Gabriela Beyeler

Grüwig das Buch


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er sich in seiner Wohnung irgendwo in St. Gallen mit seinem Sturmgewehr in den Mund geschossen habe und sein Hirn in der ganzen Wohnung verteilt war. Zuvor habe er die Wände verschrieben, mit den Worten „Cornelia, ich liebe dich“. Auf dem Tisch lagen Fotos von seiner Familie und auch eines von mir, so wurde mir erzählt. Ich war nicht an seiner Beerdigung auf dem „Feldlifriedhof“ in St.Gallen. Warum ich nicht anwesend war weiss ich nicht. Später, sehr viel später, besuchte ich sein Grab einige Male. Meine Mutter und ihre Schwester Irene mussten das Zimmer reinigen. Meine Mutter erzählte mir, wie hart das für sie beide war, denn es klebten immer noch da und dort, winzige Teile von seinem Kopf.

      Oma Maria

      Monate danach erlitt Oma Maria einen Hirnschlag. Es passierte während eines Telefonats mit ihrer Tochter Irene. Irene hatte in Kürze vor, mit ihrem Freund Willi Rusterholz nach Kanada auszuwandern. Willi war schon seit drei Monaten in Kanada und suchte sich einen Job und eine Unterkunft. Und nun wollte Irene mit dem Schiff folgen. Oma war darüber sehr unglücklich. Während des Telefonats bemerkte Irene, dass etwas am anderen Ende nicht stimmte. Sie fuhr zu ihrer Mutter und fand sie in einem sehr kritischen Zustand. Sie rief sofort den Hausarzt an. Dieser kam nach geraumer Zeit und reagierte nicht unbedingt fachmännisch. Meine Tante Irene drängte auf einen Krankenwagen, denn Oma konnte nicht mehr sprechen und auch konnte sie ihren rechten Arm nicht mehr heben. Vom Schlaganfall bis zur fachmännischen Hilfe, verstrich viel zu viel Zeit und Oma trug nicht mehr reparierbare Schäden davon. Nach einem langen Spitalaufenthalt, schickte man sie zur Kur nach Vallens. Als wir sie besuchten, sass sie im Rollstuhl und konnte nicht mehr sprechen, ausser Silben wie: „ma de si“, das waren immer wieder ihre Worte. Es tat so weh, Oma so zu sehen. Sie war einseitig gelähmt. Als mein Vater sie im Rollstuhl durch den Park in Valens schob, kamen wir an einer Wiese mit Kühen vorbei und da sagte er zu ihr: „Schau mal, Muh!“, das war sogar mir peinlich! Oma konnte glücklicherweise über die idiotische Situation lachen. Im Kopf war sie noch die alte und somit noch völlig in Ordnung. Mein Opa suchte dann eine geeignete Wohnung, in der Nähe von uns. Er fand in der Landscheide eine 4-Zimmerwohnung im Parterre, ohne Türschwellen. Als Oma nach Hause durfte, holten sie Oma`s Mutter aus dem Altersheim in Gossau, damit die beiden nicht so allein waren. Meine Urgrossmutter war damals über achtzig und soweit gesund. Sie strickte täglich Socken. Oma lernte am Stock gehen und übte fleissig in der Wohnung. Sie ging tagtäglich einen breiten Gang auf und ab. Ich brachte den beiden von montags bis und mit freitags jeden Mittag das Essen, schnitt das Fleisch in mundgerechte Stücke und fuhr los, in entgegengesetzter Richtung zur Schule, nach St.Peterzell. An manchen Nachmittagen besuchte ich die beiden und machte bei ihnen meine Hausaufgaben, damit sie nicht so allein waren. Meine Oma machte Kreuzworträtsel. Sticken konnte sie auch, doch nicht sehr lange. Ich konnte mich mit ihr durch eine Art Gebärden verständigen und wenn es gar nicht ging, dann schrieb sie es auf. Einmal, als die beiden gegessen hatten, Oma aufs WC musste und sie wieder in die Küche kam, war meine Urgrossmutter mit dem Abwasch schon fast fertig. Oma wurde sauer und gab ihrem Frust durch wilde Gebärden Ausdruck. Meine Urgrossmutter bekam es mit der Angst zu tun und rief meiner Mutter an, die gerade eine Kundin bediente. Meine Urgrossmutter berichtete, dass die Maria ihr nun gerade auch noch mit der Faust drohe und immer böser werde. Meine Mutter sagte, sie komme und legte auf. Als sie dann nach einem zwanzigminütigen Fussmarsch dort ankam, weinte meine Oma, denn dies alles war ein Missverständnis. Die einzige Arbeit die sie noch verrichten konnte, war der Abwasch und weil ihre Mutter dies schon fast allein erledigt hatte, war sie sauer und schimpfte mit ihr. Diese wiederum verstand ihre Reaktion überhaupt nicht und rief meiner Mutter an. Als Oma mitbekam, dass meine Mutter ihre Kundin „stehen liess“ und kommen wollte, wegen nichts, wollte sie sagen: “Oh nein, nicht doch, es ist doch gar nicht notwendig!“ und schwang ihre Faust vor Verzweiflung, was wiederum falsch interpretiert wurde. Nun ja, meine Mutter hatte dann alles verstanden und Oma beruhigt und natürlich auch deren Mutter. Ich schnitt jeweils Oma`s Fingernägel und war stolz dies tun zu dürfen. Bei der gelähmten Hand war es etwas schwieriger, weil diese Finger nicht mehr so beweglich waren, wie die der gesunden Hand. Eines Tages, nahm ich eine neue Kollegin mit zu Oma und als wir dann nach einem kurzem Besuch gehen wollten, rief mir Oma vom Fenster noch etwas hinterher und ich verstand, dass ich ihr doch bitte noch die Nägel schneiden solle. Ich schnitt sie ihr dann von der Fensterbank aus, aber weil ich nicht allein war und ich mich von der Kollegin gehetzt fühlte, war ich nicht so konzentriert und habe Oma`s Fingerbeet der gelähmten Hand ein wenig verletzt, was mir so leid tat. Oma beschwichtigte und trotzdem konnte ich mir selbst nicht verzeihen. Als wir gingen, sagte das Mädchen dann so laut, dass es Oma hören konnte, ob den die Frau das nicht selber machen könnte, in einem solch abschätzenden Ton, dass ich wütend auf sie wurde, so eine blöde Kuh! Ich traf mich nicht mehr mit diesem unsensiblen und kindlichen Mädchen. Monate später, ging es Oma gesundheitlich schon seit Tagen nicht gut. Ich glaube ich besuchte sie an einem Mittwochnachmittag und machte wie so oft meine Hausaufgaben bei ihr. Sie lag auf dem Sofa und ich spürte, dass es ihr wirklich nicht so gut ging. Gegen Abend verabschiedete ich mich von ihr und ging nach Hause. Ich ahnte nicht, dass das das letzte Mal war, dass ich sie sah. Nachts, kam dann Mutter nach oben und sagte, dass Oma gestorben sei und Philip fuhr sofort mit seinem Mofa zur Landscheide um sich von ihr zu verabschieden. Ich durfte so wie es aussah nicht mit. Als Opa nach Hause kam, war Oma irgendwie unruhig und etwas seltsam. Sie lag schon im Bett und Opa ging ins Bad, machte sich fürs Bett zurecht und als er ins Schlafzimmer trat, war es schon geschehen. Er rief sofort den Arzt und meiner Mutter an, doch Oma war nicht mehr zu retten. Sie war gestorben, an einer Lungenembolie. Irene kam sofort von Kanada angeflogen und ich hütete während der Beerdigung zu Hause ihre kleine süsse Tochter Simone. Eigentlich wollte ich doch auch gerne an Oma`s Beerdigung. Nun war Opa und Urgrossmutter allein. Es verging nicht viel Zeit und meine Urgrossmutter musste nach einem Schlaganfall ins Spital, wo sie dann auch Wochen später starb. Ich trauerte nicht um sie, empfand es nicht als schlimm. Ich war vielleicht schon ein bisschen traurig, doch sie war ja auch schon alt und so kam der Tod nicht überraschend.

