Stephan Rankl

Kuerzlich in Asien


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ganz vorne sitzen und nur andere Frauen oder enge männliche Verwandte dürfen daneben Platz nehmen. Aber wir sind zum Glück „verheiratet“! Zwei Fahrer teilen sich die Arbeit. Während der eine lenkt, schläft der andere daneben auf einer eigens angebrachten Pritsche. Die Landschaft fliegt vorbei. Bald zweigt der Karakorum Highway von der Grand Trunk Road ab. Der Karakorum Highway! Was für eine Straße!

      Seit jeher eine uralte Handelsroute, ein Ausläufer der Seidenstraße. Der Buddhismus breitete sich von hier nach China und Tibet aus. An der Kollisionszone zwischen indischer und asiatischer Platte treffen Pamir, Kunlun, Hindukush, Karakorum und Himalaja aufeinander. Die längsten Gletscher außerhalb der Polregionen liegen in den Tälern, schroffe Gipfel darüber, die tiefsten Schluchten zerfurchen die Gegend und all dies gleich neben der Straße. China und Pakistan beschlossen im Jahre 1966 die Route für motorisierte Vehikel befahrbar zu machen. Ein Bauwerk der Superlative. 1200 Kilometer von Kashgar in China bis Havelian in Pakistan. Fast alle Brücken wurden von den Chinesen errichtet, auch auf pakistanischer Seite, da den heimischen Ingenieuren das hierfür notwendige Know-how fehlte. Pro 1,5 Kilometer Straße kam statistisch ein Bauarbeiter ums Leben. Die offizielle Eröffnung erfolgte 1982. Die Straße führt nun mitten durch die höchsten Gebirge der Erde. An Fahrräder denkt man da zunächst nicht zwingend und doch genau, auf der Strecke wollen wir radeln!

      Nur ist Pakistan ein sehr fragiles Staatengebilde. Außerhalb der Städte regieren Familienclans. Speziell im Norden des Landes gibt es einige sehr auf ihre Unabhängigkeit bedachte Stämme. Das bekamen damals schon die Briten zu spüren, die North-West-Frontier verursachte ihnen zu jener Zeit einiges an Bauchschmerzen und ist im Grunde genommen immer noch unregierbar.

      Nun führt der Karakorum Highway mitten durch Indus Kohistan, welches aufgrund seiner Geographie nahezu unzugänglich ist. Nur der Indus schneidet eine tiefe Schneise durch die gebirgige Gegend. Der Einfluss des Staates hört hier am Straßengraben auf. Dahinter regieren obskure Stammesfürsten, die von der Außenwelt nur ihre Macht beschnitten sehen. Eine nicht ganz sichere Gegend also und auch der Grund, weswegen wir die Busreise der Fahrt mit dem Fahrrad doch zunächst vorziehen. Mitten in der Nacht wird der Bus dann auch von der Polizei angehalten. Weiterfahren aus Sicherheitsgründen nur im Konvoi möglich! So müssen wir drei Stunden warten, bis genügend Fahrzeuge zusammen sind. Irgendwann ist man so müde, der Schlaf überwältigt einen problemlos sitzend auf einer Steintreppe! Trotz Hitze und lästigen Blutsaugern.

      Wir folgen dem Indus flussaufwärts. Hoch in den Schluchtwänden ist die Straße angelegt. Der Blick aus dem Fenster nach unten, durchaus beängstigend. Die Augenringe unserer Busfahrer beruhigen da auch nicht. Irgendwie scheinen sie einen Bund mit Allah geschlossen zu haben oder denken dies zumindest. Überholt wird grundsätzlich überall. Ich möchte zu diesem Zeitpunkt nicht wissen, wie viel Busse da unten irgendwo im Indus liegen. Frühstück gibt es an einer Karawansarai der Neuzeit. Generell sind die sehr leckeren Chapatis, eine Art Teigfladen, das Alltagsgericht der Pakistanis. Morgens werde diese mit Eiern aufgewertet und schmecken dann wirklich hervorragend. Dazu wird Tee gereicht.

      Viele Checkpoints des Militärs verzögern die Weiterfahrt. Wir müssen aussteigen, die Fahrzeuge werden durchsucht, unsere Pässe registriert. Ein Anwalt aus Skardu spricht mich an. Auffällig ist, sobald er etwas über „meine Frau“ wissen will, redet er nicht direkt mit Bettina, die gleich neben mir steht, sondern mit mir. Auch Antworten werden auf diese Weise übermittelt. Nur ja nicht die Ehre seines männlichen Gegenübers reizen. Wir lernen jedoch die wichtigste Redewendung für einen Moslem überhaupt kennen, „Inshallah“! Wenn Allah will, kommt der Bus demnächst in Gilgit an. Wenn nicht, dann nicht.

      Und siehe da, endlich nach gut zwanzig Stunden Fahrt erreichen wir Gilgit. Die Stadt liegt in den Northern Areas, ein unnatürliches politisches Konstrukt, früher Teil von Jammu-Kaschmir. Nach der Unabhängigkeit entschied sich der damalige Maharaja für das hinduistische Indien, in völliger Missachtung der muslimischen Mehrheit in Teilen seines Reiches. Es kam zur Revolte und schließlich zum Krieg zwischen Indien und Pakistan. Nach einem von der UN überwachten Waffenstillstand wurden Teile Kaschmirs Pakistan zugeschlagen. Wie allgemein bekannt, streitet man sich noch immer, wem nun was gehört. Damit nicht genug, treffen in Gilgit verschiedene islamische Glaubensrichtungen aufeinander, Schiiten, Sunni und Ismaili. Da hier so gut wie jeder bewaffnet ist, werden Meinungsverschiedenheiten schon mal mit dem Gewehr ausdiskutiert. Tja, wenn die Kugeln fliegen sollte man schauen, möglichst nicht in Gilgit zu sein.

