Hilde Sturm

Zerbrechliche Ichbrücken


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moderne mikroskopische Präzision bei O. Kernberg. Nur in dieser Reihenfolge! Kernberg, vielleicht ein „Preuße“ in New York, hat mir in seinen Schriften neue theoretische Bezüge klargemacht, brilliert mit Gründlichkeit. Wieder zu Rate ziehen. In diesem Haus kann mir bei Simone niemand helfen.

       Mache mir Sorgen um Simone, um ihre Zukunft. Welche Chancen hat sie? Werde sie immer wieder motivieren müssen. Hat nicht viele Reserven. Scheint leicht frustriert. Verzerrtes Erleben. Muss ihr beistehen. Wenn nur keiner auf die Idee kommt, die Diagnose Schizophrenie zu stellen, unsere beliebteste Fehldiagnose!

      3. Dämon Angst

      Mi 3.3.93 Simone geht langsam zu ihrer Therapeutin, widerstrebend. Blöd, dass ich noch weiter laufen muss als sonst. Die langen Flure blenden mich.... Spiegelböden. Die Türen sperren sich gegen mich. Die Treppe hört gar nicht auf. Erst die Hälfte, und schon zittern die Beine. Scheißtabletten! Scheißleben! Weiß nicht weiter.... Scheißalkohol! .... Vorsicht, nicht fluchen! .... Abends im Dunkeln, dann Jieper und Zerren .... dann brauchst Du die Flasche! .... Was soll ich ihr heute bloß wieder sagen? Sage ihr doch immer die Wahrheit ohne es zu wollen. Will mich ganz klein machen, verstecken. Das hat auch keinen Zweck. Gespräche holt sie dann eben nach.... Habe Angst vor ihr.... Sie weiß alles.... Sie tut nur so gut.... Sie ist böse.... Habe sie gerne.... Hasse ihre Fragen.... Die Gespräche sind Magie, ich traue ihr nicht. Ich im Mittelpunkt .... geil! .... Mein Märchen .... Da ist die Tür. Muss japsen, kriege keine Luft. Angst pocht .... bis in die Ohren. Klopfe an. Warte. Die Tür geht auf.... Sie lächelt .... Echt! Bleibe lieber an der Tür stehen... Sie setzt sich an einen Tisch, sieht mich an. Ich traue ihr nicht.... Stehe und stehe .... Sie lässt mich. Sieht mich einfach an und wartet.... Komme mir langsam albern vor. Da steht ein Stuhl.... Mächtig nah an ihr dran .... muss! Bin doch kein Kind!

       Hanna Leider macht sich derweil Notizen:

       Patientin kommt pünktlich allein ins Labor. Sie wirkt ängstlich, zittert, lächelt kläglich. Sie bleibt unbeweglich etwa eine viertel Stunde an der Tür stehen. Dann setzt sie sich zögernd auf den Besuchersessel. Das offene Thema der letzten Sitzung ansprechen!

       „Manchmal werden wir hier im Labor sitzen. Da läuft noch ein Apparat, den ich nachher abzustellen habe. Schön, dass Sie sich hergefunden haben. Das war gar nicht so leicht, nicht wahr?“

       „Ja, ich war ängstlich. Jetzt nicht mehr.“

       „Wenn wir öfter hier oben arbeiten, dann gewöhnen Sie sich dran. Sie haben jedenfalls genügend Mut.“ Hanna hält inne.

       „Wo waren wir beim letzten Mal stehen geblieben?“

       „O .... ich weiß nicht!“

       „Es ging um Enttäuschung.“

       „Ich bin oft enttäuscht, fast jeden Tag.“

       „Die Frage war, wie Sie mit einer Enttäuschung umgehen.“

       „Ja.“

       „Haben Sie darüber nachgedacht?“

       „Nnein....“

       „Vorgestern haben Sie gesagt, Sie würden mit Wut reagieren und sich zurückziehen. Und was denken Sie dann?“

       „Dass meine Mutter .... oder die anderen .... eben besonders blöd sind.“

       „Was ist denn blöd an Ihrer Mutter oder den Anderen?“

       „Die sind lästig.... Immer Vorschriften, immer Meckern. Verstehen mich nicht.“

       „Die Menschen sind nicht immer leicht zu ertragen. Was für eine konkrete Enttäuschung fällt Ihnen ein, die Sie nicht vergessen können?“

       „Ich durfte nicht mit auf eine Klassenfahrt. Das war in der 5.Klasse, glaube ich.“

       „Warum nicht?“

       „Ich hatte was ausgefressen. Die Lehrerin hat es meiner Mutter gepetzt.“

       „Wollen Sie darüber reden?“

       „Die anderen ließen mich nicht mitmachen, wenn sie mit einer Katze spielten. Da habe ich die Katze gefangen.... und umgebracht. Sie haben sie gefunden und auch gleich gewusst, wer das war.“ Ziemlich intensives Rachepotential für ein Mädchen. Will sie aber nicht erschrecken.

