schnellen Seglers. Sie will mich nicht sehen! Sie sei krank, heißt es aus ihrer Umgebung. Ein Bote brachte mir die Nachricht gestern erst, obwohl ich schon eine Woche auf ihre Antwort warte. Meine Frau lacht mich aus, sie ärgert mich auf ihre charmante Weise: „Die Königin liebt Dich nicht mehr, Francis, begreife es doch endlich. Du bist nicht mehr ihr Galan, Du bist der Mohr, der seine Schuldigkeit getan hat, wie unser Freund Shakespeare es so trefflich formulierte. Er meinte, als er bei seinem letzten Besuch in unserem Haus aus seinem neuen Drama vorlas, nicht seinen schwarzen venezianischen Admiral Othello, sondern Dich!“
Ich nicke belustigt, es stimmte ja, was meine Frau da sagt. Ich vermisse die Königin ja nicht als Frau, sondern als Regentin. Irgendwie ist ein Stillstand eingetreten, der die großartigen Pläne verzögert. Hat unsere Königin Angst bekommen, ihren kühnen Gedanken Taten folgen zu lassen? Ich stelle fest: Sie lässt mich nicht mehr teilhaben an ihren Gedanken . . .
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Nun ist es an der Zeit, meine Wende zu beschreiben, die mein Leben in ein neues Licht rückte: Mein Ritterschlag im Jahre 1581 änderte mein Leben im wahrsten Sinne des Wortes - mit einem Schlag! Ich lernte ein für mich unbekanntes Leben bei Hofe kennen, traf die wichtigen Persönlichkeiten und die unwichtigen. Mir schien es, mit einem Mal in einer anderen Welt angekommen zu sein. Es war nicht meine Welt, eigentlich ist sie es bis heute nicht! Dieser Glanz, diese großen Feste, die elegante Garderobe, die Köstlichkeiten aus Küche und Keller. Die Menschen, allesamt sehr elegant gekleidet, klug daher schreitend und aufgeblasen redend, machten großen Eindruck auf den Mann des Volkes, wie ich mich gerne zu bezeichnen pflegte, wenn ich mit irgendeiner wichtigen Figur auf dem „höfischen Schachbrett“ in ein Gespräch verwickelt wurde. Ich spürte, wie mich die feinen Leute musterten, wie sie mir auf Schritt und Tritt zu verstehen gaben, dass ich keiner von ihnen sei. Ein Kapitän eben nur, zwar sehr mutig und berühmt, aber doch eben nur ein „kleiner Kacker“. Ich litt unter dieser Missachtung sehr und versuchte anfänglich, ebenso geschwollen zu reden und aufzutreten. Ich benahm mich wie eine Kopie dieser Mischpoke. Doch es änderte nichts an der Verachtung der Hochwohlgeborenen. Ich hatte den Eindruck, es wurde dadurch immer schlimmer mit der neidvollen Überheblichkeit. Bis ich eines Tages zu mir sagte: Du verstellst Dich ab sofort nicht mehr. Sei wie Du bist, sei authentisch, bleibe ein Original, bleibe ein Seefahrer. Mir war klar geworden: Die Menschen bei Hofe leben hier nicht, sie residieren, wie sie mir bei jeder sich zu bietenden Gelegenheit unter die Nase rieben. Irgendwann beschloss ich, nicht so zu werden wie diese Hasenfüße!
Die Königin merkte meine anfängliche Unsicherheit und lachte mich oft aus: „Nun, Mister Darke, seid Ihr ein Sir, zeigt es diesen Chargen, diesen dienernden Lakaien, die um die Brotkrumen gieren, die von Unsrem Tisch fallen. Zeigt ihnen, wer Ihr seid, Sir Francis - ein Weltumsegler, ein Entdecker und ein erfolgreicher königlicher Kaperfahrer. Und mein Freund! Nur darauf kommt es an. Ich habe nicht viele Freunde, das werdet Ihr schon gemerkt haben. Für mich ist ein Freund jemand, der bedingungslos zu mir steht, der meine Launen mit mir teilt und mich beschützt. Ich kann meine Freunde an einer Hand abzählen. Ist das nicht grausam für eine Königin, für ein Frau?“
Mein Leben bei Hofe – ich habe dort übrigens nie ein Quartier bezogen, sondern wohne in einem eigenen großen Stadthaus – entwickelte sich mit der Zeit zu einem für mich unterhaltsamen Spiel. Mir gefiel diese oft doch dekadente Lebensweise einiger Höflinge. Ich begann, meinen Respekt zu verlieren. Ich durchschaute ihre Machenschaften, ihre im Grunde voll von Eitelkeit und Stolz getragenen Masken. Ich sah mit einem Mal ihr wahres Gesicht. Die Fratze der Kriecher, Schranzen und die der Egoisten. Irgendwann hatte ich meinen Weg gefunden, indem ich die Mitglieder des Hofes nicht mehr ernst nahm. Ich zeigte ihnen die kalte Schulter. Daraufhin warfen sie mir die Arroganz eines Emporkömmlings vor, was typisch sei, wenn man aus einer „Kohlküche“ stamme, aus einem gottesfürchtigen zwar, doch eben aus einem ärmlichen Elternhaus. Ich beschloss, diese oft ungebildete Bourgeoisie durch Missachtung zu strafen. Es gelang mir tatsächlich – aber nur durch meine Erfolge als Kapitän und später als Seeheld und Admiral.