      Als Opa krank wurde

      Es verging kein halbes Jahr und dann ging es Opa gesundheitlich nicht gut. Er hatte Probleme mit seinem Magen und der Arzt sagte ihm nach einer Magendarmspiegelung, dass er Magenkrebs habe. Mein Opa war ein Mensch, der unter die Leute musste. Meine Mutter erzählte, dass er schon so manchen Beruf ausübte. Vom Vertreter von Limonade und Süssigkeiten, zum Bodenleger. Als er diesen Beruf wegen der Knie nicht mehr ausüben konnte, wechselte er zum Verkäufer. Als Nebenjob war er Hausabwart. Er war ein Typ der nicht „nein“ sagen konnte und so machte er oft zu vieles auf einmal. In jungen Jahren war er Geräteturner, später spielte er im Theaterverein, war im Kegelklub und im Jodlerklub war er Vorjodler. Zuletzt arbeitete er bei Globus im Verkauf. Er stand kurz vor seiner Pension und freute sich darauf. Nun lag er im Spital. Man hat ihm den Magen entfernt und ein Stück Darm eingesetzt. Mein Opa sah nicht mehr aus wie ich ihn kannte. Er war auf einmal so dünn! So dünn und schwach geworden, dass sogar die Uhr an seinem Handgelenk zu schwer für ihn wurde. Bald ging es wieder bergauf und erste Spaziergänge waren möglich. Kurze Zeit später wurde er nach Hause entlassen, was für mich ein sehr eigenartiges Gefühl war. Mein Opa war für mich nicht mehr derselbe und das machte mir Angst. In der ersten Nacht in seiner Wohnung gab es einen Zwischenfall. Mutter erzählte, dass die Wunde am Bauch aufgeplatzt sei und er wieder ins Spital musste. Opa kam nicht mehr nach Hause. Bei seiner Beerdigung durfte ich dabei sein und ich sah zum ersten Mal in meinem Leben eine Leiche. Wir gingen zum Sarg und ich sah sein Gesicht, ganz bleich und seine Nase stand so spitz hervor, dass war in meinen Augen nicht mein Opa der da lag. Weinen musste ich nicht, ich kann mich auf jeden Fall nicht daran erinnern auch nicht an die Predigt in der Kirche.

      Kanadareise im Sommer1981

      Irgendwann, bevor Opa schwer krank wurde, bezahlte er meiner Mutter, Sascha und mir die Reise nach Kanada. Ich war damals vierzehn und sehr aufgeregt, das erste Mal fliegen zu dürfen! Zur damaligen Zeit war das sehr aussergewöhnlich, kein Vergleich zu heute. Opa brachte uns an den Flughafen. Der Flug war unglaublich lange, und die Nacht an Bord sehr kurz. Wir sahen wie die Sonne sich dem Horizont näherte und schliesslich unterging. Es wurden Wolldecken ausgeteilt und die meisten machten ein Nickerchen. Die Nacht dauerte schätzungsweise eineinhalb Stunden. Dann konnten wir beobachten, wie die Sonne schon wieder fast an derselben Stelle aufging und die Decken