Sabine von der Wellen

Das Vermächtnis aus der Vergangenheit


Скачать книгу

lange nicht fähig gewesen und es war ein harter Kampf der Gefühle, bis er bereit war, sich auf eine Beziehung einzulassen. Nun ist er für mich mein Halt und Rettungsseil. Aber die Feuchtigkeit, die seinen Körper überzieht, sagt mir, dass es mehr nicht geben wird als die Umarmung. Dazu geht es ihm zu schlecht.

      „Wollen wir aufstehen und frühstücken?“, frage ich verunsichert.

      Mir einen Kuss auf die Stirn hauchend, nickt Erik. Mit belegter Stimme raunt er: „Ich springe unter die Dusche und gehe dann Brötchen holen.“

      Diesmal bin ich diejenige, die nur nickt und ich weiß, dass er nicht nur Brötchen holen will. Aber es ist in Ordnung. Er soll nicht zu viel leiden.

      Als er mich aus seinen Armen entlässt, werfe ich einen tiefen Blick in seine schönen, braunen Augen, die, wenn er vom Brötchen holen wiederkommt, von dem tiefen Schwarz der Pupillen dominiert werden.

      Erik steht auf und ich bleibe noch liegen. Er soll erst duschen und gehen. Dann erst werde ich aufstehen und mich dem Tag stellen. Nach dem Frühstück werde ich ihn um einen Gefallen bitten müssen, der ihn wieder erschüttern und wütend machen wird. Darum ist es gut, wenn er nicht auch noch mit seinem Entzug zu kämpfen hat.

      Erik kommt ins Schlafzimmer zurück, nur ein Handtuch locker um die Hüfte geschlungen.

      Ich bewundere seinen schönen Körper, den nur die zwei langen Narben über der Brust entstellen. Aber ich liebe diesen Makel an ihm, weil er seine Schönheit etwas relativiert und meine Unvollkommenheit damit nicht ganz so hervorstechen lässt.

      Er kommt zu mir und setzt sich auf die Bettkante, seine Haare über mir ausschüttelnd wie ein nasser Hund. Ich ziehe lachend und quickend die Decke über mich und er lässt seine Hände unter die Decke gleiten und hält mich fest. „Warte, bis ich wieder da bin“, raunt er mit dunkler Stimme und streicht mir durch mein langes Haar.

      Meine Arme um seinen Nacken schlingend würde ich das, was seine Worte versprechen, gerne sofort einlösen. Aber ich weiß, das würde ihn überfordern. Und ich möchte ihm seinen Erfolg nicht mindern, dass er seit Freitagabend keine Drogen mehr genommen hat.

      „Ich werde dich an deine Worte erinnern“, antworte ich und streiche ihm eine Locke aus seinem blassen Gesicht. „Und jetzt ziehe dich an und hole uns ein paar Brötchen, und wenn sie noch haben Croissants.“

      Erik steht schwerfällig auf und geht zu dem großen, weißen Schrank, um sich seine Jeans und ein T-Shirt herauszusuchen.

      Ich sehe ihm erneut zu und spüre eine leichte Traurigkeit, die mich immer wieder überkommt, wenn ich sehe, wie seine Haltung mit dem Kampf in seinem Inneren an Kraft verliert. Erik ist selbst erschrocken und wütend darüber, dass er nicht bemerkte, wie tief er sich schon in den Drogensumpf ziehen ließ. Es ist kein körperlicher Schmerz, der ihm zu schaffen macht, sondern eine innere Angst, Unruhe und das klare Gefühl, es ohne Drogen einfach nicht schaffen zu können. Er glaubt, er ist dem Leben in keiner Weise mehr gewachsen, wenn er es ohne seine Helferlein meistern muss.

      „Bis gleich“, sagt er, wirft mir einen Luftkuss zu und geht.

      Langsam stehe ich auf, als ich die Wohnungstür ins Schloss fallen höre. Ich dusche mich, föhne mir meine Haare trocken, die mittlerweile weit über die Schultern reichen und werfe einen Blick in mein blasses Gesicht, aus dem mich blaugrüne Augen besorgt mustern. Meine blasse Haut lässt die Sommersprossen alles dominieren. Von meiner Sommerbräune scheint nichts mehr vorhanden zu sein.

      Ich schüttele missmutig den Kopf, gehe ins Wohnzimmer und schaue aus dem Fenster in einen verregneten Tag.

      Meinen Laptop hochfahrend, mache ich Musik an und beginne das Frühstück vorzubereiten. Eigentlich habe ich keinen Appetit. Aber ich werde etwas essen, um mir die sorgenvolle Miene von Erik zu ersparen. Er muss gut gelaunt sein, um das zu ertragen, um was ich ihn nach dem Frühstück bitten will.

