Peter J. Gnad

Bin in Afghanistan


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zuckte nur mit seinen Achseln, blieb nicht stehen, sprach mit leiser Stimme.

      "Schau mal, der Erste ist garantiert am Leben, ich habe gesehen, wie er in Deckung gekrochen ist - ich hatte ihn ins Bein getroffen, auch darauf gezielt… Der Zweite ist vom Felsen gefallen, als ich ihn ebenfalls ins Bein traf… ich glaube der ist aber tot, er bewegte sich nicht mehr !"

      Sie waren lange schweigend weitergegangen, bevor Felsberg eine Art Antwort als Frage formulierte.

      "Und, wie ist das eigentlich, wenn man weiß, dass man einen Menschen getötet hat ? Wie viele hast du persönlich getötet ?"

      "Himmel, Arsch und Zwirn… bitte, kriege es in deinen Kopf, wir haben das nicht freiwillig gemacht, wir sind in diese Situationen hinein gezwungen worden. Zuerst die Russen, dann die verschiedenen Fraktionen unserer eigenen Banditen, die sich allesamt hinter dem Islam versteckten, ihn als Schild vor sich her trugen, dahinter verbargen sich aber eigentlich ebenfalls nur Banditen… und dann kamen die Über-Banditen, die Taliban, die gleich glaubten den Islam neu erfunden zu haben und alles und jeden unterdrückten !"

      "Jajaaa, ich kenne ja alle diese Geschichten, es war ja auch nicht zu vermeiden, das Fernsehen, Zeitungen, Journale… wir waren ja gewissermaßen schon überfüttert, mit alle den Katastrophenmeldungen aus Afghanistan !"

      "Ich auf jeden Fall, bin kein Muslim mehr. Und wenn du mich hier in Afghanistan einmal zufällig beten sehen solltest, so tue ich dies nur aus Respekt gegenüber meinen alten Freunden… die es nicht verstehen könnten, dass ich auf einmal ein "Kafir" geworden bin, ein Ungläubiger !"

      Am nächsten Morgen, die Sonne hatte gerade ihre ersten Strahlen über die Bergkante gesandt, als sie ein weit offenes Tal überqueren wollten, bemerkten sie, ganz ohne Knalleffekt, dass sie noch immer verfolgt wurden. Ganz plötzlich hatte nämlich die Erde neben ihnen aufgespritzt, Felsberg hatte sich noch niedergebeugt, um zu untersuchen, was denn das gewesen sei, als ihn Mirwais schon mit einer schnellen Bewegung zu Boden warf.

      "Scharfschützen, zum Glück schießen sie schlecht - der Knall kommt erst nach, den hörst du nicht mehr, bist schon tot…"

      Mirwais sah sich vorsichtig um, suchte einen Fluchtweg. Er deutete auf das Flußbett, einer der vielen trockenen Wasserläufe. Er packte Felsberg einfach an der Schulter und zog ihn auf dem Boden mit sich, bis hinunter in den Wadi.

      "Puuuh, das war richtig knapp… wenn das einer von unseren Leuten, damals, gewesen wäre, dann wären wir jetzt bereits im Paradies !"

      "Jaaa… ihr Moslems habt da ja auch zweiundsiebzig Jungfrauen warten und sonst noch so einiges, deshalb seid ihr ja auch so scharf drauf ins Paradies zu kommen !"

      "Und ich hatte dir vorhin gerade erzählt, dass ich kein Muslim mehr bin, nicht mehr an diese dumme Religion glaube !"

      "Aber damals warst du's noch…"

      "Damals, da war vieles anders… da war ich auch noch jung, dumm und gefräßig, aber nicht viel mehr."

      Sie grinsten einander an, verstanden einander auch schon ohne große weitere Worte, man umarmte einander kurz.

      Sie folgten dem Flusslauf, im Flussbett, er führte stetig leicht abwärts, mäanderte durch ein weiteres Tal, ergoss sich endlich in eine weite offene Ebene, verlor sich sprichwörtlich im Sand. Man war neuerlich an den Shamali-Plains angelangt, die Gefahr war zwar noch nicht ganz vorbei, aber nun doch besser zu kontrollieren.

      Nun war es nur mehr diese weite offene Fläche, die es zu überqueren galt, in der Mitte verlief die Hauptschlagader Afghanistans, die Straße von Süd nach Nord, wohin sie ja anschließend eigentlich gewollt hatten.

      Aber es war noch immer viel zu riskant, diese Ebene, ungedeckt, in hellem klaren Tageslicht zu überqueren, Spione konnten überall sitzen. Also zog man sich in den Schutz einiger Felsen, an den Rand der Ebene zurück, um vielleicht in den letzten Stunden des Tages auch noch etwas Schlaf zu finden. Die Nacht würde man benützen um loszugehen.

      Aber es war eigentlich noch nicht Nacht gewesen, als sie, auf Mirwais Rat, aufbrachen. Die Sonne war gerade untergegangen, ihr Schein langsam hinter den Bergen um Westen verglüht, als eine halbe Stunde später völlige Dunkelheit herrschte.

