Hilde Sturm

Zerbrechliche Ichbrücken


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      Zerbrechliche Ichbrücken

       Therapie-Studie

       Hilde Sturm

      Zerbrechliche Ichbrücken

      Hilde Sturm

      Copyright: © 2013 Hilde Sturm

      published by: epubli GmbH, Berlin

      www.epubli.de

      ISBN 978-3-8442-5943-8

      Das Leben ist kurz,

       die Kunst ist lang;

       der rechte Augenblick ist bald enteilt;

       das Urteil ist schwierig,

       der Versuch trügerisch

       Hippokrates von Kos (zugeschrieben)

       Der höchste Grund der Arznei ist die Liebe.

       Paracelsus

       Ich denke manchmal, es fehlt uns nicht an gelehrter Prosa, sondern an gelehrter Poesie. Wissenschaftliche Theorien haben einen eigentümlichen Weltstimmungsgehalt, den sie selbst ... nicht formulieren, vielleicht nicht einmal wahrnehmen können. Die so unzulänglichen Versuche einer politischen Interpretation der „eigentlichen“ Aussage von Theorien zeigen diesen Bedarf nach einer Zweitfassung an ... Vielleicht sollte es stattdessen für anspruchsvolle Theorieleistungen eine Art Parallelpoesie geben, die alles noch einmal anders sagt ...

