Harro Pischon

Die Toten am Kleistgrab


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hierher locken können. Sie brauchte ihre Rückzugsmöglichkeit zum Telefonieren, Mails schreiben, auch zum Rollenstudium.“

      „Kann ich das Zimmer mal sehen?“

      Weninger schmunzelte. „Müsst ich jetzt nicht die Frage stellen, ob Sie einen Durchsuchungsbeschluß haben, oder?“

      Menzel reagierte unwirsch: „In einem schlechten Roman vielleicht. Es handelt sich aber um das Zimmer eines Opfers. Ich will ja nicht Ihr Zimmer sehen, falls Sie hier eins haben.“

      Weninger antwortete nicht, öffnete eine Tür, die in das Balkonzimmer führte und ließ Menzel alleine. Dem war etwas unwohl, als überschritte er eine Grenze, die er in der Phantasie gerne verletzt hätte, aber nun stand er wirklich in ihrem Zimmer. Er hatte erwartet, dass eine Schauspielerin ihre Porträts und Rollenfotos an die Wand hängt. Es gab zwar viele Fotos, aber keine, die auf Eitelkeit schließen ließen. Allenfalls ließ sich aus den Bildern ihre Entwicklung als Schauspielerin erschließen. So gab es Fotos mit als Vögel maskierten Jugendlichen – offensichtlich eine frühe Schulaufführung, außerdem fotografierte Plakate, Theatersäle, Regisseure mit Widmung. Eines der letzten erschien Menzel merkwürdig: Zu sehen war ein Haus an einem Fluss, im Hintergrund Hügel, fotografiert vom Ufer, am Geländer lehnten zwei Frauen und ein Mädchen, offensichtlich vom Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, kein Text. Menzel stand vor einem Schreibtisch mit Telefon und einem Netzkabel, aber nicht das dazugehörende Notebook. Er rief Weninger.

      „Herr Weninger, wo ist Frau Czernys Notebook?“

      „Ich hab keine Ahnung, Herr Kommissär.“

      „Sie haben es nicht an sich genommen?“

      „Dann hätt ich ja eine Ahnung, natürlich nicht.“

      Menzel zeigt auf das alte Foto des Hauses am Fluss: „Und dieses Foto – was zeigt es, wissen Sie das wenigstens?“

      „Also da hab ich eine Ahnung, wenn auch nicht mehr.“

      „Und?“

      „Es hat mit Kleist zu tun und liegt, glaub ich, in der Schweiz. Aber da müssten Sie schon Dehmel fragen. Nur, das geht ja wohl nicht mehr. Oder Sie fragen einen Kleistkenner. Ich glaub, sie ist da vor kurzem hingefahren.“

      „In die Schweiz? Mit Dehmel?“

      „Ich glaub schon.“

      „Da stellt sich mir die Frage, wie Ihre Beziehung war – in der letzten Zeit?“

      „Ja, was soll ich sagen, - ich hab sie geliebt.“

      „Und sie?“

      „Wissen Sie, die Kathi war extrem auf Anerkennung aus. Das ist ja für eine Schauspielerin nichts Ungewöhnliches. Aber sie hat auch privat sehr gern geflirtet und Männer verrückt gemacht. Ich hab bei ihr immer an Marlene Dietrich im „Blauen Engel“ gedacht: Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt...“

      Menzel knüpfte an: „Männer umschwirren mich wie Motten das Licht...“

      „Ja, sie brauchte das, aber es war eigentlich nie etwas Ernstes.“

      „Und in letzter Zeit?“

      „Ja, in letzter Zeit, da war sie eben oft mit diesem Dehmel zusammen und ist ja sogar mit ihm verreist.“

      „Und das hat Sie nicht gestört?“

      „Natürlich hab ich mich aufg'regt. Vorwürfe hab ich ihr gemacht, was sie sich denkt, mir Hörner aufzusetzen.“

      „Und?“

      „Ja, was, und? Gelacht hat sie und sich auf meinen Schoß gesetzt und gesagt: 'Brunolein, mach dir keinen Kopf. Das ist nur vorübergehend, es ist bald vorbei.'“

      „Und Sie waren es zufrieden?“

      Weninger brauste nun auf: „Ja, was glauben denn Sie ? Hätt ich sie sollen hinauswerf'n? In Gatsch hau'n?“

      „In was bitte?“ Menzel riss sich mühsam zusammen.

