Wulf Mämpel

Mein Name ist DRAKE. Francis Drake


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und Neid auf die spanischen „Goldländer“ in der Neuen Welt, wieder auf. Der Handel sorgt dafür, das Englands Schulden abgebaut werden, die militärische Präsenz steigt und neue Pläne werden geschmiedet, die ein neues, großes, goldenes Zeitalter verheißen: Ein englisches Zeitalter, das die Vorherrschaft der allmächtigen Habsburger, die als Regenten von Österreich, Burgund, den Niederlanden, als Könige von Spanien/Portugal und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nationen ab dem 13. Jahrhundert bis in unsere Tage hinein die Geschicke Europas sehr stark bestimmen, beenden will. Und das schon jetzt einen Namen hat: Das Elisabethanische! Doch dieser spontane Ausbruch jetzt zeigt mir, wie ernst die Königin das meint, was sie sagt. Dass sie mir ein verstecktes Augenzwinkern gönnt, freut mich, denn ich bin seit längerem in ihre Pläne eingeweiht. Was viele der anwesenden Herren ahnen, jedoch nicht wissen können.

      Ich bewundere dieses gertenschlanke Weib, das die Disziplin, die man so allgemein Staatsraison nennt, über ihre geheimen Leidenschaften und Sehnsüchte stellt. Wie schafft sie das nur? Denn auch bei Elisabeth glühen im Inneren Leidenschaft und Begierde, auch wenn sie das offiziell nie zugeben würde. Ich Grunde ist sie eine leidenschaftliche Frau, die nach außen hin so kühl und gelassen wirkt. Aber ich weiß es besser!

      Die Königin stampft mit ihren übergroßen Füßen wütend auf den roten Sandsteinboden. Vor Aufregung zittern ihre schlanken Hände. Ihr weiß gepudertes Gesicht unter den wie Kupfer schimmernden Haaren ist von einer zornigen Röte überzogen. Die Königin hat beide Hände hochgerissen, um ihren Worten noch mehr Gewicht zu geben. Dann blickt sie fragend in die Runde. Die Anwesenden zucken zusammen und blicken sich neugierig um. Sie kennen die spontanen Ausbrüche der Herrscherin, doch diesmal ist es anders als sonst: Die Königin des britischen Reiches beendet damit eine zweistündige geheime Konferenz, an der ich – neben weiteren engen Vertrauten - teilgenommen habe.

      Wir tagen in einem kleinen, sparsam eingerichteten Kabinett des Greenwich-Palastes, das nur mit einem runden Tisch und acht Stühlen möbliert ist und an den Wänden vier Ölgemälde aufweist: König Heinrich VIII., ihren Vater, Anna Boleyn, ihre Mutter, ihre Schwester, die verstorbene Königin Mary Tudor und ihr eigenes königliches Porträt mit dem hervorstechenden Wappen, das von einem Löwen und einem roten Drachen eingerahmt wird. Der Blick aus dem bleiverglasten Fenster gibt einen sehr guten Eindruck von der breiten, träge dahin fließenden Themse wieder, auf der heute, trotz des Nieselregens, ein reger Schiffsverkehr herrscht: London erfreut sich einer zunehmend positiven Handelsbilanz.

      Ich höre ihre Worte noch, die sie uns vor einigen Minuten sehr eindringlich sagte: „Ich erinnere Sie an den 19. Mai 1588, als unsere Feinde ihre Armada als die „Unbesiegbare“ bezeichneten. Eigentlich lautet ihr Name aber „Grande y Felicísima Armada", etwa „Die große und vom Glück begünstigte Kriegsflotte.“ Als die Schiffe am 19. Mai in Lissabon ihre Segel setzen, glaubten viele Zeitgenossen, die Tage der englischen Königin seien gezählt. Es kommt anders: Die Hälfte der 130 Schiffe geht im Orkan vor der schottischen und irischen Küste unter. „Gott blies, und sie wurden zerstreut", nannte ich damals das Ereignis. Und Philipp rechtfertigte sich: „Ich sandte meine Flotte gegen Menschen aus, nicht gegen die Wellen und den Wind.“ Uns kam 1572 in den spanischen Niederlanden eine Rebellion sehr zu Pass, die Philipp nicht unterdrücken konnte. Er frohlockte damals: „Uns gehört die Neue Welt! Unsere Schiffe tragen die spanische Flagge über vier Meere. Unsere Armeen ziehen durch Afrika, den Nahen Osten, den fernen Westen. Überall sind wir siegreich und unverwundbar. Aber nicht vor den eigenen Toren.“ Ich entsandte 1585 Truppen in die Niederlande, um den Protestanten zu helfen - und Philipp reagierte prompt, unser Reich anzugreifen. Er schrieb damals: „Nur die Niederlande wagen zu widerstehen. Der Grund ist eine dunkle und kalte, nebelige Insel. Genauso verräterisch und kalt wie ihre Königin."