      Der Kaffee läuft in die Kaffeekanne und verströmt einen angenehmen Geruch. Die Eier stehen in ihren Eierbechern neben den Tellern, und Käse sowie Schinken und zwei verschiedene Marmeladen warten schon, als Erik wiederkommt.

      Er küsst mich und legt die Brötchentüte auf den Tisch. Ein Blick in seine Augen sagt mir, dass ein neuer Anlauf auf eine neue Zeitspanne begonnen hat, die hoffentlich erneut länger sein wird als die vorherige. Aber ich weiß auch, dass dieser Wunsch von mir sich diesmal ins Gegenteil kehren kann, bei dem, was ich vorhabe.

      Ich habe es vor, aber während des Frühstücks kann ich Erik nicht auf das Ansprechen, was ich auf dem Herzen habe.

      Er erzählt mir von seinen Studienkollegen und den Dozenten an seiner Uni und kommt von dem Thema auf ein anderes, das er bisher unberührt gelassen hat. Er beginnt mir von seinem Vater zu erzählen, der unbedingt möchte, dass er irgendwann die Sportgeschäfte weiterführt, die seine Eltern in mehreren Städten Deutschlands betreiben. Bis dahin sollen noch weitere gegründet werden. Es ist das erste Mal, dass er über die Geschäftswelt seiner Familie spricht, die für mich bisher nur als entferntes Gedankengut ohne Einfluss auf unser Leben bestand hatte.

      Ich spüre sein Unbehagen und dass es nicht das ist, was er tun möchte. Aber Erik hat auch keine Idee, was er stattdessen tun will. Er ist irgendwo in seiner Endlosjugendschleife hängengeblieben, in der er bisher das große Geld nur als Dealer und Gangster verdienen wollte. Aber die Zeit im Jugendgefängnis, wo er sechs Monate einsaß, weil er jemanden krankenhausreif schlug, ist ihm als eine der Schlimmsten in seinem Leben in Erinnerung geblieben.

      Für mich passt das alles nicht zusammen. Schließlich war er bisher auf gutem Wege, genau da wieder hinzukommen. Vor kaum achtzehn Monaten bekam er für drei Jahre eine Bewährungsstrafe wegen Drogenbesitz und Drogenhandel, die nur durch einen sehr guten Anwalt und weil seine Eltern ein anständiges, ihn weiter unterstützendes Elternhaus präsentiert hatten, nicht zu einer Gefängnisstrafe wurde. Sein Leben in Freiheit hängt beständig am seidenen Faden, denn er wollte dem Drogenmilieu bisher nicht den Rücken kehren und lässt bestimmt als Geldeintreiber nicht immer die Fäuste in der Tasche.

      Natürlich weiß ich von all dem nichts. Zumindest tue ich so. Aber auch ich habe in den Wochen mit Erik gelernt, Dinge zu hören und zu sehen, die mir eigentlich verborgen bleiben sollen.

      Als wir den Frühstückstisch abräumen, fragt er: „Wozu hast du heute Lust? Was möchtest du machen?“ Er stellt den Aufschnitt in den Kühlschrank und ich überlege, wie ich ihm am besten mein Anliegen vortragen kann. Jetzt ist die Gelegenheit!

      „Ich möchte nicht, aber ich muss heute etwas tun, was dir nicht gefallen wird“, antworte ich ihm und lehne mich an die Küchentür.

      Langsam dreht er sich zu mir um. „Und was soll das sein?“, fragt er lauernd. Er mag nicht, wenn ich andeute, dass ich etwas allein tun muss und schon gar nicht, wenn mir schon vorher klar ist, dass es ihm nicht gefallen wird.

      Ich strecke ihm meine Hand entgegen, die er nehmen soll und er kommt langsam zu mir, mich beunruhigt musternd.

      „Komm!“, bitte ich ihn und als er nah genug ist, nehme ich seine Hand und ziehe ihn mit zum Sofa.

      „Was ist los?“, fragt Erik, jetzt schon seine Wut hochfahrend und er macht sich sichtlich auf etwas gefasst.

      Er kennt mich gut genug, um zu wissen, dass etwas Unangenehmes folgen wird. Doch wie unangenehm das für ihn sein wird, das weiß nur ich in diesem Moment.

      Ich schlucke und sehe ihm in die Augen. „Bitte, rege dich nicht gleich auf. Hör mir erst mal zu“, beginne ich und Erik verschränkt seine Arme vor der Brust und setzt sich auf die Sofakante, als müsse er zum Sprung bereit sein.

      Ich kenne ihn inzwischen gut genug, um zu wissen, was dieser Blick von ihm zu bedeuten hat und lege ihm beruhigend eine Hand auf seine verschränkten Arme.

      „Erik, ich muss wegen der Verhandlung mit Marcel sprechen“, werfe ich mein Anliegen in den Raum und halte den Atem an.

      Seine Augen verengen sich augenblicklich und er brummt: „Das musst du nicht!“

      „Doch! Ich bin beunruhigt, weil er