      „In den Dreck schmeißen. Ich habe keine Ahnung, worum es dabei ging, warum sie sich mit diesem Dehmel zusammengetan hat. Vielleicht hat es ja mit dem Theater zu tun oder mit Kleist, ich weiß es nicht.“

      „Vielleicht hat sie sich ja nur wegen Dehmel mit Dehmel zusammengetan“, ergänzte Menzel süffisant. Weningers Miene erstarrte und seine Augen verengten sich zu Schlitzen.

      Menzel klappte sein Notizbuch zu: „Sie wissen schon, dass sie damit zum Kreis der Verdächtigen gehören. Wo waren Sie denn in der Nacht vom Samstag auf Sonntag?“

      „Ja, tut mir leid, mit einem – wie sagt man – hieb- und stichfesten Alibi kann ich nicht dienen. Am Abend war ich in der Galerie am Rosenthaler Platz und danach hier zu Hause. Und - nein, Zeugen gibt es dafür nicht. Ich war überall alleine.“

      Menzel stand auf. „Das wäre es dann fürs erste, Herr Weninger. Ich nehme an, Sie haben nicht vor, in den nächsten Tagen die Stadt zu verlassen?“ Bruno Weninger schüttelte nur den Kopf und ging zur Tür. Menzel konnte es sich nicht verkneifen, die alte Masche anzuwenden, drehte sich vor dem Verlassen der Wohnung noch einmal um und fragte mit gespielter Beiläufigkeit: „ Ach, übrigens, Herr Weninger, was für ein Auto fahren Sie eigentlich?“

      „Ach, Sie meinen, ob ich damit...?“

      „Ja, ich meine, ob Sie damit...also?“

      „Ich hab einen alten Ford Galaxy, einen Van. Muss oft Bilder transportieren oder auch mal Skulpturen.“

      „Einen Van also, soso. Vielen Dank auch und auf Wiedersehen.“

      Menzel ging die Treppe hinunter und war sich bewusst, dass ihm der Galerist nachschaute. Dem würde er ohne Weiteres zutrauen, seine Geliebte zu beseitigen, wenn er erführe, dass sie ihn betrügt. Wieder etwas für den Runden Tisch im Präsidium. Beim Verlassen des Hauses fiel ihm gegenüber ein Schild mit goldener Schrift auf: „Alte Fleischerei“. Bürgerliche Küche und ein gepflegtes Bierchen, das konnte seinen Ärger besänftigen. Nach dem zweiten Pils wurde ihm klar, dass er sich vor allem ärgerte, dass neben der Ehefrau des Opfers nun noch ein zweiter Verdächtiger auftauchte. Aber noch war nicht aller Tage Abend und die Runde gegen Beate noch nicht verloren.

       März 1802

       Kleist ging allein durch das Haus. Die Decken waren niedrig, gerade mal zwei Meter. Vom Flur ging eine Küche ab und ein Wohnraum mit etwa 15 Quadratmetern. Von diesem konnte man auf den See blicken und auf eine Terrasse treten. Ans Ufer schlugen sanft die Wellen. Es war noch kalt, die Bäume kahl. Und es war ruhig. Aller Lärm der Stadt war verstummt. Nur die fernen Ufer und die Berge schimmerten durch die spätwinterliche Luft. Kleist stand am Ufer und sog die Luft ein. Hier könnte er zur Ruhe kommen. Hier könnte er schreiben. Hier könnte er es beweisen.

       Nachdem er das obere Stockwerk besichtigt hatte, war ihm klar, dass er in einem der Räume arbeiten wollte und im anderen schlafen. Die Fischerstochter konnte im Erdgeschoss in der Küche walten und das Essen anrichten. Sie würde ihn dort oben nicht stören. Seine große Truhe mit Büchern und Papieren musste nach oben geschafft werden. Er brauchte Hilfe.

       So ging er zum Haus des Fischers, klopfte und wieder öffnete ihm die Tochter, das Mädeli. Diesmal betrachtete Kleist sie genauer, sie war ungefähr gleich groß, schlank, aber kräftig, mit blanken, wachen Augen. So schwierig ihm die Schätzung des Alters junger Frauen schien, meinte er doch, dass sie im gleichen Alter war wie er selbst. Kleist war noch in ihren Anblick versunken, da fragte ihn das Mädeli: „Haben Sie's gemietet, das Hüsli, Herr von Kleist?“

      „Ja, ja, ich habe es gemietet, das Haus, den Schlüssel habe ich schon in meinem Rock.“

      „Und wann ziehen Sie ein?“

       Heute in einer Woche, ich muss ...muss noch einmal nach Bern, zu einem Freund.