Obwohl ich von Monat zu Monat immer mehr dazu gehöre: Einer von ihnen wurde ich nie. Die Höflinge ließen mich meine Herkunft spüren. Am schlimmsten sind die Blicke, nicht die Worte. Blicke können töten!
Der Hof in London ist natürlich das gesellschaftliche Zentrum und das politische Hauptquartier des britischen Königreiches – neben dem Parlament. Doch Königin Elisabeth versteht es, ihr Gewicht, ihre Bildung und ihre praktische Intelligenz immer wieder gegen die geheimen Machenschaften der königlichen Drahtzieher einzusetzen und sie so auf sparsamer Flamme zu halten. Ich gehörte nie zu dieser Gruppe, die ihre Macht ausspielen wollte. Ich gestehe es heute: Ich hatte es nicht nötig, mich als eine Creatura diavolo zu benehmen. Ich begriff sehr schnell, worum es am Hofe in London ging: Es ging zunächst einmal um das tägliche Leben im Schatten und im Glanz der Königin, dann um die Sicherheit der Mitglieder des Hofes. Die Mitglieder wiederum mussten dafür sorgen, dass das Prestige der Königin erhalten und noch gesteigert wurde. Der kleine Kreis der Berater und vertrauten Minister, zu den ich später gehörte, musste dafür sorgen, dass die Machteliten integriert, also auf Linie gebracht wurden. Die Königin verbrachte einen Großteil des Tages mit – wie sie es nannte – gelebter Diplomatie. Täglich empfing sie irgendwelche Gesandten zu intimen Konferenzen, die sie in Spanisch, Italienisch oder Französisch abhielt. Es wurde ihre Spezialität, denn sie verstand es sehr geschickt, Vorwürfe, Intrigen und Geschäfte zu verknüpfen und für das Königreich zum Vorteil zu schmieden. Dabei war sie keineswegs zimperlich: Elisabeth ist von ausgeprägter Koketterie und Eitelkeit und berüchtigt dafür, ihre Laune in Sekunden zu ändern und heftig derbe zu fluchen. Sie vergleicht sich dann oft mit ihrem Vater Heinrich VIII. Über ihre verstoßene und hingerichtete Mutter Anne Boleyn spricht sie nie.
Als ich meine Weltumsegelung Ende 1580 beendet hatte, war meine erste Frau Mary gerade schwer erkrankt. Sie starb ein Jahr später. In dem für mich sehr bedeutenden Jahr, da ich am 4. April 1581 zum Ritter geschlagen wurde – auf meinem eigenen Schiff, der „Golden Hinde“. Sie erlebte meinen steilen Aufstieg bei Hofe nicht mehr mit. Das ist sehr bedauerlich, denn sie war immer so stolz auf „ihren Francis“ gewesen. Nach meiner Rückkehr beendete ich mein Witwerdasein recht spät und heiratete erst vier Jahre nach dem Tod Marys die angesehene Elisabeth Sydenham. Meine zweite Frau genoss den Ruhm ihres Mannes als „Schrecken der Spanier“, als El Draque, wusste aber sehr schnell, ihre eigene Stellung in London mit großem Geschick zu festigen und geschickt auszubauen – so gewann sie sehr schnell das Vertrauen der Königin. Meine Frau ist ein Juwel. Sie ist klug und vermag genau, meine vielen Schwächen zu „behandeln“. Sie macht mich sehr glücklich. Ja, ich bin glücklich! Sie ist ein Schatz!
Ich selbst entwickelte einen recht anrüchigen Ruhm: Ein Pirat dreht am Rad der Geschichte und rettet die Königin von England vor dem Bankrott, schwächt die spanische Seemacht und bereitet den Weg Englands für die Gründung der Kolonien in Nordamerika. Sie bezeichnen mich als einen typischen Vertreter der Neuzeit: Als rationellen Geistesmensch mit einem Hang zu Abenteuern, der die überkommenen Machtstrukturen zu Ende des 16. Jahrhunderts für beendet erklärt und die Welt nach seinen Vorstellungen neu ordnet. Ein Freibeuter am Beginn des neuen, des britischen Kolonialismus und des Kapitalismus! So sehen sie mich – bin ich aber wirklich so? Meine Gefühle kennen sie nicht, meine Zweifel und Leidenschaften, meine sensiblen Momente. Wenn mich etwas berührt, bewegt und gnädig stimmt. Dann ist der harte Hund Drake ein ganz normaler, lieber und umgänglicher Mensch. Vielleicht hatte ich auch nur das Glück des Tüchtigen in einer turbulenten Zeit, die zu neuen Ufern vorrückte. Ich bekam die Chance, meine Talente anzuwenden. Und ich nutzte sie gnadenlos aus, weil die Europäer inzwischen vor viel Neid dem Erfolg der Spanier misstrauten. Ich bekam meine Chance, ein großes Stück vom goldenen Kuchen der Spanier zu verzehren.
Meine Frau Elisabeth tritt in diesem Moment leise hinter mich – mit zwei Gläsern Weißwein: „Du schreibst ja gerade nicht. Was bedrückt Dich?“
„Ich denke über mein Leben nach, was mir schwer fällt. Mit fallen viele Dinge ein, zu viele, glaube ich. Das ist für mich nicht so leicht . . . also für jemanden, der nie an sich zweifelte. Doch seitdem ich mein Leben schwarz auf weiß durchleuchte, kommen mir Bedenken. Ich lese jetzt die Texte laut vor und staune über das, was ich da über mich erfahre.