      Was zunächst als religiöser Feldzug motiviert war, entpuppte sich als klare Aggression und Eroberungsidee Unseres Reiches. Für seine Armada nimmt Philipp Kredite auf und verkauft die Juwelen seiner letzten Frau Anna von Österreich. Der spanische König vereint Flotten aus verschiedenen Reichsteilen und gliedert der Armada alle in spanischen Häfen liegenden Handelsschiffe an. An Bord sind etwa 20.000 Mann Besatzung und Soldaten. „Steige auf O Gott und verteidige Deine Sache!", lautet die Losung auf dem Banner der Armada. Zwei Monate später sichten wir die ersten spanischen Segel in der Straße von Dover. Bei den heftigen Seegefechten sind wir mit unseren wendigeren Schiffen deutlich überlegen. Unsere Kanonen sind auf dem neuesten Stand der Waffentechnik. Unsere patriotischen Herzen tun ein weiteres: Kapitäne wie Sir Francis setzen ihren Mut und ihren Verstand ein. Am Ende segelt die Armada geschlagen heim. Allerdings um Schottland und Irland herum, wo im heftigen Orkan Schiffe an den Klippen bersten oder stranden. Dabei hat die Armada fast die Hälfte ihrer Schiffe verloren. 68 Wracks, die im Herbst 1588 im spanischen Hafen von Santander einlaufen, sind alles, was von der „Armada Invencible" übrig geblieben ist. Meine Herren, warum erzähle ich Ihnen das, was Sie alle genau wissen: Weil es immer wieder ein Beispiel dafür ist, dass man nie aufgeben soll. Dass man auch auf diese Manier die neue Welt in Amerika erobern kann. Und das wollen wir.“

      Gerade hat Königin Elisabeth uns - ihrer engen militärischen Führung - gestanden, was sie künftig als ihre Vision in die Tat umzusetzen gedenkt: England soll im Alleingang und an den übrigen europäischen Reichen vorbei zu einer imperialen Weltmacht avancieren! Zu einem mächtigen, wohlhabenden Empire. Die Vision: Ein Königreich mit zahllosen Kolonien, die über die gesamte bekannte Welt verteilt sein sollen! Ich kenne die Queen und ihr Durchsetzungsvermögen, das sie seit ihrem Regierungsantritt im Jahre 1558 unter Beweis stellt und gegen die Unkenrufer, die Neider und Erbschleicher der großen Adels-Familien des Landes verteidigt. Fast schon mit einem männlichen Gepräge. Sie ist wirklich eine eiserne Lady, ohne Frage, doch sie hat nichts von der brutalen Art ihres Vaters, der die Inkarnation bestialischer Energie gewesen war.

      Sie erschloss sich die Herzen mit diesem Satz: „Wenn ich als Königin glücklich leben will, muss ich leben lassen!“ Eisern ist sie aber auch gegen sich selbst. Den Ruf als einflussreichste Herrscherin ihrer Zeit zu sein, trägt die hochgebildete Elisabeth I. mit charismatischem Stolz. Denn das aufsteigende englische Bürgertum macht seine Ansprüche gegenüber Politik und Kultur geltend. Elisabeth schafft es, sie zu bändigen und die eigene Kirche vom Einfluss Roms gelöst zu halten. Damit beendete sie die religiösen Wirren im Land: Sie verhinderte die Spaltung des Volkes. Geschickt unterstützt sie in den Niederlanden die aufständischen Geusen und damit Wilhelm von Oranien gegen die spanische Besatzung. Die Enthauptung der katholischen Schottin Maria Stewart 1587 – ich komme darauf zurück - und unsere dauernden Überfälle auf spanische Handelsschiffe schienen Philipp die Rechtfertigung für eine Invasion Englands zu geben. Seine Rechnung ging nicht auf, denn wir demontierten die Legende von der Unbesiegbarkeit der spanischen Flotte. In der Tat bedeutete die Vernichtung der Armada den Zusammenbruch der Politik Philipps II. Der Tod Tausender seiner Soldaten hat sein Reich geschwächt, er schreit daher nach einer neuen Nation, die er sich einverleiben will: Nach England!

      Die Widersprüche innerhalb der protestantischen Kirche in England verschärft sie allerdings, da sie mit äußerster Härte gegen puritanische Bestrebungen vorgeht und somit die Puritaner, die sie Sektierer nennt, zunehmend in den Untergrund drängt. Ich habe gehört, dass sie eines Tages England in die neue Welt nach Amerika verlassen wollen. Pläne dafür seien schon gefasst: Als Siedler der Krone, die meisten von ihnen sind Bauern und Handwerker. Die Königin erklärt das so: „Nach den Entdeckern und den Kaufleuten folgen die Auswanderer in den Osten von Amerika. Nach Neuengland.“

      Und sie erklärte weiter, dass sie die Entwicklung deutlich vor sich sähe: Nicht erst in unserem Jahrhundert, sondern bereits seit der Antike habe es Kolonien gegeben. Griechen, Römer, Phönizier, praktisch alle führenden Mächte der Geschichte, hätten fremde Länder erobert, verwaltet und damit den Fortschritt in diese Länder gebracht. Ich muss grinsen: Immer wieder werden die Wasserleitungen der Römer zitiert!

      Im 13. Jahrhundert, so die Queen, hätten sich die Bedingungen des Zusammenlebens der Völker in Europa aber grundlegend geändert. Das Bevölkerungswachstum habe zu einer nie enden wollenden steigenden wirtschaftlichen Nachfrage geführt, die auch die kulturelle Entwicklung der Länder beeinflusste. Es sei zu einer Veränderung der eigenen Sichtweise gekommen und auch zu einer neuen Sicht von Religion, Zusammenleben, Fortschritt und Zukunft. Viel Überliefertes