      "Das ist die dunkelste Zeit der ganzen Nacht, wir müssen jetzt weggehen, in einer weiteren halben Stunde steht der Mond am Himmel und dann sieht's wieder schlecht aus für uns, da müssen wir schon außer Reichweite sein !"

      Er ging, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, einfach los, Felsberg hatte Mühe sein Tempo mitzuhalten, aber zweifellos hatte er recht, die Kanonen lauerten in ihrem Rücken. Am besten wäre es auf die andere Seite der Ebene zu gelangen, dort waren die Sympathien eindeutig vertauscht, sie fänden überall Schutz und auch Unterkunft, das war Freundesland.

      Felsberg hatte schon lange keine Empfindung mehr für seine eigenen physischen Schmerzen, seine schlechte Kondition, trabte fast schon wie ferngesteuert hinter seinem Freund nach. Dann waren sie endlich bei der Straße angekommen. Aber das war noch nicht das Ende, diese Leute, die hinter ihnen her waren, mussten Komplizen auf der Straße gehabt haben, denn als Mirwais einen Wagen kommen sah, fuhr dieser geradewegs auf ihn zu, und nur ein mutiger Sprung in den Straßengraben rettete ihn davor, überfahren zu werden.

      Nicht genug, war der Wagen kreischend zum Stehen gekommen, vier Gestalten sprangen heraus, die sofort nach ihnen Ausschau hielten.

      "Mika, Mika, wo bist du… um Himmels willen… Schieß endlich !"

      Felsberg schob den Sicherungsbügel an seiner Waffe zur Seite, krümmte seinen Zeigefinger, die Waffe bellte los.

      Premiere, es war das erste Mal, dass er eine Garbe aus einer Maschinenpistole abfeuerte und das noch aus der Hüfte, wie im Kino.

      Mirwais lief los, in die Dunkelheit, Felsberg folgte ihm auf dem Fuß, man durfte sich nun nur nicht auch noch versehentlich trennen. Zumindest seine, Felsbergs Chancen sänken dann akut auf null.

      Sie verbargen sich in den Ruinen eines verlassenen, zerbombten Dorfes, von denen es auf den Shamali Plains unzählige gibt. Am Morgen, noch bei Dämmerung brachen sie wieder auf - wie viele Tage waren sie nun schon unterwegs - die Zeit verschwamm mit steigender Müdigkeit, Felsberg stolperte mehr als er ging.

      Aber dann kam der Lichtblick, Mirwais hatte einen Berg wieder erkannt, ein ganzes Massiv, was hieß, dass er sich von nun an auskannte und man nicht mehr blind in der Gegend herumrannte, immer in Gefahr eines Hinterhaltes.

      In dem kleinen Dorf am Fuße der Berge machte man kurz Halt, Felsberg zog seinen Pakol bis tief ins Gesicht, seine Bartstoppel waren durchaus bereits ähnlich denen der Afghanen. Mirwais fand den lokalen Bäcker kaufte einige Räder Brot, an einer Ecke der Hauptstraße fand sich sogar eine kleine Chaikhana, vor deren Eingang ein junger Afghane Lammfleisch, eine Reihe von Kebabspießen auf offener Glut briet. Felsberg stieß Mirwais an, schmerzlich kam ihnen zu Bewusstsein, dass sie alle diese Tage praktisch nichts gegessen hatten.

      Als Mirwais zwölf Spieße bestellte, sie nur noch auf den Garvorgang warten mussten, war es dann zu eben jener Begegnung gekommen, in der Felsberg von dem Mann mit dem strengen Geruch um Bakshish angebettelt worden war. Er hatte nicht umhinkönnen, sich die Nase zuzuhalten und sich abzuwenden, und einen Laut der Verabscheuung von sich zu geben, einen eindeutig europäischen Laut der Abscheu.

      Die Augen des Mannes hatten verdächtig aufgeblitzt, er hatte den Schlafsack, die Waffe, und den Sack den Mirwais trug verdächtig lange gemustert, war in Sichtweite stehen geblieben, hatte ihnen noch länger zugesehen.

      Zuerst suchte Mirwais noch nach einer Karawanserei, nach einem Schlafplatz in einem Haus. aber nachdem ihm Felsberg die Begegnung mit dem Mann geschildert hatte, brachen sie doch wieder auf, wanderten gemächlich aus dem Dorf, hielten auf die Straße zu, gingen gemächlich weiter. Hinter der nächsten Buschreihe waren sie aber dann schnell nach rechts gegen die Berge zu gegangen, nach Möglichkeit in Deckung von Büschen oder kleinen trockenen Schmelzwassergräben.

      Der Mond hatte bereits so erheblich zugenommen, seit dem Tag des Überfalls, dass es keinerlei Schwierigkeit darstellte, nach dem Verzehr des inzwischen