Stephan Rankl

Kuerzlich in Asien


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mal Styropor, man ist da nicht wählerisch. An den Seitenwänden ist das wenige Hab und Gut aufgereiht und ich glaube es zunächst nicht, da steht tatsächlich eine Platte mit Solarzellen, dazu eine Batterie. Das Ganze dient dazu, eine kümmerliche Glühbirne an der Zeltdecke mit Saft zu versorgen. Das hätte ich jetzt so in einer kirgisischen Yurte nun nicht gerade erwartet. Moderne Zeiten, auch bei Nomaden. Die Existenz von Windeln hat sich jedoch bis hierher noch nicht herumgesprochen. Die Hose der zweijährigen Tochter ist an der entscheidenden Stelle einfach mit einem breiten Schlitz versehen. Ist wohl auch praktischer als ständig Windeln wechseln und waschen zu müssen. Für das Geschäft geht jung und alt sowieso nur auf die Wiese vor dem trauten Heim. Die Verständigung klappt leider nicht gut, die obligatorische Frage, ob wir verheiratet sind kapieren wir trotzdem. Unser heftiges Nicken als Reaktion erhellt die Gesichter deutlich.

      Frühmorgens spaziert der Familienvater geschniegelt mit Aktentasche aus der Yurte zur Arbeit. Ein herrliches Bild! Schon faszinierend, wie hier jahrhundertealte Traditionen und die Errungenschaften der Neuzeit aufeinanderprallen! Wir lassen uns mit Buttertee und in Fett ausgebackenen Chapattis verköstigen. Hauptbestandteil des Tees ist, wie der Name sagt, Butter und zwar gesalzene. Hört sich nun nicht gerade einladend an, man muss das Ganze eher als Suppe ansehen und nicht als Tee, dann spielen auch die Geschmacksnerven wieder mit. Ungemein sättigend ist es allemal.

      Wir starten zur nächsten Etappe durch den Wilden Westen Chinas. Und mit der sind unsere Aufstiegsmühen vorerst erledigt. Nachdem wir das gewaltige Kongurmassiv passiert haben, biegt die Straße in einen Canyon ein und von nun an geht es bergab. Zum Glück hat es die chinesische Teerfräse bis hierher noch nicht geschafft. Aus dem Tal faucht uns dafür ein stürmischer Gegenwind entgegen, aber die nächsten 40 Kilometer können wir unsere Räder trotzdem einfach nur rollen lassen. Fantastisch! Die Straße schlängelt sich eindrucksvoll an der Schluchtwand entlang gen Tal. Ein deutsches Radler-Pärchen hatte uns einen Zeltplatz in einem kleinen Wäldchen empfohlen. Clou hierbei, klares Wasser! Ansonsten sind die Flüsse dank Sedimenten immer noch schmutzigbraun. Was die Kollegen uns verschwiegen, das Wäldchen liegt quasi mitten in einem Dorf. So bekommen wir abends viel Besuch. Reden wollen sie mit uns nicht, sondern nur zuschauen. Nun gut, heute im TV, Camping-Kochstudio mit Rankl-Ebi. Der Benzinkocher fasziniert, ungeniert wird unsere gesamte Ausrüstung durchforstet und begutachtet. Bewährtes Hausmittel gegen allzu gründliches Auseinandernehmens unseres Hab und Guts, den Neugierigen eines unserer vielen Bücher in die Hand drücken. Darin enthaltene Bilder von ihrer eigenen Heimat kommen gut an. Wenn man eine so abgelegene Gegend sein Zuhause nennt, bekommt man wohl nicht viel Gelegenheit, etwas von der Welt ringsum zu sehen.

      Ziemlich abrupt führt die Straße vom Pamir hinaus in die weiten Steppen Zentralasiens. Der Blick zurück, gigantisch! Über allem erheben sich die Eisriesen des Pamirs, darunter laufen die Berge in einem Farbenspiel ohne Gleichen zur Ebene hinaus. Vom blendenden Weiß der Gipfelregionen, über Felsgrau und den in den Tälern dominierenden Ockertönen mit grünen Wäldchen. Die Gegend ist sehr trocken, befinden wir uns doch nun am Rande der Taklamakan-Wüste, der zweitgrößten Sandwüste der Erde. Fern vom Meer und von Gebirgen eingerahmt, fällt hier nicht viel Regen. An den Randausläufern fließen große Flüsse von den Gebirgsgletschern zur Ebene hinaus. Die Menschen nutzen dieses kostbare Gut zur Bewässerung ihrer Felder, was aber auch nur im begrenzten Umfang möglich ist. Wie ein Strich führt der Karakorum-Highway über absolut flaches Gelände. Man kommt sich doch etwas verloren vor in der weiten Ebene. Steinwüste überwiegt, dazwischen aber auch viele kleine bewaldete Oasen mit Dörfern.

