Nina Galtergo

Versuchung


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Ulla, Übertreibungen waren ihr Geschäft, denn sie arbeitete als Immobilienmaklerin, und da war es gut fürs Geschäft, ein bisschen zu übertreiben. Da konnte aus einer freistehenden Villa schon mal ein großzügiges Herrenhaus werden. Wie pflegte sie immer zu sagen? Klappern gehört zum Handwerk. Kaum, dass sie Kirsten überschwänglich bestaunt hatte, klingelte ihr Handy und sie musste los, um ihrer kleinen Tochter beizustehen, die vom Pferd gefallen war und sich dabei wohl die Hand gebrochen hatte. Schade, denn Kirsten konnte den ermutigenden Zuspruch ihrer besten Freundin gut gebrauchen. Von wegen Glück auf Erden auf irgendwelchen Rücken von Pferden! Wessen Glück meinte dieses Sprichwort? Das Glück von Unfallchirurgen?

      So blieb ihr wieder nur der Haushalt übrig. Mädchen, was ist dein Leben langweilig. Du gehst arbeiten bei deinem Vater, der stumm ist wie ein Fisch, dein Mann legt nur noch Stippvisiten daheim ein und deine beste Freundin ist so eingespannt in Sachen Familie, dass sie auch nie Zeit hat. Du brauchst dringend was zu tun.

      Ein Kind – fällt flach, du heimliche Pillenschluckerin.

      Eine Katze - dein Mann hasst Katzen, fällt auch flach. Nicht auszudenken, wie man die Haare auf dem Laminat sehen würde!

      Einen Hund – das ganze Gassigehen bliebe an dir kleben, darauf hast du auf Dauer keine Lust, ist ergo auch gestrichen. Außerdem wieder die Laminat-Problematik...

      Oder mehr Zeit mit dem Referendar – ist unmoralisch, gehört sich nicht, wäre aber dennoch reizvoll.

      Hör auf zu träumen!

      Florian kam abends auf die Minute pünktlich nach Hause. Nach dem Gespräch morgens in der Küche hatte er es nicht gewagt, einen erneuten Liebesabend mit Sandra zu verbringen, so dass sie es heute bei einem Quickie in der Mittagspause oben im Treppenhaus belassen mussten.

      Seine Frau war kaum wiederzuerkennen, und die neue Frisur stand ihr wirklich gut. Er war überrascht und verunsichert zugleich: Ahnte sie etwas? Woher dieser plötzliche Sinneswandel von der unauffällig schlichten Frau zur herausgeputzten Schönheit? Dass sie schön war, hatte er natürlich immer gewusst, doch sie hatte diese Schönheit schlummern lassen. Nun rannte sie zum Frisör und kaufte sich neue Klamotten, und sein eitles Ego kam nur zu einem Schluss: Sie ahnte etwas und wollte ihn so halten.

      Im Bett hatten sie endlich mal wieder Sex, wenn auch keinen besonders guten. Zumindest im Vergleich mit Sandra. Aber er fühlte sich verpflichtet, um ihr Misstrauen zu durchbrechen, also kam er seinen, wie es so schön hieß, 'ehelichen Pflichten' nach. Doch es fühlte sich wirklich an wie eine Pflichtveranstaltung.

      Kirsten spielte irgendwann einen Orgasmus vor, um endlich ihre Ruhe zu haben, woraufhin er kam und im Bad verschwand. Als er wieder zurückkam, stand sie auf, drückte den Mausi-Alptraumschlafanzug eng an sich und huschte ebenfalls ins Bad, wo sie ausgiebig duschte und sich die Zähne putzte. Bei ihrer Rückkehr ins Schlafzimmer war Florian längst eingeschlafen und schnarchte leise.

      Der Rest der Woche verging wie im Fluge. Die Kosmetikerin drückte wie befürchtet an ihren Poren herum, zupfte, cremte und verwöhnte. Hinterher glänzte Kirsten wie eine fleckige Speckschwarte, fleckig, speckig, aber dennoch glücklich und erholt. Sie eilte in ihr Auto, denn bei ihrem Glück würde sie so noch jemanden treffen, der sie kannte, und ihren Anblick after Wellness wollte sie der Weltöffentlichkeit denn doch ersparen. Florian spöttelte abends über ihr Aussehen und ging dann noch joggen. Sie ging früh ins Bett, um ausgeruht für den morgigen Tag zu sein. Dass ihr Mann erst um vier Uhr wieder zu ihr ins Schlafzimmer kam, merkte sie nicht.

      Die Büchse der Pandora

      Und dann war er gekommen, der große Tag. Florian war missmutig gewesen, als er von den ganzen Terminen hörte, die Kirsten heute ausgemacht hatte. Zur Kosmetikerin fürs Makeup und zur Frisörin wegen der Haare (bei ihrem mangelnden Stylingtalent saß der Bob nämlich nicht mehr ganz so perfekt, und die Haare waschen musste sie sich ja schließlich), danach würde sie direkt zu der Firma kommen, für die er in der Rechtsabteilung arbeitete.

