Gabriela Beyeler

Grüwig das Buch


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das Fläschchen auskommen. Ich weiss nicht wie lange es anhielt, doch irgendwann kam die Übelkeit wieder, nicht mehr so häufig, doch irgendwie ging ich dann bewusster mit diesem Problem um und irgendwann hörte es wohl auf. Ich denke, ich erkannte den Grund dafür und dies ist die halbe Heilung. Es kam vor, dass meine Mutter bei uns im Zimmer schlafen wollte, doch das war sehr unangenehm, weil dann nachts, wenn wir schon alle schliefen mein Vater ins Zimmer kam, Licht machte und wollte, dass meine Mutter zu ihm herunter kommt, ins gemeinsame Bett.

      Einmal, kurz vor Weihnachten, als mir langweilig war, sagte meine Mutter, ich dürfte ein Geschenk auspacken und den ganzen Nachmittag damit spielen, aber am Abend, müsste ich es wieder hergeben und wir würden es wieder einpacken. Ich war einverstanden und packte eine „Barbie“ aus, wow! Eine Barbie-Ballerina mit blonden Haaren und einem rosa Tütü. So wie es sich für eine Ballerina gehörte, so gelenkig war sie auch. Das war ein sehr schönes Erlebnis.

      Wenn ich am Morgen verschlafen hatte und das kam oft vor, dann hatte ich Angst als Letzte ins Schulzimmer einzutreten. Weil mir meine Mutter anbot, doch lieber zu Hause zu bleiben, nahm ich dieses Option gerne an. Wenn sie dann jeweils im Dorfladen einkaufen ging, brachte sie mir sogar etwas Leckeres mit. Als ich Jahre später die jährlichen Absenzen in meinem Zeugnis sah, erschrak ich schon ein wenig. Mutter kochte sehr oft Spaghetti und sie kochte sie wirklich gut! Käsehörnchen mit Birnen war unserer Lieblingsmenü. Sonntags gab es meistens einen Braten mit Kartoffelstock. Ich liebte es, wenn es geschwellte Kartoffeln mit „Zibu“ gab und verschiedenen Käse dazu. Nach diesem Abendessen gingen Philip und ich oft zu Jonas und Werner und spielten dort im „Tenn“, im Strohlager Fangen. Wir bauten mit den Strohballen richtige Gänge. Es war einfach Spitze, obwohl ich die Langsamste von allen war und darum diejenige, die immerzu fangen musste. Philip probierte in seinem Zimmer so manch Kampf- und Verteidigungskunst an mir aus. Und einmal bat er mich um einen Gefallen. Ich sollte einer Freundin von ihm anrufen, weil deren Eltern ihre Tochter wohl behüteten und die Telefonate kontrollierten. Es ging dann aber trotzdem in die Hose, weil doch tatsächlich diese Mutter mich anfing auszuquetschen, wer ich denn nun sei und wo ich zur Schule ginge und so weiter! Zu dieser Zeit besuchte Philip in Wattwil die Kantonsschule. Ich verbrachte manchen schulfreien Nachmittag in seinem Zimmer und hörte Musik. Als ich mich an die Musikanlage wagte, prägte ich mir jeden einzelnen Schalter ein wie er stand und erst dann stellte ich die Knöpfe so ein um via Kopfhörer seine Schaltplatten zu hören. Ich praktizierte dies eine lange Zeit, bis ich wahrscheinlich etwas nachlässig wurde und er es eines Tages bemerkte. Er stellte mich zur Rede und ich gab es auch gleich zu. Von da an durfte ich offiziell in seinem Zimmer Musik hören, so oft ich wollte und das machte mich sehr stolz. Einmal, wirklich nur einmal, so glaube ich, war ich so sauer auf meinen älteren Bruder, dass ich in sein Zimmer ging und den Puzzleteilen auf dem Pult, gleich noch zwei andere Puzzles hinzu mischte. Meine Mutter sortierte diese dann Tage danach wieder auseinander und war natürlich sauer auf mich. Sie schimpfte mit mir und ich gab ihr eine freche Antwort. Sie gab mir darauf zwei, drei kaum spürbare Handschläge auf meinen Hintern. Ich begann zu weinen und sagte, dass es mir gar nicht wehgetan hätte und lief davon. Ich zog mein rotes Wintermäntelchen, mit weissem Fell umrandeter Kapuze an und ging in den Wald. Nie mehr wollte ich wieder nach Hause zurückkehren! Ich lief und lief und meine Wut, so denke ich, baute sich dadurch ab. Plötzlich wusste ich gar nicht mehr, warum ich so wütend war und es gab für mich keinen Grund mehr nicht nach Hause zu gehen, ausser meinem etwas verletzten Stolz vielleicht. Meine Mutter hatte mich soweit nie geschlagen und auch damals empfand ich es nicht wirklich bedrohlich, oder gar schmerzlich, auf jeden Fall nicht auf körperlicher Ebene. Mein Vater ist mir einmal nachgerannt und ungeschickterweise lief ich auf den Balkon und war somit gefangen. Vor mir stehend, plusterte er sich auf und ich war schon auf eine Ohrfeige gefasst, doch er beliess es dann mit ein wenig Haare zupfen.

