Wulf Mämpel

Mein Name ist DRAKE. Francis Drake


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Sonne im Meer versunken ist, befreie ich unbemerkt die beiden. Der Schwarze blickt mich ungläubig an, als ich ihm erkläre, dass ich ihn und seine Schwester nicht mit nach Amerika nehmen würde. Zum Abschied gibt Mbopo mir die Hand: „Unsere große Gottesmutter, die Mama Afrika, die alle Menschen erschuf, hat Dein Herz berührt. Sie wird eines Tages auch die anderen Sklavenhändler, den weißen Mann insgesamt, bekehren. Ich sage Euch voraus: Niemand sollte der Sklave eines anderen Menschen sein.“

      Am nächsten Morgen erklärt mir der Holländer aufgeregt, dass seine Sklavenjäger einen entflohenen Gefangenen und dessen kleine Schwester unweit unseres Lagers gefasst und auf der Stelle getötet hätten . . . Der verrückte Sklave habe tatsächlich alle seine Mitgefangenen befreien wollen. Bei diesem Versuch sei er entdeckt worden. Ich bin schockiert, was ich da höre.

      Als dann der Jesuit auch noch einen meiner Lieblingssprüche zitiert: Quidquid agis, prudenter agas et respice finem, kann ich meinen Wutausbruch nicht mehr unterdrücken: Ich schlage dem Holländer mit meiner Peitsche ins Gesicht, dass die Haut platzt und Blut in Strömen fließt. Den Jesuiten verprügele ich daraufhin, dass er - stark aus der Nase blutend - auf dem Boden liegt. Dann macht Jan Hendrik van Breukelen einen Fehler, indem er mit gezogenem Schwert auf mich losstürmt. Mit aller Kraft und meinem Geschick als Absolvent einer der besten Fechtschulen des Königsreiches pariere ich die wilde, unüberlegte Attacke und ramme dem Sklavenjäger nach einem kurzen Kreuzen unserer Klingen mein Schwert in die rechte Schulter. Laut fluchend bricht der bullige Holländer schwer verletzt zusammen.

      Einen Tag später verlassen wir den unwirtlichen Ort und stechen mit den Gefangenen in See - Richtung Karibik. Den Jesuiten lasse ich – mich laut beschimpfend - am Nigerdelta zurück. Sein gehässiger Fluch macht mich lachen. Der Holländer, so erfahre ich noch kurz vor meiner Abreise, sei schwer verletzt, werde aber überleben, wenn ihn nicht das Wundfieber dahinraffe. Weder den Jesuiten, noch den Holländer traf ich jemals wieder. Wahrscheinlich hat sie der Teufel geholt.

      Mit dieser Erinnerung beende ich meine erfolgreiche Zeit als Sklavenhändler. An der „Verschleppung Afrikas nach Amerika“, wie der Menschenhandel auch bezeichnet wird, nehme ich nicht mehr teil! Ich beruhige mein Gewissen, indem ich immer wieder folgende Legende erzähle, wenn mich Zweifel und Schuldgefühle plagen: Der Besitz von Sklaven dokumentierte die Macht seit Menschengedenken. Mansa Musa, der Sultan von Mali, verkaufte während seiner Pilgerfahrt nach Mekka im Jahre 1324 in Kairo 14 000 Frauen, um die Reisekosten für sich und sein Riesengefolge aufzubringen. Die Araber waren noch vor den Europäern im Geschäft mit der Ware Mensch aktiv: Für sie ist die Sklaverei selbstverständliches Recht von Herrenmenschen. Muslimische Händler aus Nordafrika rauben seit Jahrhunderten südlich der Sahara „Heiden" oder erwarben Schwarze im Tausch gegen Pferde. . . Der erfolgreichste Sklavenhändler Mitte des Jahrhunderts war Khair ad-Din gewesen, den die Europäer wegen seines roten Bartes „Barbarossa“ nannten. Die spanische Seemacht erhielt eine ernst zu nehmende Konkurrenz in Gestalt dieses Seeräubers und späteren Admirals des Osmanischen Reiches, der das Mittelmeer zu seinem Jagdrevier erklärte. Das Mittelmeer wurde, wie er es nannte, seine private „Badewanne“. Mit äußerster Brutalität ging dieser gefürchtete Pirat zu Werke, er war der Schrecken an den Küsten Nordafrikas.

      Als ich auf der Brücke meines Zweimasters „Swan“ am Ruder stehe, blicke ich noch einmal zurück: Der Mord an den beiden Geschwistern macht mir den endgültigen Abschied leicht - Sklaverei ist ein elendes Handwerk. Ich denke über eine alte Weisheit nach, die mir ein erfahrener Seemann vor einiger Zeit in der Karibik erzählte: „Wir reisen an weit entfernte Orte, um fasziniert die fremden Menschen zu beobachten, die wir daheim ignorieren und mit Hass und Missachtung verfolgen.“

      John McFinn winkt mir fröhlich zu: „Alles okay an Bord, Kapitän!“ Ich will, ich muss mein Leben ändern und beschließe, nach der Rückkehr aus Amerika mein kleines Handelsschiff zu verkaufen und das Angebot meines Vetters John Hawkins anzunehmen, als ein Kapitän eines seiner Kriegsschiffe in seinen Dienst zu treten. Der Gedanke macht mich glücklich. Johns Abschiedsworte klingen mir noch im Ohr, als er mir lachend erklärte: „Francis, ich glaube es wird nun Zeit, Dich der Königin vorzustellen.“

      DREI

      DREI.