      Um 18 Uhr war es dann soweit: Kirsten betrat das Gebäude mit einem Puls jenseits von Gut und Böse. In ihrem ungewohnt tiefen Dekolletee, zusätzlich geschönt durch einen Push-up, leuchteten Hektikflecken, ausgerechnet. Zum Glück war sie gestern noch einmal in dem schicken Laden vom Montag gewesen und hatte nach einem Jäckchen gefragt (Ullas Idee), und in der Tat gab es einen passenden Bolero, der nun beim Retuschieren der Hektikflecken (oder waren es Panikflecken?) behilflich war. Den Tipp der Kosmetikerin hatte sie befolgt und bräunende Körperlotion benutzt. Tatsächlich hatten die wenigen Male cremen genügt, um ihr eine sanfte Bräune zu verleihen, wenn sie auch in den Kniekehlen und an den Knöcheln eindeutig überpigmentiert war und den Teint einer Orange angenommen hatte, einer Orange mit Sonnenbrand.

      Sie betrat den Fahrstuhl und fühlte sich wie ein Delinquent auf dem Weg zum Schafott, denn ihre Zuversicht schwand von Minute zu Minute. Was erhoffte sie sich von diesem Abend? Glaubte sie wirklich, dass sie mithilfe eines aufgehübschten Äußeren die Männer bzw. den einen Mann für sich erhitzen konnte? Am liebsten hätte sie auf den bequemen Absätzen kehrt gemacht, doch dafür war es zu spät, denn die Fahrstuhltür öffnete sich. Du machst dich lächerlich, du bist hier in einer Büroetage und nicht auf dem roten Teppich! LÄCHERLICH!!! Kirsten betrat den schlichten Flur der Rechtsabteilung, der mittels Girlanden aus Kunsttanne, riesigen roten Plastikschleifen und Mistelzweigen aufgepeppt worden war. Miss Sophie und Butler James aus Dinner for one huschten ihr durch den nervösen Kopf: Same decoration as last year, Miss Sophie? Same decoration as every year, James.

      Sie hörte eine schraulige Aufnahme von „Santa Clause is coming to town“ und bekam von der Seite her eine Weihnachtsmütze aufgesetzt, eine Weihnachtsmütze mit langen blonden Zöpfen aus billigem Kunsthaar auf ihrer neuen Frisur! Wäre die Mütze nicht so blöde gewesen, hätte Kirsten glatt darüber lachen können. So zog sie sich diese Zumutung wortlos wieder vom Kopf, ärgerte sich über die Dreistigkeit, ihr dieses Unikum auf ihren frisch frisierten Kopf zu stülpen und legte das Ding auf dem nächstbesten Cocktailtischchen ab, fern ab von dem Teelicht, das im zugigen Flur vor sich hin flackerte, denn flammbar war die Mütze hundertprozentig. Und abfackeln wollte sie die Firma denn doch nicht, schließlich saß ihr Mann dank der Firma oft und lange im Büro und ergo nicht daheim.

      Einige Kollegen begrüßten sie freundlich, aber reserviert. Verstört bemerkte sie, wie die Frauen ihr abschätzige Blicke zuwarfen, aber sie achtete nicht darauf, was diese zugespachtelten Fregatten hinter ihrem Rücken zischelten. Sie hielt Ausschau nach Christoph, doch alles, was sie erblickte, war der althergebrachte Florian, der mit breitem Lächeln durch den Raum auf sie zusteuerte.

      „Liebling, schön dass du da bist“, flötete er so laut, dass es garantiert ein paar Anwesende hören konnten. Wie der schauspielern kann! Sähe er noch aus wie George Clooney, hätte er glatt einen Oscar in der Tasche! Aber mit der Visage... konnte er höchstens den tumben Handlanger des Bösewichts in einem James Bond spielen. Und tumbe Handlanger bekamen keinen Oscar, sondern die Häme des Publikums zu spüren, wenn sie am Ende hilflos im Ozean zwischen einem Rudel hungriger Haie trieben oder sich die Horde Piranhas im Aquarium das Lätzchen umband, wenn der tumbe Handlanger hineinfiel.

      Florian betrachtete seine Frau verstohlen von der Seite. „Verdammt,", huschte es ihm durch den Kopf, „muss sie sich ausgerechnet heute so anziehen? Wo hat sie dieses Kleid nur her? Wenn Sandra das sieht, die flippt aus!"

      „Ja, schön“, sagte sie nur.

      „Möchtest du was zu trinken?“

      „Ich nehme ein Wasser“, gab sie zurück.

      Florian stutzte und fragte sich, warum sie heute nur ein Wasser haben wollte. Sonst hatte sie doch immer den Abend hier nur mithilfe von zig Champagner überstanden und zum Schluss angeschickert in seinem Büro gesessen.

      „Gut, für dich ein Wasser!“, sagte er hölzern und ging zu der provisorischen Bar.

      Christoph schlenderte durch den Gang, schon wieder! Es war seine zigste Runde durch die trostlosen Flure und Räume der Firma.Die Feier war so öde, wie alle vorher behauptet hatten, denn außer Essen und Trinken gab es absolut nichts zu tun. Abrupt blieb er stehen,