       „Sie fühlten sich von den Kindern enttäuscht. Verstehen Sie jetzt, als Erwachsene, was Sie damals gemacht haben?“

       „Ich war wütend. …. Habe meine Wut an der Katze ausgelassen.“

       „Hhm .... Haben Sie irgendwann mal mit Ihrer Mutter über diesen Vorfall reden können?“

       „Nein.“

       Hanna überlegt. Kränkungen kann sie nicht ertragen.

       „Ich denke, wir sind bei dieser Geschichte auf ein zentrales Problem gestoßen. Später werden wir daran arbeiten müssen.“ Simone entspannt sich sichtlich, dass sie diese unangenehme Erinnerung loslassen kann. Hanna aufmunternd:

       „Lassen wir die schweren Brocken. Wovon wollen Sie heute berichten?“

       „Ich träume so viel, fast immer. Manchmal habe ich Angst ins Bett zu gehen, weil im Traum immer nur Schlechtes passiert.“

       „Erinnern Sie sich an einen solchen Traum?“

       „Ja, gestern .... die ganze Welt ist durch Erdbeben zerstört. Sehe alles in Trümmern.... Leichen und gebrochene elektrische Kabel.... Ich überlebe.... Beim Aufwachen habe ich Schuldgefühle.... “

       „Warum? Glauben Sie, mit dieser Zerstörung etwas zu tun zu haben?“

       „Ja. Ich bin schlecht.“

       „Weshalb?“ Simone übertreibt etwas. Masochismus?

       „Ich hasse alle.“

       „Träume sind geheime Wünsche, aber das ist uns nicht bewusst. Also, Träume stehen für Wunscherfüllung. Können Sie damit etwas anfangen?“

       „Hm, nee.... “

       „Wir wollen gemeinsam versuchen, Ihren Traum zu verstehen. Was breitet der Traum vor Ihnen aus?“

       „Zerstörung .... kaputte Welt.“

       „Ja, das ist ein Symbol. Was könnte Ihr Traum denn symbolisieren?“

       „Mich?“

       „Ja. Es könnte etwas sein, das sich in Ihren Vorstellungen abspielt, wovon Sie innerlich ständig beherrscht werden.“

       „Verstehe ich nicht.“

       „Überlegen Sie. Wovon sind Sie innerlich so voll?“

       „Angst .... und Hass.“

       „Und Wut. Möchten Sie nicht oft Rache nehmen an der bösen Welt?“

       „Ja.“

       „Also, was symbolisiert Ihr Traum?“

       „Mh .... meine Rache? .... Aber das würde ja heißen, dass ich mir die bösen Träume selber wünsche! .... Nee, kann nicht sein.... Ich habe doch Angst davor.... Wie kann ich mir denn so was wünschen?“

       „Sie haben Recht, wenn Sie das als Widerspruch empfinden.“

       „Zwei Wünsche zugleich und .... entgegengesetzt? .... Ist doch Unsinn!“

       „Nun ja, wir existieren alle mit einer unbekannten Dimension in unserem Ich. Damit ist das Unbewusste in uns gemeint. Das ist für jeden erst einmal schwer zu verstehen.“

       „Sitzt da meine Krankheit?“

       „Weniger. Man nimmt an, dass Ihre Störungen an bestimmte Ich-Strukturen gebunden sind. Diese gestörten Strukturen sind noch nicht voll entwickelt, sondern unreif geblieben. Daher können diese Teile Ihres Ich noch nicht völlig normal funktionieren.“

       „Mm .... Klingt mächtig.... ernst .... Da ist ja sowieso nichts zu machen!“

       „O doch. Es ist zwar nicht leicht, das Ich zum Nachreifen zu bringen und bedeutet viel Arbeit, auch für Sie selbst. Aber, wenn Sie wirklich wollen, sich nicht schonen und richtig