nicht mehr interessieren“, wirft er wütend ein.
Ich hatte damit gerechnet, dass das nicht leicht werden wird.
„Schatz, es geht nicht darum! Ich möchte wissen, ob Tim Marcel von dem ominösen Bildüberbringer berichtet hat und was er von ihm verlangt. Vielleicht hat Marcel eine Idee, wer dahinterstecken kann und auch, welche Organisation Julian einen Anwalt stellt, der ihn kostenlos vertritt und auf alle Fälle aus dem Gefängnis herausholen will. Seit ich das weiß, bin ich deswegen wirklich beunruhigt.“
Natürlich sage ich Erik nicht, was die volle Botschaft auf der Rückseite des Bildes war, das mich und Erik in eindeutig verliebter Pose zeigt und das Tim zugespielt wurde, um ihm Eriks Bedeutung in meinem Leben vor Augen zu führen. Aber mich beschäftigen die Worte tagaus und tagein: Hilf deinem Bruder und er wird seiner Schwester klarmachen, bei wem ihr Platz ist.
Jemand versprach darauf Tim, wenn er unserem Bruder Julian aus der Untersuchungshaft hilft, bekommt er mich dafür.
Julian ist mein Bruder, verbunden durch unsere Mutter Sophie, und auch Tims Bruder, verbunden durch ihren gemeinsamen Vater Marcus. Wir unterliegen alle drei dem Vermächtnis unseres Vorfahren Kurt Gräbler, der sich sein Leben lang der Alchemie und Lebensverlängerung verschrieben hatte. Doch er schaffte es nicht, sein Leben zu erhalten. Zumindest nicht in dem Sinne, wie er es sich bestimmt gewünscht hatte.
Aber wir drei träumen von ihm, und wurden bisher immer wieder seltsam manipuliert. Und lange Zeit gab es ein tiefes Band zwischen mir und Tim, das uns miteinander verband - wie all die anderen Nachfahren von diesem Alchemisten, die seit seinem Ableben Kinder mit Blutsverwandten zeugten, weil sie sich in einer krankhaften Liebe zueinander hingezogen fühlten. Wie Tim und ich anfangs auch.
„Bitte, Marcel kann mir bestimmt helfen!“
Erik springt auf und sieht mich von oben herab an. „Ich kann dir auch helfen! Du brauchst den dafür nicht. Du kannst mit allem zu mir kommen und wir finden einen Weg.“
Ich stehe auch langsam auf und stelle mich dicht an ihn heran, meine Arme um seine Hüfte schlingend. Ich weiß, er ist gekränkt, weil ich ihn das Recht abspreche, zu wissen, was für mich gut und richtig ist. Dabei ist er sechs Jahre älter als ich und glaubt alles besser zu wissen.
„Natürlich! Du hilfst mir ja auch. Aber Marcel hat Möglichkeiten, etwas in Erfahrung zu bringen, die wir nicht haben. Sein Großonkel ist der Professor, der sich sein ganzes Leben lang mit der Geschichte unserer Familie und der des Alchemisten beschäftigt hat. Vielleicht kann Marcel ihn fragen, was er von Tims Geschichte und von dieser Organisation hält, die Julian unbedingt helfen will, und mir sagen, was ich vielleicht besser vorher weiß, bevor Julian Donnerstag wieder auf freien Fuß kommt“, versuche ich ihm klarzumachen.
Dass jemand Julian einen neuen Anwalt stellte, der den meiner Eltern absägte, ist noch ein Punkt, den ich schwer einschätzen kann. Wem liegt noch daran, dass Julian wieder auf freien Fuß kommt? Sind das die gleichen, die auch das Bild von mir und Erik an Tim weitergaben?
Eriks Blick sagt mir, dass er den Gedanken nicht ertragen kann, dass Marcel und ich noch irgendetwas miteinander zu tun haben. Er kann nicht mal ein Telefongespräch ertragen.
„Also, ist es in Ordnung, wenn ich Marcel anrufe?“, frage ich noch einmal nach.
Erik legt seine Hände auf meine Schulter und sieht mich mürrisch an. „Nein! Ist es nicht!“ Ich höre in seiner Stimme dennoch die Unsicherheit darüber mitklingen, dass seine Ansicht eigentlich eine übertriebene Reaktion ist und er das weiß.
„Erik, ich frage dich, weil ich nichts tun möchte, ohne dass du Bescheid weißt. Aber ich lasse mir auch nichts verbieten“, brumme ich und lasse ihn los.
„Dann mach doch was du willst“, zischt er und lässt mich auch los. Er geht ans Wohnzimmerfenster, reißt es auf, wobei er es fast aus den Angeln bricht und atmet tief durch.
