Stephan Rankl

Kuerzlich in Asien


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heiß. Der Karakorum-Highway schlängelt sich immer entlang des Hunza-Rivers gen Norden Richtung China. Man radelt durch ein karges braunes Tal, eingerahmt von kahlen Hügeln. Dazwischen hin und wieder grüne Oasen um die hier noch zahlreichen Dörfer.

      Keine zwanzig Kilometer geradelt, schon verliert der hintere Reifen Luft. Ein Plattfuss! Und das jetzt schon! Taktisch günstig mitten in einem Dorf und so mangelt es nicht an Zuschauern. Für die Kids muss das wie Fernsehen sein. So versammelt sich sehr schnell eine Meute um uns, einer schleppt sogar eine altertümliche Pumpe herbei, aber mit meiner bin ich besser bedient. Der Lochverursacher, ein paar Dornen, die den Schlauch regelrecht perforiert hatten. Als Taktik für solche Fälle hatten wir uns überlegt, sofort einen Ersatzschlauch aufzuziehen und die Löcher abends in Ruhe zu flicken. Während ich da also bastele, gesellt sich ein weiterer Radler hinzu. Paul aus Polen, seines Zeichens Lehrer und auch auf großer Radreise. Wir radeln ein Stück gemeinsam, ein Weggefährte für ein paar Kilometer.

      Die Landschaft wird wilder, die Schlucht, in der wir uns befinden, tiefer. Später tauchen die ersten Schneeberge auf. Das blendende Weiß verspricht Kühlung, aber hier unten ist es immer noch brüllend heiß, von unseren Shirts kann man bald garantiert echtes Hunza-Salz abbauen. Die vielen kleinen Läden mit Pepsi sind da ein Segen. Wir nehmen quasi jeden Cola-Stand mit, um den Wasserhaushalt so gerade im orangen Bereich zu halten.

      Kindermangel herrscht in diesen Regionen definitiv nicht. Zum Teil sind sie sehr aufdringlich. Vielfach schallt uns ein „One pen, one pen“ entgegen. Den Spruch hat bestimmt jeder Globetrotter schon mal gehört. Irgendeiner unserer Vorfahren muss mal massenhaft Kugelschreiber an die Kinder verteilt haben, aber was wollen die alle damit? Sollte das jeder gute Tourist tausendfach griffbereit in der Satteltasche haben? Man weiß es nicht, aber wozu hat man auch sonst soviel Taschen am Rad hängen.

      Der erste Tag auf dem Fahrrad zieht sich somit sehr in die Länge. Durchweg bergauf und die Hitze tut das übrige, so dass wir nach siebzig Kilometer schon sehr froh sind, als wir endlich eine Unterkunft in Ghulmet finden. „Rakaposhi Paradise Hotel“ und genau so kommt es uns auch vor! Ob sich das Personal darüber freut, unsere voll beladenen Räder in den zweiten Stock zu wuchten, sei dahin gestellt. Wir nehmen es dankend an. Ghulmet hat eine kleine Besonderheit zu bieten, man steht hier quasi direkt am Wandfuß des Rakaposhi, seines Zeichens 7788 Meter hoch. Der kleine Ort liegt gerade mal auf 2300 Meter, was die tiefste Schlucht der Welt ergibt. Die Auffassungen hierzu sind sicherlich unterschiedlich, aber diese Dimensionen sind schon sehr beeindruckend. Dabei ist es nicht so wie in anderen Gebirgen, dass auch die großen Flüsse hier entspringen. Die meisten, wie Indus, haben ihre Quelle irgendwo in Tibet und existierten schon bevor der indische Subkontinent Himalaja und Karakorum anhob, als er sich unter die asiatische Platte schob. Im Laufe der Zeit gruben sich die Flüsse also ihren Weg durch das neue Hindernis und somit entstanden diese gewaltigen Schluchten.

      Paul begegnen wir hier auch wieder. Den nächsten Morgen verratschen wir uns ziemlich und so wird es Mittag, bis wir die Drahtesel bepacken. Nicht gerade die beste Zeit, weil nun die Sonne nahezu senkrecht über dem Tal zu stehen scheint. Schatten, wo bist du? Steiles auf und ab in praller Mittagshitze. Da kann man nur Wasser nachschütten soviel wie reinpasst. Für Essen ist dann allerdings kein Platz mehr, ein Minusgeschäft!

      Inzwischen erreichen wir nun endgültig das Reich der Hunza. Diese Volksgruppe ist erstens für ihre Träger-Hilfsdienste bei Karakorum-Expeditionen bei uns bekannt und zweitens geht das Gerücht um, sie würden sehr besonders alt. Weswegen auch den hier vielfach angebauten Aprikosen magische Kräfte zugesprochen werden. Die Realität fällt leider sehr ernüchternd aus, aber auch der Glaube versetzt Berge. Ich bin der Meinung, die Leute hier sehen mit ihrem tiefen Furchen im Gesicht nur uralt aus und das genaue Geburtsdatum scheint eh nicht so wichtig zu sein. Das raue Klima, geballte UV-Strahlung in der dünnen Luft, das hält die beste Haut nicht aus und so braucht es nicht viel, um die Männer mit langen Bärten und faltigen Gesichtern wie Methusalems aussehen zu lassen. Erfreulicherweise spielen bei den Hunzas auch Frauen wieder eine etwas gleichberechtigtere Rolle in der Gesellschaft. Man sieht wieder die eine oder andere ohne männliche Begleitung auf der Straße gehen. Die meisten Hunza gehören der etwas liberaleren Ismaili-Glaubensrichtung an. Diese spaltete sich im 8. Jahrhundert von der schiitischen ab. Es gibt keine Moscheen, sondern Versammlungshäuser.