       Niklas Luhmann

      Inhalt

       1. Sucherin, zwiespältig. 5

       2. Am Hades lungern. 9

       3. Dämon Angst 14

       4. Ich-Dissoziationen als archaische Abwehr 21

       5. Ein Panzer aus Giften oder Ich möchte mein Leben ändern. 29

       6. Traummorde. 34

       7. Phallisches Dumdum.. 46

       8. Unmutterkaskade. 48

       9. Zerrbilder und negative therapeutische Reaktion. 51

       10. Zurückgeworfen in Angst und Chaos. 67

       11. Was soll ich mit Freiheit?. 82

       14. Therapie-Abbruch. 110

       15. Exitus socialis –Refugium.. 114

      1. Sucherin, zwiespältig

      23.2.93 Simone Maurer geht die Greifswalder Straße Richtung Nordost. Sie ist verzweifelt. Aus den Urenergien Angst und Abwehr beschleunigte Denkfetzen jagen als Wut durch ihr Gehirn. Panne, Scheißpanne! ....dann eben laufen. Doofes Krankenhaus! Blöd! .... Muss hin....Muss! In die Klapsmühle....! Blöde Klapse! Birnenpresse.... Scheißangst!!.... Angst macht klein, mauseklein.... Kotzübel wird mir! Das frisst mich auf. Kann mich nicht wehren.... Will nicht zu denen, die haben mich doch schon mal angeschnallt in der Klapper. Die haben mich dort erst verrückt gemacht, traue denen allen nicht.... Die dürfen doch alles! .... Laufen, immer weiter.... Nur nach unten sehen, auf das Pflaster. Da! Kommt einer auf mich zu…. Ist der groß! Gefährlich, die Augen.... sehe weg, mach einen Bogen …. Die Menschen sind schlecht. So hämisch die Fratzen .... stürzen auf mich zu! Verdammte Panne, im Auto bin ich sicher.... Hinter den Glasscheiben.... Tarnkasten. Die Menschen sehen mich da nicht... können mir nichts tun. Bin so schutzlos auf der Straße.... wie nackt. Die sehen einen immer so an …. Immer länger die Straße, die Füße brennen, bin sowieso zu feige.... Das Kino da.... kenn ich. Plastelappen hängen runter, klatschen im Wind. Überall müssen sie bauen.…. Mir doch egal, gehe da sowieso nicht rein. Bauschutt, alles Staub, vorsichtig drum herum. Die Häuser so traurig eingezwängt.... Wie ich, die Häuser. …. Landkarten an den Fassaden, offene Steinwunden, so kaputt wie ich. Weiter, immer weiter, schneller, hier die Bahnbrücke, rostende Säulen, .... die sind stark, schnell durch. …. Gleich wieder laut, ein Dröhnen! Wo kommt das her? …. Komme zu spät, egal, will doch gar nicht! Muss aber, sagt die Scheißärztin, sonst schickt sie mich auf Arbeit. Scheiße, dort habe ich noch mehr Angst.... Bei den Kindern, da bin ich sicher, da ist alles gut. …. Können mir sowieso nicht helfen und bin zu feige.... Ist was los hier, Lastwagen, Autos hupen, huch der Schreck! Schon wieder ein Fahrrad…. dicht vorbei, …. gemein .... Gleich rechts in die nächste Straße rein, dreckiger Schlauch. Die Häuser erdrücken mich. Zucke zusammen, das gellt, die Straßenbahn klingelt, sie hält, steigen viele Leute aus.... unheimlich. Einfach runterschlucken, nach unten sehen, immer auf das Pflaster. Fürchte ihre Fratzen, die sehen mich, verdammte Scheiße! Hier die enge Straße, die Häuser kippen auf mich drauf, ganz schief sind die. Plötzlich n freier Platz, der ist aber groß. Windig hier, dort das alte Backsteinhaus! Muss das Krankenhaus sein! So drohend! Nein! .... Langsam ran. Groß und dunkel! Soll hier rein! Will nach Hause! …. Geht nicht! Mach schon, geh rein....! Alles ne böse Macht, Arbeit, Ärzte, Schwestern, Kollegen .... Da, die große braune Tür muss es sein! Geht schwer, knarrt mich an.... wie so n Wachhund. Zieht das hier! ….Tür zu, plötzlich Stille. Drängende Stille. Dunkel hier, dort links die Treppe rauf. Sie hat gesagt, ich muss nach links. Wird noch dunkler, dann ein langer Gang, dämmrig, gruselig. Pochen im Hals, halte das nicht aus! Weg hier! .... Die Hände nass, bleibe stehen. Schwestern sind böse.... nicht dran denken .... jetzt langsam .... Da! Da ist schon eine. Weißer Kittel. Was? Ohne Haube? Die sind immer böse mit mir. Bin da, eine Stimme weit weg, kann die Schwester nicht ansehen, sehe nach unten, sie spricht leise.... hm, fast sanft.... das glaube ich nicht.... Doch.... bleibt leise. Sie fragt, ob ich alles mitmachen kann. Will sie mich zu nichts zwingen? Das wäre ne neue Sorte Schwester! …. Muss sie mir ansehen! Bin so aufgeregt, ihr Gesicht verschwimmt. Sommersprossen, blonde Haare.... lächelt. Bringe kein Wort raus. Das würgt so im Hals, zittere. Klar, Angst vor den Ärzten, will die nicht sehn! …. Will Ruhe haben, tot sein! Großmutter, will lieber zu Dir.... Oda heißt die Schwester. Für mich zuständig ist Frau Dr. Leider.... wenigstens ne Frau .... Ich soll mit in die Gruppenvisite.... lieber nicht, was machen die da? Gleich rein.... sitzen viele Menschen im Kreis. Auch welche mit weißen und blauen Kitteln. Jemand redet, bin aufgeregt, verstehe nichts. Verstecke mich hinter Schwester Oda. Herzklopfen. Mir wird heiß. Plötzlich Stille. .... Ich schaue hoch.... Die Ärztin hat sich zu mir umgedreht und was gefragt.... Ich schlucke, sehe kurz zu ihr hin. Große dunkle Augen. Sehe schnell wieder weg. Sie macht mir nicht mehr Angst als alles andere. Ich bin dran und kriege kein Wort heraus. „Sie müssen sich erst eingewöhnen, wir unterhalten uns gleich in meinem Zimmer“. Die Visite ist zu ende. Schwester Oda nimmt mich mit in einen schummrigen Aufenthaltsraum zu einem großen tiefen Sessel. Ich sinke rein, mache mich ganz klein. ....Am liebsten weglaufen. Muss dann bloß woanders hin, in eine andere Klinik oder auf Arbeit, wo ich mich nicht mehr zurechtfinde. Komisch, meine Wut ist weg. Nur noch Angst, nasse Hände. …. Alles anders hier. …. Sie kommt. Bohnenstange mit langem Wuschelhaar. Sieht jünger aus als ich.... eigentlich nicht streng. Wenn ich sie ansehen muss, schnürt es mich ein. Sie geht in ein Zimmer, dort klingelt ein Telefon. Hoffentlich fragt sie nicht so viel. …. Worte klemmen, würgen.... Würgengel .... Großmutter .... mein schlechtes Gewissen, hab versagt! .... Oau, die Tür geht auf.

       „Kommen Sie herein, Frau Maurer“. Ich gehe gegen zähen Wind, die Füße bleischwer. Muss ihr die