Ich nehme vom Wohnzimmertisch die Zigarettenschachtel und gehe zu ihm. Ihm die Schachtel hinhaltend, lächele ich entschuldigend.
Er nimmt sich eine und sieht mich wütend an.
„Schatz, bitte! Ich mache es auch kurz. Ich muss nur mit ihm über einige Dinge reden. Sei nicht wütend. Du weißt doch, dass ich dich liebe und zu dir gehöre.“
„Ja, dann mach doch!“, knurrt er und zieht an seiner Zigarette, sich wieder dem Fenster zuwendend.
Ich werfe die Zigarettenschachtel auf den Wohnzimmertisch zurück und hole mein Handy aus meiner Schultasche. Ich habe mein altes Handy und meine alte Karte wieder, die einige Zeit in Eriks Besitz war, um mich zu überwachen, und rufe darüber Marcel an. Es klingelt und klingelt und ich lege auf. Aber ich versuche es ein zweites Mal und nach einigem Klingeln nimmt Marcel ab. Er klingt verschlafen. „Ja! Carolin?“
„Hallo Marcel!“
„Hallo!“, kommt es zurückhaltend. „Ich dachte, du meldest dich in der vergangenen Woche mal?“ Er klingt vorwurfsvoll.
„Sorry! Ich hatte viel zu tun. Aber weswegen ich anrufe - hast du etwas von Tim gehört?“ Ich will es kurz machen und spüre Eriks Anwesenheit fast wie eine Bedrohung. Er hasst es, wenn ich noch mit meinen Exfreunden zu tun habe.
Kurze Zeit ist es still in der Leitung, dann antwortet Marcel: „Ne, warum?“
Ich atme tief ein und werfe einen Blick zu Erik hin, der immer noch am Fenster steht und sich nicht rührt. „Er war Dienstag hier. Es gibt ein Problem wegen der Verhandlung. Ich muss davon ausgehen, dass er seine Aussage zu Gunsten von Julian ändern wird“, erkläre ich Marcel.
„Waaas?“, höre ich den laut ins Handy brüllen. Er scheint mit einem Mal hell wach zu sein. „Warum glaubst du das?“
Ich schlucke erneut den Kloß herunter, der sich in meinem Hals bilden will. Wie soll ich Marcel klarmachen, worum es geht? Und vor allem, wie soll ich Marcel von der Botschaft auf dem Bild berichten, ohne dass Erik das wirkliche Ausmaß der Mitteilung mitbekommt?
„Können wir uns irgendwo treffen?“, frage ich resigniert und weiß, dass das Erik zum Kochen bringen wird. Aber er darf einfach nicht erfahren, was Tim erhalten soll, wenn er seine Aussage ändert. Das wäre viel schlimmer.
Wieder ist es einige Momente still und ich sehe aus dem Augenwinkel, dass Erik sich zu mir umdreht. Ich sehe ihn lieber nicht an.
„Ja klar! Ich kann in einer Stunde an dem Parkplatz sein, auf dem wir uns letztes Mal getroffen haben“, sagt Marcel.
„Gut, wir kommen da hin. Also …“, ich sehe auf die Uhr, „in einer Stunde. In Ordnung?“ Mir wird heiß bei dem Gedanken, was mir gleich blühen wird.
„Okay, bis dann!“, antwortet Marcel und fragt gar nicht, wer „wir“ ist. Ich bin froh darüber und hoffe, dass das nun folgende Donnerwetter nicht ganz so hurrikanmäßig ausfällt, weil ich klar damit aussagte, dass Erik mitkommen soll.
„Bis dann!“ Ich drücke das Gespräch aus und sehe Erik an, der wieder diesen Blick draufhat, der mich am Anfang, als ich ihn kennenlernte, immer verängstigt hatte.
„So, du willst dich mit ihm jetzt auch noch treffen?“, knurrt der aufgebracht und schüttelt ungläubig den Kopf.
„Wir werden ihn treffen. Du kommst mit. Zumindest bleibst du in der Nähe. Bitte! So weiß ich, dass du weißt, dass zwischen mir und Marcel nichts mehr ist und wir wirklich nur reden.“
Erik sieht mich verdattert an. Dass er mitgehen soll, damit hat er nicht gerechnet.
„Bitte Erik! Du musst mitkommen! Ich will nicht mit Marcel allein sein … aber ich muss mit ihm reden. Er ist auch vollkommen entsetzt, dass Tim das jetzt abzieht. Aber er muss auch wissen, warum.“
„Du willst ihm von uns erzählen?“, fragt Erik verblüfft.
Bisher hatte ich meine Beziehung mit Erik vor Marcel geheim halten wollen, weil er vor meiner Mutter immer noch mein Alibi ist. Sie weiß nicht, dass wir getrennt sind und auch