      Das Tal, durch welches der Karakorum-Highway heute führt, ist seit jeher eine wichtige Handelsroute, ein Seitenarm der legendären Seidenstraße. Durch die Abgelegenheit des Tales blieb das Königreich der Hunza lange unbehelligt von der Außenwelt. Ihre Heimat ist eine Hochgebirgswüste, der wenige Platz zwischen den steilen Bergflanken kostbar. Mühsam wurden den Hängen Terrassen für Ackerbau abgerungen. Das Wasser wird durch komplizierte Bewässerungskanäle von den Gletschern nach unten geleitet. Angebaut werden unter anderem Aprikosen und Walnüsse.

      Da im August gerade Aprikosen-Ernte ist, fallen uns sofort die auf den Flachdächern zum Trocknen ausgelegten Früchte auf. In der eher eintönig braunen Umgebung wirken die orangen Farbtupfer umso intensiver. Wir können nicht lange widerstehen und decken uns mit einem Kilo der Leckerbissen ein.

      Unser Tagesziel für heute heißt Karimabad, seines Zeichen Hauptstadt der Hunza. Der „Mir“, ihr König, hatte hier seinen Sitz in einem alten Fort, welches noch immer über der Stadt thront. Welch ein Bild, dieser orientalische Bau direkt zu Füssen eines Siebentausenders, des Ultar-Peaks. Der Einstieg zu diesem Berg befindet sich quasi direkt hinter dem Fort. Der heutige Mir, eigentlich entmachtet, haust immer noch in Karimabad. Sein Palast hört aber heute auf den Namen „Darbar Hunza Hotel“ und ja, man kann dort für vergleichsweise teures Geld fürstlich schlafen.

      Die letzten Meter vom Karakorum-Highway nach Karimabad hoch sind fürchterlich steil. Gleich neben dem Weg schlachtet jemand Hühner im Serienbetrieb. Mit einem Messer den Kopf abschneiden, den flatternden Rest in einen Korb werfen und das nächste. Heute Abend gibt es wohl Hühnchen. Zum Glück sind die billigsten Hostels gleich am unteren Ende der Stadt. Im ersten halten wir es nicht lange aus, dank fehlender Vorhänge vor den Fenstern und dem Durchgang für alle direkt davor, vermissen wir doch etwas Privatsphäre. Da in Karimabad so gut wie jeder Durchreisende absteigt, lernt man einige Gleichgesinnte kennen und trifft schon vertraute Gesichter wieder. Auch die Gruppe eines sehr bekannten deutschen Trekkingveranstalters sehen wir wieder. Ihr pakistanischer Guide jammert uns gleich etwas von „jedes Jahr im Sommer, das gleiche Programm“ vor. Tja, falschen Beruf gewählt.

      Wir vertrauen uns einem anderen Guide an, der uns für horrendes Geld durch die alte Königsburg, „Baltit“ genannt, führt. Aus Holz und Lehm erbaut, steht sie in dominanter Lage über dem Tal. Errichtet im 13. Jahrhundert, war sie bis 1945 bewohnt und wurde in den Jahren 1990-96 aufwendig restauriert. Die Sicht von hier oben ist wirklich umfassend. Dank trockenem Klima verfällt alles sehr langsam, der Bau ist also sehr gut erhalten. Es finden sich verschiedene Baustile, sogar ein tibetischer ist zu erkennen. Tibet, vom Ziel unserer Träume sind wir hier eigentlich nur durch ein paar Berge getrennt. Die sind allerdings sehr hoch. Den Sinn der ziemlich niedrigen Türen im Fort erklärt uns der Guide mit der gebückten Haltung, die man zwangsweise annehmen muss, um hindurchzukommen. Macht die Enthauptung leichter, falls ein Feind so weit vorgedrungen wäre.

      Nachdem wir nun gesehen hatten, wie die Könige hausten, wollen wir auch noch begutachten, was für das Fußvolk übrig blieb. Ganish heißt die Stadt zu Füssen von Karimabad. Touristen verirren sich hierher nach unten kaum noch, die fünfhundert Höhenmeter wieder hoch zu Bett und Tafel wären nun auch wirklich zu viel des Guten. Wir lassen uns nicht abschrecken und besuchen das Kleinod. Neuerdings erst restauriert, dank finanzkräftiger Unterstützung von Norwegern und Spaniern, ist die alte Handelsstadt Ganish heute ein sehr lebendiges Museum. Als wir ankommen herrscht reger Betrieb auf dem Hauptplatz. Wohl wegen uns sind bald darauf jedoch alle Frauen von der Bildfläche verschwunden. So stehen wir etwas verloren herum und wissen nicht, ob wir uns weiter vorwagen sollen. Doch es findet sich bald wie zufällig ein älterer Herr, der sich unserer annimmt. Wie sich rausstellt, der offizielle Stadtguide, der sozusagen nur auf uns gewartet hat. Ein sehr netter Mensch, der uns viel von der Stadt erzählen kann. So sollen zum Beispiel im Pool am Hauptplatz früher die Ganish-Krieger schwimmen trainiert haben, um sich mit den Nagyrs auf der anderen Flussseite zu bekriegen, wozu dieser eben aber erst mal durchquert werden musste. Relativ viele Mini-Moscheen