      Mein Vater

      Meinen Vater sah ich nicht sehr oft. Und wenn, dann gab es vielfach Streit zwischen ihm und meiner Mutter. Er hatte in Sachen Erziehung keinen Einfluss. Er wusste nicht wie alt wir gerade waren, einzig meinen Geburtstag konnte er unmöglich vergessen. Wir waren nie alle zusammen in den Ferien, wandern, spazieren oder sonst so was in der Art. Einzig mit Vater waren wir Kinder ab und zu unterwegs. Ziele waren Restaurants, im speziellen Restaurants auf Hügeln und Bergen, weil er von dort aus guten Funkempfang hatte. Wir spielten auf deren Spielplätzen und hatten unseren Spass. Einmal zeltete er mit uns im Tessin. Das war super und ein regelrechtes Abenteuer! Wir zelteten in Melide, in der Nähe von Swiss Miniature. Während wir unser Zelt aufstellten erklärte er uns, worauf man schon beim Aussuchen des Platzes achten muss. Man sollte das Zelt am besten auf einer leichten Anhöhe errichten und dann machte er noch einen Graben ums Zelt, eine Regenrinne. Als es eindunkelte, sahen wir lauter Hasen, die auf dem Areal umher hüpften, auch um unser Zelt. Sascha hatte Angst und wir lachten ihn aus. In der Nacht begann es dann tatsächlich zu regnen und rundherum hörten wir, wie die Leute ihre Zelte neu spannten und dadurch war überall das Einschlagen von Haken zu hören. Vater hatte Recht behalten, wir hatten keinerlei Probleme mit unserer Lage. Ich erinnere mich an einen Abend, an dem wir eine richtige Familie waren. Mein Vater hatte verschiedene Spiele dabei, die er am nächsten Tag in einem Parcours aufstellen musste, irgendwo im Thurgauerland oder im Zürichgebiet. Auf jeden Fall stand dort ein Maisfeld und das imponierte mir sehr. Am Abend zuvor hatten wir es so richtig gut und schön zusammen, plauderten und spielten diese Spiele im Wohnzimmer. Ich wusste wo Vater arbeitete und was er dort tat. Mir gefiel es in diesem Büro, mit den riesigen Schreibtischen, den vielen Schreibern und den grossen Zeichnungen, auf denen ich viele saubere Striche, Formen und Zahlen sah, so ordentlich mit Schablone geschrieben. Ende der 70iger Jahre machte er eine Zusatzausbildung als Versicherungsagent. Die Idee, so denke ich heute, war nicht schlecht, doch war er einfach zu unzuverlässig und so hielt sich dies nicht lange aufrecht. Im Winter, als er zu einem Kunden unterwegs war, lag etwas Schnee. Die Strassen waren vereist, darum entschloss er sich nicht die steile Strasse zum Bauernhof hochzufahren, sondern ein Stück durch die Wiese zu gehen, eine Abkürzung. Er stieg aus und ging mit Halbschuhen im Knöchel hohen Schnee. Er muss sehr schnell kalte Füsse gekriegt haben, denn als er nach Hause kam, erzählte er sehr dramatisch, dass er nicht mehr daran glaubte anzukommen. Er habe nur noch das ferne Licht des Hofes gesehen und dachte er würde erfrieren. An manchen Abenden kam mein Vater auf allen Vieren die Treppe hoch gekrochen. Oben angekommen, schaffte er es irgendwie, torkelnd oder kriechend durch den dunklen Gang in sein Bett. Während ich dies schreibe, kommen eigenartige Gefühle hoch. Gefühle von Verachtung und vielleicht auch der Traurigkeit. Eines Morgens kam der Hausarzt und es hiess, dass mein Vater fast gestorben sei, an einem Herzinfarkt. In der Schule bemitleideten sie mich. Heute bin ich mir nicht sicher, ob dies echt war. Er machte sich oft den Spass, und rief von auswärts an um uns zu veräppeln. Er gab sich als Pfarrer „Nägeli“ aus oder sonst jemanden. In einer Nacht, als ich in Mutters Bett schlief und Vater nicht zu Hause war, klingelte mitten in der Nacht das Telefon. Ich nahm es ab und hörte eine Männerstimme, die seltsame Sachen erzählte. Ich glaubte die Stimme meines Vaters zu erkennen und sprach ihn darauf an. Doch er verunsicherte mich immer wieder und so ging das Gespräch noch lange, bis ich einfach auflegte. An einem anderen Tag, nahm meine Mutter das klingelnde Telefon ab und es meldete sich wie schon oft Herr Pfarrer „Nägeli“. Meine Mutter sagte: „Ja ja, schon gut, ich weiss wer du bist, du kannst aufhören!“, weil es auf der anderen Seite plötzlich so seltsam ruhig wurde, war Mutter auch nicht mehr sicher und entschuldigte sich bei Herrn Pfarrer Nägeli, den es diesmal wirklich gab! Eines Morgens, nach einem Streit in der Nacht, hatte meine Mutter ein blaues Auge und ihre dritten Zähne waren zerbrochen. Ich wusste was geschehen war und als ich meinen Vater darauf ansprach, erfand er eine Räubergeschichte. Wenn er zu viel Alkohol intus hatte, aber doch noch nicht genug, dann war er streitsüchtig, primitiv und manchmal auch fies. Er plagte unseren Hund, der mir so schon leid tat. Ab und zu zwickte er ihn, dass dieser jaulte, was sein Ziel war und dann tat er so, als ob er nichts getan hätte. In diesen Momenten hasste ich ihn. Mein Vater besuchte einer seiner Funkkollegen, Sascha und ich fuhren mit. Dort trank er wie üblich über das Mass hinaus. Als wir dann heimfuhren, hatte ich grosse Angst auf dem Rücksitz des „Valliants“. Das war eine hügelige Gegend dort und neben der Strasse ging es steil bergab. Ich duckte mich und betete innerlich, dass alles gut ginge. Als ich in der Pubertät war, kam er einige Male einfach ins Bad geplatzt, ich hasste das. Ich dachte, na gut, wenn du das nächste Mal kommst, dann trage ich lässig ein Badekleid,