliegen. Beim Einschlafen gab es Momente, wo ich zutiefst erschrak, immer dann, wenn ich plötzlich das Gefühl hatte, als ob das Bett um 90 Grad kippe und ich in die Tiefe fallen würde. Heute weiss ich was dies bedeutet, damals hatte ich jeweils heftige Angst.

      Belastende Gefühle

      Die unangenehmste Erinnerung an die damalige Zeit war abends im Bett, wenn sich meine Eltern stritten. Das war meistens spätabends, nachdem mein Vater nach Hause kam. Ich hörte vorwiegend die Stimme meiner Mutter, wie sie immer lauter wurde und ihn anschrie. Das löste in mir Angst und Unbehagen aus. Es kam eine Phase, in der mir jeden Abend beim zu Bett gehen schlecht war. Ich hatte irgendwoher ein kleines Fläschchen, auf dem geschrieben stand: Gegen Unwohlsein und Erbrechen. Wenn ich dieses Fläschchen bei mir hatte, dann ertrug ich mein allabendliches übel sein. Ich las den Text auf dem Fläschchen immer und immer wieder durch und das beruhigte mich wirklich, denn wenn es hart auf hart kommen sollte, konnte ich davon nehmen, obwohl ich mich nicht erinnern kann, dass ich es jemals aufgemacht und benutzt hätte. Aber wehe dieses Fläschchen war nicht da, dass war für mich eine Katastrophe und ich litt dann sehr. Eines Tages vertraute ich mich meiner Mutter an und erzählte ihr von meiner abendlichen Übelkeit. Ich hatte das Gefühl, dass sie nun böse auf mich war und ich fühlte mich schuldig deswegen. Ich sagte lange Zeit nichts mehr. Ich weiss nicht wie lange es gedauert hat, doch es ist mir bestimmt nicht leicht gefallen, als ich sie erneut damit belästigte. Sie sagte: “Dann gehen wir halt zu einem Arzt“ und sie gab mir das Gefühl, als fehlte mir nichts. Beim Arzt angekommen, war Herr Doktor Eklin nicht anwesend, er war in den Ferien. Seine Vertretung, ein sehr junger Arzt, war mir gleich sympathisch. Ich sass also dem gut aussehenden, jungen Mann, mit kleiner runder Brille gegenüber. Er fragte mich nach meinen Beschwerden und ich schilderte sie ihm. Er fragte mich so einige Dinge und ich erzählte