      Mit dem Wissen werden wir am Busbahnhof der Stadt entlassen. Man hat einen abgeschossenen Hubschrauber der Inder auf ein Denkmal gestellt. Über dem hölzernen Ticketschalter steht groß geschrieben „Down with USA“. Nun gut, herzlich willkommen, wir sind Deutsche. Ein Freund hatte uns das Madina Guesthouse empfohlen, welches wir nun auch ohne Umwege ansteuern. Das Tor zum Guesthouse öffnet sich und wir betreten eine andere Welt. Draußen laute Bazare und Moscheen. Drinnen eine Oase der Ruhe. Wir werden von freundlichen Angestellten begrüßt. Ein Willkommens-Tee wird gereicht. Seltsam allerdings, irgendwie reden alle Gäste eine sehr vertraute Sprache. Reinstes Bayrisch! Kurzurlauber, also Bürohengste mit den jährlichen vier Wochen, sind keine dabei. Alle mehrere Monate oder gleich auf ewig unterwegs. Zwei Jungs, die den ganzen Weg von daheim bis hierher geradelt sind, ein Bergsteiger, zwei die mit ihrem eigenen Bus von Indien rüber gefahren sind, wo sie im Winter in Goa mit Tätowieren ihre Brötchen verdienen. Das ist sie also, die schöne Aussteigerwelt und wir mitten drin. Alle stammen ursprünglich aus Stoiber-County. Oh, Verzeihung! Mittlerweile gehört es ja einem anderen. Wirft ja nun nicht unbedingt ein gutes Licht auf die Heimat, wenn alle gleich längerfristig die Flucht ergreifen. Zusammen jedenfalls kennt dieses illustre Grüppchen die ganze Welt! Kein Land, in dem nicht einer schon mal vorbeigeschaut hätte. So werden abends Geschichten unters Volk gebracht. Hoast me! Und a jeda kapierts! Mitten in Pakistan, aber Bayern ist überall! Schon irgendwie surreal ...

      Eigentlich wollen wir ja schön langsam mal mit dem Fahrrad loslegen, aber bei den feinen Bergen hier in der Ecke? Was willst da machen, die Bergsteigerseele fordert ihren Tribut und so müssen wir an einem dieser eisigen Giganten wenn schon nicht hoch, dann zumindest so weit ran, wie nur irgend möglich. Dazu gucken wir uns den Nanga Parbat aus, westlicher Eckpfeiler des Himalaja und 8125 Meter hoch. Schicksalsberg der Deutschen wird er genannt, weil zu Vorkriegszeiten deutsche Expeditionen hier ihr Glück versuchten und dabei heroisch und national erhebend reihenweise verreckten. Ein Österreicher hat schließlich den großen Wurf getan. Hermann Buhl machte 1953 seinen berühmten Alleingang und stand als erster auf dem Gipfel des „nackten Berges“, so die Übersetzung von Nanga Parbat.

      Wir bescheiden uns mit der Märchenwiese und dem Basislager. Den Begriff Märchenwiese prägten auch die Deutschen, überwältigt von der Blumenpracht auf den Almwiesen dort oben. Vor dem allen steht eine sehr abenteuerliche Fahrt mit dem Jeep. Die Bewohner des Raikot-Tales zu Füssen des Nanga Parbats haben ihre Heimat durch eine abenteuerliche, von ihnen selbst angelegte Straße zugänglich gemacht. Gerade so breit, dass ein Jeep darauf fahren kann, scheint der Weg an die glatten Felswände geklebt zu sein. Lose aufgeschichtete Steine bilden das Fundament, daneben geht es in die Tiefe. So eine Straße baut man nun allerdings nicht aus Allgemeingefälligkeit. Nein, der Rubel muss schon rollen. Also wurde ein Jeep-Kartell gegründet, die Straße darf nur von den Raikot-Bewohnern befahren werden und auch nur die dürfen Touristen befördern. So sitzen sie also am Karakorum-Highway und warten auf Kundschaft. Handeln gilt ausnahmsweise mal nicht, es gibt eine fixe Fahrkostenpauschale. So viel Gleichheit muss sein. Erspart uns einige Mühen und wir nehmen getrost den erstbesten Fahrer. Schnell wird klar, auf der Straße sollte man auch nicht jeden hochfahren lassen. Die Strecke muss man kennen, die Kurven sind so scharf, wenn der Fahrer nicht rechtzeitig einlenken würde, gäbe es einen Freiflugschein. Wie immer in Ländern der dritten Welt würde unser deutscher TÜV hier wohl die Krise kriegen. Plötzlich schwingt die Beifahrertür auf und ich gucke in den Abgrund. Urgss ... lächelnd zeigt mir der Fahrer wie ich die Tür mit einer Schnur wieder ordnungsgemäß verschließe.

      „Where do you come from?“

      “Germany.”

      “Ah, I have uncle in Germany!”

      “Where?”

      “I don’t know, he has good work.”

      Nebenbei drückt