Stephan Rankl

Kuerzlich in Asien


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eingelassene Wurzeln, an denen die Packtiere festgebunden wurden. Ebenso erhalten, ein Wachturm und Teile der alten Stadtmauer. Früher war Ganish größer, fiel jedoch einerseits einer Flut und andererseits teilweise dem Bau des Karakorum-Highways zum Opfer.

      Die Leute hier klagten bis vor kurzem über arge Bauchprobleme, was wohl in erster Linie an dem Second-Hand-Wasser lag, welches Karimabad übrig ließ. Dank einer großzügigen japanischen Spende verfügen sie aber nun auch in Ganish über einen eigenen Zugang zum Gletscherwasser. Interessant sind die im Boden eingelassenen Vorratsfässer, die durch ein ausgeklügeltes System mit Wasser gekühlt werden. Hier reift Butter in Birkenblättern eingewickelt bis zu fünf Jahre heran und gilt als lokale Delikatesse. Beim abschließenden Tee erzählt unser Stadtguide etwas aus seinem Leben. Früher war er Bergführer, wäre es vermutlich immer noch, aber seit diesem 11. September bleiben die Touristen doch spürbar aus. Stolz zeigt er uns seinen Mitgliedsausweis des Deutschen Alpenvereins. Ob dieser auch hierher seine Mitgliederzeitschrift verschickt? Ich wage es zu bezweifeln.

      Als Bergsteiger können wir natürlich nicht der Versuchung widerstehen, mal zum Basislager des Ultar hochzuwandern. Gleich hinter dem Fort beginnt der Weg durch eine enge Schlucht mit steilen Granitwänden, die früher vollkommen vom Gletscher aufgefüllt war. Aber auch im Karakorum sind die Eisströme auf dem Rückzug. Das Basislager begrüßt uns mit schlechtem Wetter, so können wir die umgebenden Granitriesen nur erahnen. Für die Einheimischen ist die Wiese hier oben in erster Linie eine sehr gute Sommerweide für ihre Schafe. An der Almhütte gibt es Suppe und Tee und man könnte auch sein Zelt aufstellen. Der Senn erzählt uns ein wenig von der Besteigungsgeschichte des Ultar. Vor allem Japanern hat es der Berg wohl angetan. Viele Tote blieben zurück, bevor der Berg dann doch erstbestiegen werden konnte. Erklärt wohl auch das Engagement der Japaner in der Umgebung. Gespannt sucht unser Gastgeber immer wieder die steilen Granitwände ab. Nein, nicht Kletterer interessieren ihn, ein Ochse hat sich irgendwie auf einen grünen Fleck sehr weit oben verirrt. Wie der da hingekommen ist? Ein pakistanischer Kletterochse, keine Ahnung. Ohne Kletterseil möchte ich ihn jedenfalls nicht holen gehen.

      Den ganzen Weg hoch zu dieser Oase faszinierten uns schon die steil in die Granitwände gehauenen Bewässerungskanäle. Wir würden ja gerne einem dieser Kanäle nach unten folgen, trauen uns aber nicht recht. Sie sind ja offensichtlich für den Lebensunterhalt der Leute hier sehr wichtig und es tut den mühevoll in den Fels gemauerten Lebensadern bestimmt nicht gut, wenn ständig eine Horde Touristen darüber stapft. Wir fragen einen Einheimischen, der gerade mit Schaufel unterwegs ist. Kein Problem, also los. So an die hundert Meter über der engen Schlucht spazieren wir nun inmitten einer ansonsten senkrechten und glatten Granitwand. Der Kanal wurde aus dem Fels gehauen und gesprengt, daneben schwindelerregend ein kleiner Fußpfad angelegt. Bald teilt sich der Kanal auf, Schleusen verteilen das Wasser. Terrassenfelder liegen unter uns. Jetzt wissen wir auch, wozu vorhin die Schaufel gut war. Mit einer Schippe Erde wird das Wasser abwechselnd auf die verschiedenen Felder verteilt. Wir folgen willkürlich einem Pfad nach unten und landen in einem Dorf. Enge Gassen, nur einen Meter breit, schlängeln sich zwischen die irrgartenähnlich angelegten Häuser. Hinter jeder Ecke wartet etwas anderes, Wohnzimmer, Kuhstall oder doch der Weiterweg. Mehr als einmal landen wir in einem Stall und stehen mal über, mal links oder rechts der Kuh. Langsam werden wir doch nervös und sind heilfroh, als wir endlich den Dorfplatz finden, wo sich die meisten Leute aufhalten. Die wirken sehr gelassen und freuen sich uns zu sehen. Besonders für die Kinder sind wir eine Schau. Wir fragen uns durch, ein breiter Weg führt zurück nach Karimabad. Die Aprikosenernte ist voll im Gange. Frauenarbeit, wie es aussieht. Verstohlen bekommt Bettina frische Früchte zugesteckt. In diesem Fall bin ich der Störfaktor. Sonst wären die Hunzadamen wohl nicht so gehemmt und Bettina wüsste abends ihre ganze Lebensgeschichte. Aber ich kann mir zugute halten, auf diese Weise Bettina davor beschützt zu haben, zum Aprikosenzupfen eingespannt zu werden.