      10. November 1590, ein bedeutender Tag

      „Die Zeit ist aus den Fugen geraten, meine Herren!“

      Königin Elisabeth schreit den Satz, den sie aus dem neuen Theaterstück „Hamlet“ unseres gemeinsamen Freundes William Shakespeare zitiert, geradezu heraus. Ich erkenne ihr Engagement an ihrem wütenden Gesichtsausdruck: Energisch, ichbezogen, zielbewusst und unmissverständlich, ja, kämpferisch. Erwartungsvoll blickt sie mit ihren funkelnden grünen Augen in die Runde. Sie ist sich ihrer Wirkung bewusst: Jeder Zoll eine von sich überzeugte Königin! Ihr Temperament geht wieder einmal mit ihr durch, denke amüsiert und bewundere ihre Kunst, Menschen begeistern zu können. Ich sehe, dass sie heute den Startschuss für eine große Entwicklung ihres Reiches abfeuert, ein Salut für eine Vision, die die Welt verändern wird. Irgendwie spüren wir das an diesem Tag alle. Niemand der Anwesenden Herren sagt ein Wort. Das Schweigen ist bedrückend. Ich muss lächeln: Heute kommt die Herrscherin mir besonders willensstark vor. Sie weiß, dass sie auf einer guten Basis steht, was ihre bisherige Regierungsbilanz betrifft: Trotz vieler Kritikaster ist ihrer Regentschaft eine große Glanzperiode beschieden. Die Brutalität der Justiz und der daraus folgenden Urteile, die gnadenlosen öffentlichen Hinrichtungen – oft eine Belustigung für das gaffende Volk - sind dagegen blutiger Alltag, sie regen niemanden mehr auf, solange das eigene Leben einen gewissen Luxus aufweisen kann. Handel und Gewerbe, Schifffahrt, aber auch Wissenschaft, Kultur, Kunst und Literatur entwickeln sich zu einer überreichen Blüte. Wer hatte das von dieser Frau, die bis zu ihrer Krönung von der eigenen Schwester, der katholischen Königin Mary Tudor, im Tower gefangen gehalten wurde, erwartet? Der Tod der „blutigen“ Mary, wie sie voller Hass gerufen wurde, machte erst den Weg frei für den Aufstieg der geschulten, talentierten Prinzessin zur Königin Elisabeth I. Der Tod der hassgesteuerten Schwester und die darauffolgende Inthronisation sorgten in England selbst, aber auch auf dem Kontinent für heftige Diskussionen. Manch ein Potentat lachte insgeheim, doch schon recht bald wurde er eines Besseren belehrt: Elisabeth regierte mit harter Hand, schnell hatte sie den Spitznamen „Eiserne Lady“.

      Das Zentrum London ist unter ihrer Machtfülle eine Stadt mit nun über 300 000 Einwohnern geworden. London ist ein Magnet, ein Moloch. Die Landbevölkerung zieht es in die Metropole an der Themse. Hier florieren die Kaufläden, die Handwerksbetriebe, die Kneipen und Gasthöfe, die Börse, eine expandierende Messe und rund fünfzehn kleine Theater. Die Universität lockt die Jugend aus ganz Europa an, die Straßen sind keine Schlammwege mehr, sondern sind gepflastert, die Wasserversorgung, auch durch meinen Erfolg als Bürgermeister in Plymouth bestärkt, wird durch hölzerne Leitungen reguliert, es gibt eine bessere Beleuchtung der Straßen und Plätze durch große Öllampen, außerdem ist jeder Bürger verpflichtet, vor seinem Haus Öl-Laternen aus Holz oder Eisen aufhängen, die vom Fett der Wale gespeist werden. Das dunkle Zeitalter ist beendet. Und die Feuerwehr, die die Königin gründete, hat die Brände schnell im Griff. Es gibt eine Reihe von berühmten Schulen, Apotheken, Druckereien und Büchereien. Reiter, Sänften, Kutschen und Fußgänger bevölkern die Straßen und Plätze – London mausert sich zu einer europäischen Metropole. Die Kleidung des Bürgertums ist festlich, geschmackvoll und teuer.

      Ein neues Genussmittel ist der Konsum von Tabak, den die Spanier aus ihren Kolonien auch auf unsere Insel gebracht haben. Ich erinnere mich, wie wir mit der ersten Ladung nach London kamen – hier wird das Kraut nicht als Zigarre geraucht wie bei den Indios, sondern in Pfeifen aus Ton und Holz. Und die Bildung innerhalb der Hauptstadt hat ein recht hohes Niveau erreicht, was niemand für möglich gehalten hatte. Man spricht schon von einer englischen Renaissance. Natürlich hat die Explosion der Bevölkerung auch die negative Flamme der Gewalt, der Morde, der Diebstähle und Betrügereien entfacht. Banditen, Schmuggler und Abenteurer zieht es nach London, so dass die Wachsoldaten viel zu tun bekommen. Die Anzahl der Morde steigt.

      Ich lächele in Richtung der Königin, die mir nun leicht zunickt. Unbemerkt von den Anwesenden hebe ich den Daumen meiner rechten Hand. Ich verstehe, warum das englische Volk seine Königin so