      Dies ist die Heimat der Uiguren. Deren große Zeiten sind schon lange vorbei, im achten Jahrhundert waren sie und ihr Reich Ost-Turkestan die Großmacht im zentralasiatischen Bereich. Seither gerieten sie jedoch immer wieder unter die Herrschaft von fremden Mächten. Nach dem zweiten Weltkrieg gab es Versuche den Staat Ost-Turkestan wieder zu beleben, aber auf dem Weg zu einem Besuch in Peking kam die gesamte Führungsschicht bei einem mysteriösen Flugzeugcrash ums Leben. Die Gebiete wurden daraufhin von den Chinesen (wieder) annektiert. Das Schicksal der Tibeter ist bei uns hinlänglich bekannt, den Uiguren erging es nicht besser. Die Benachteiligung dauert bis heute an, wichtige Ämter werden fast nur von Chinesen besetzt und so weiter und sofort. Das ganze Programm der Unterdrückung. Wie in Tibet versucht die Zentralregierung möglichst viele Han-Chinesen hier in der Provinz Xinjiang anzusiedeln, wie sie heute heißt, um ihren Einfluss und Führungsanspruch zu stärken. Auch hier werden die Uiguren nach und nach zur Minderheit im eigenen Land. Eine Gruppe, welche für mehr Unabhängigkeit kämpft, wurde kurzerhand im Zuge der Ereignisse um diesen einen 11. September zur terroristischen Organisation erklärt und wird seither rigoros bekämpft. Die chinesische Obrigkeit ist bei solchen Anlässen nicht gerade für Zimperlichkeit und einfühlsame Politik bekannt, es regiert die Gewalt. Auch dies ist hinlänglich bekannt.

      Auf dem Land merkt man hiervon als Fremder nicht viel. Wir kommen durch Upal, die erste größere Stadt seit Tashkurgan, welche uns mit einem großen Markt beeindruckt. Es gibt viel Obst und Gemüse, vor allem Wassermelonen. Wir wundern uns schon, wie dies alles bei dem trockenen Klima gedeihen kann. Wassermelonen kann man in dieser wüstenhaften Gegend als wahrlich paradiesische Frucht bezeichnen. Ausgedörrt wie wir sind, kommt uns diese unverhoffte Erfrischung doch sehr entgegen. Dominierendes Gefährt ist der Eselkarren, Autos sieht man kaum welche. An sich ist der Eselkarren das ursprünglichste aller geländegängigen Fahrzeuge. Zwei Holzräder, eine Deichsel, Brett darüber, Esel davor, fertig. Unglaublich was den kleinen Tieren alles an Lasten aufgebürdet wird. Auch längere Strecken werden damit zurückgelegt. Wir sind quasi nur am Überholen, verfügen damit doch eindeutig über mehr Eselpower auf dem Sattel.

      Die Orientierung gestaltete sich bis hierher sehr einfach, es gibt ja nur die eine Straße. Jetzt an der ersten Kreuzung stehen wir doch etwas sehr dumm vor dem Schild mit den großen chinesischen Zeichen. So fühlen sich also Analphabeten. Da hilft nur Fragen weiter. Links geht es weiter. Kashgar entgegen. Das erste große Etappenziel! Nach 490 Kilometern und acht Etappen, die wir hierfür benötigten, abgesehen von der Busepisode am Khunjerab-Pass.

      Kashgar ist seit jeher eine wichtige Station an der Seidenstraße, dieser uralten Handelsroute zwischen Asien und Europa. Erste Berichte von der Existenz der Seidenstraße stammen bereits aus dem fünften Jahrhundert vor Christus. Dabei handelte es sich nie um einen Weg, sondern vielmehr um ein weitverzweigtes Netz mit einigen wichtigen Hauptrouten. In der Oase Kashgar liefen schließlich die nördliche und südliche Route zur Umgehung der Taklamakan-Wüste wieder zusammen. Von hier splittete sich die Seidenstraße erneut auf. Ein Seitenarm führte über den relativ niedrigen Khunjerab-Pass nach Süden in Richtung indischer Subkontinent, der heutige Karakorum-Highway. Dies unterstreicht die Wichtigkeit von Kasghar, als zentraler Knotenpunkt für Handel jeglicher Art. Nach einem Dornröschenschlaf während der finstersten Jahre des Kommunismus, bekommt die Stadt ihre Bedeutung durch den Bau des Karakorum-Highways und der Öffnung einiger Grenzen in der Region nun langsam wieder zurück. Wenn die Leute also eines können, dann muss das Handeln sein. Eine über 2000-jährige Erfahrung darin kann nicht jedermann vorweisen. Besonders berühmt ist daher der Sonntagsmarkt, an dem sich Händler aus nah und fern in der Stadt einfinden.

      Wir haben also durchaus exotische Erwartungen, als wir in die Stadt einrollen. Der erste Eindruck fällt dann aber doch zunächst ernüchternd aus. Wieder bestimmen diese typisch chinesischen Betonklötze mit gesichtslosen Fassaden das Bild. Wir steuern das „Seman-Hotel“ an. Einst russische Botschaft, dient der weitläufige Bau nun als Unterkunft für Touristen. Der ganze Komplex wirkt auf den ersten Blick wie ein supertolles Luxushotel mit Pagen und allem drum und dran. Aber das Gebäude kann sein Alter nicht verbergen. Für chinesische Verhältnisse ist das Doppelzimmer für 160 Yuan schon teuer, aber verglichen mit den Preisen in Deutschland immer noch ein Schnäppchen. Wir verfrachten sofort ungeniert unsere dreckigen Räder in das Zimmer, was aber niemanden stört.

      In Kashgar laufen all die großen Fernradrouten zusammen, von denen man daheim über Bücher gebeugt so träumt. Kirgisien, Karakorum-Highway und von der Mongolei kommend via Urumqi. Lauter großartige Routen und die Leute treffen sich alle im Seman-Hotel. Auch die ganzen Tibetfahrer sind hier, aber die geben sich eher leise. So auch wir. Man möchte nicht auffallen, keiner soll von den großen Plänen erfahren. Der Feind hört mit!

      Wir treffen Paul wieder, der uns gleich etwas von tollen