      Abends treffen wir uns mit einem Pärchen wieder, welches wir im Madina-Guesthouse kennen gelernt hatten. Die beiden Bayern verbringen ihre Zeit eigentlich im indischen Goa beim Tätowieren. Nur im Sommer verschlägt es sie mit ihrem Bus nach Pakistan. Goa ist so was wie der letzte Zufluchtsort für Hippies und genauso sehen die beiden aus. Dabei ist ein Husky, dem die Hitze aber nichts auszumachen scheint. Die beiden haben sich in Altit einquartiert. Auch hier gibt es ein kleines Fort, welches gerade renoviert wird. Der Besitzer des Guesthouses schmeißt abends ein kleines Fest. Dauert nicht lang, bis der selbstgebrannte Aprikosenschnaps seine Runden dreht. Unverdächtig abgefüllt in eine Cola-Flasche. Eine der Grundregeln für Muslime ist, vom Schnaps die Finger zu lassen. Hat sich bis hierher noch nicht rumgesprochen. Wir werden noch zum Essen eingeladen und ein echter Chauffeur bringt uns im Jeep nach Hause.

      Gleich hinter Karimabad finden sich direkt an der Straße prähistorische Felszeichnungen. Die ersten entstanden wohl im ersten Jahrhundert nach Christus und sind so etwas wie ein Gästebuch dieses Tales. Von frühen buddhistischen Pilgern, bis hin zu den Arbeitern des Karakorum-Highways hat sich jeder verewigt. Wahrscheinlich alle ergriffen von Ehrfurcht, ob der eindrucksvollen Landschaft voraus. Die nächsten Kilometer bis nach Passu, unserem nächsten Tagesziel, zählen wohl zu den schönsten, die man auf diesem Planeten mit dem Fahrrad zurücklegen kann. Es geht los in tiefen Schluchten. Der tosende Hunza-River weit unten hat sich tief durch die Granitwände gegraben. Bei einer Brücke weitet sich das Tal. Ein einsamer Polizist schiebt hier Wache und wir werden empfangen wie Staatsgäste. Die Langeweile muss groß sein, aber uns steht grad nicht der Sinn nach einem Plausch. Brücken sind hier eher lästig, weil jenseitig meist mit einem saftigen Gegenanstieg gewürzt. Und es ist schon wieder Mittag mit entsprechender Hitze. Aber zum Glück, das nächste Dorf ist nicht weit. In der einzigen Kneipe treffen wir eine Kanadierin wieder, der wir in Karimabad schon öfters über den Weg gelaufen waren. Die ganzen Touristen reisen zwar unterschiedlich, also per Anhalter, mit Bus, zu Fuß oder wie wir per Fahrrad, aber abends treffen sich doch wieder alle im selben, vom Lonely Planet empfohlenen Guesthouse.

      Nach diesem Dorf, Gulmit, wird die Straße richtig spektakulär. Berge wie Kathedralen stehen plötzlich vor einem. Zur linken Siebentausender, so wie Kleinkinder Berge zeichnen würden. Tief unten in den kargen Tälern, von der alles zu fressenden scheinenden Wüste sich abhebend, malerische grüne Flecken und Siedlungen. Mühsam wird bewässert und so dem Land Essbares abgerungen. Die Straße führt steil bergauf und wie immer in solchen Momenten lauert am Straßenrand die Dorfjugend. Man weiß ja nie, was die Rabauken nun wieder aushecken und bergauf mit all dem Gewicht kann man nicht wirklich einfach mal eben davon strampeln, sondern ist ihnen ausgeliefert, was diese wiederum sehr genau wissen. Wir müssen wohl einen sehr erschöpften Eindruck erweckt haben. Mit viel Getöse und Lachen werden wir kurzerhand den Hügel hochgeschoben! Nicht schlecht, schneller bitte! Für diese Mühe wird natürlich eine kleine Belohnung erwartet. „Sweets, sweets“ schallt es uns entgegen. Betty zieht unsere getrockneten Aprikosen hervor und man würde nun erwarten, dass die Jungs gelangweilt abwinken. Äh, Aprikosen, gibt es eh jeden Tag. Stattdessen reißen die Früchtchen ihr dieselbigen aus der Hand und können gar nicht genug bekommen.

      Bald hört man in der Ferne Ketten klirren. Wir kennen das Geräusch gut, es gehört zu einem Lastwagen. In Pakistan sind dies fahrende Kunstwerke. Die Besitzer geben sich unglaublich viel Mühe, ihre Gefährte anzumalen und mit allerlei Gehängsel zu verschönern. Standard sind dabei die am Boden schleifenden Ketten. Lichterkette ist ebenso absolute Pflicht. Was für eine Schau und absolut fotogen! Natürlich schwillt den Fahrern die Brust, wenn man sich genau ihr fahrendes Kunstwerk zum Fotografieren ausguckt.

      Wir schauen aber nun vor allem auf die Gletscher, die hier direkt bis zur Straße reichen. Man muss sich das so vorstellen, es geht um die Kurve und vor einem breitet sich ein Eis-Highway aus. Es ist der Passu-Gletscher, so an die zwanzig Kilometer lang. Eher klein im Vergleich zu dem, was da links und rechts sonst noch in den Tälern liegt. Aber wie er da blendend weiß in gerader Linie vor einem auftaucht, das ist schon beeindruckend. Den plastischen Eindruck verstärken die Gerölllinien auf dem Eis. Sieht in der Tat wie eine gigantische Straße aus.

      Auf einem Moränenhügel thront darüber das „Glacier Breece Restaurant“. Der Weg hoch mit Gartenlampen ausgeleuchtet. Irgendwie unwirklich, dieser Luxus in so einer weltabgeschiedenen Gegend. Wir sind die einzigen Gäste an diesem Abend. Für hiesige Verhältnisse ist das Lokal doch relativ teuer, aber wir speisen