- (und alle) H.O.S.E - empfinden es als unseren göttlichen Auftrag - A.U.F.T.R.A.G - Sie, lieber Herr Schönherr - S.C.H.Ö.N.H.E.R.R -, täglich neu zu begeistern, Ihnen mit Frische - F.R.I.S.C.H.E - und Qualität - T.Ä.T - kleine Glücksmomente für Ihr Wohlgefühl zu schenken.«
Die Leute kannten das Schauspiel schon, offensichtlich liebten sie es auch, sie strömten von den Nachbar- und Automatikkassen herbei, freuten sich und klatschten fröhlich in die Hände.
Dem sonderbaren Richter aus Deutschland aber blieb nichts anderes übrig, als beschämt den Führerschein zum doppelten Nachweis seiner Volljährigkeit durch ein Lesegerät zu ziehen und zuzuschauen, wie man sein frisches Qualitätsbier in einen nach dem Zwiebelprinzip aufgebauten Sichtschutz aus Plastik steckte. Dann sagte die Kassiererin noch, dass es ihr unter diesen Umständen die allergrößte Freude wäre, wenn sie persönlich für seinen Einkauf aufkommen dürfte. Ob sie mit einem Hundert-Dollar-Gutschein wenigstens einen Teil ihrer Schuld wieder gutmachen könnte?
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Keine Frage, auch wenn der junge Edward auf einem guten Weg war, am Ende der Sommerferien genauso viel Leidenschaft für seinen Posten hinter den Glasbausteinen empfinden zu können wie die Kassiererin aus dem texanischen Supermarkt, so sehnte sich Schönherr manchmal ein bisschen nach der Zeit, als die Launen der anderen noch ungefähr mit seinen eigenen übereingestimmt hatten.
Während Edward nun Punkt für Punkt seiner Neubesucher-Begrüßungscheckliste durchging, alles in allem fehlerfrei, suchte Schönherr nach Lisa. Sie war dem Wischroboter unter einen Tisch gefolgt. Gleichzeitig gab er Edward Antworten, von denen er hoffte, dass sie dem Jungen anschließend beim Performance Assessment keine Schwierigkeiten machten.
Als Edward schließlich sagte, »bitte mir zu folgen«, nahm Schönherr Lisa an die Hand, und dann folgten sie dem Jungen durch einen hellen modernen Flur.
We develop leaders, las Schönherr auf den elektronischen Wandzeitungen, außerdem, Begabung entfalten, Gemeinschaft gestalten und weitere Sinnsprüche aus der Glückskekskiste.
Er konnte dieses dümmliche Getue noch nie leiden, aber nachdem Lisa in sein Leben getreten war und von ihm verlangen durfte, dass er sich in Zukunft um mehr als nur seine eigenen Angelegenheiten kümmerte, hatte er in seiner Funktion als Pflegevater einsehen müssen, dass es inzwischen sogar in den Kitas und Grundschulen unmöglich war, sein Wissen zu bereichern und das Denken zu üben, ohne sich zu einer Marke, einer Farbauswahl, einem lustigen Maskottchen und einer Parole zu bekennen. Unter den Schulen in der Nähe war keine einzige, die ohne sphärisches Wortgebimmel oder ein Sprüchlein auskam, das sie Philosophie nannte. Sogar in den staatlichen Bildungsruinen wurde neuerdings nach Exzellenz gestrebt und am laufenden Band Persönlichkeit entfaltet, obwohl die in Selbstverteidigung geübten Lehrer abseits des Strebens und Entfaltens alle Hände voll zu tun hatten, das Drogenbesteck zu konfiszieren und Kopfverletzungen zu behandeln.
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»Ach, Doktor Schönherr, warten Sie schon lange? Kommen Sie doch bitte herein. Darf ich Ihnen ... Oh, und du musst Lisa sein!«
Michelle Schäfer war die attraktive und besonders von den Jungs der Oberstufe gern besuchte Assistentin des Schulleiters. Wenn sie einen mochte, dann konnte es passieren, dass sie ihn einen Moment in der Tür warten ließ, sich tief über den Schreibtisch lehnte, für einen letzten intensiven Blick in die E-Mail, und die Messerspitzen ihrer feuerroten Acrylnägel rhythmisch gegen das Brillengestell tippte. Dann klickte sie mit dem langestreckten Zeigefinger der anderen Hand auf Senden, und dabei sah sie immer ein bisschen wie die dekorative Vertretung für jemanden aus. Meistens trug sie wunderbar hohe Schuhe und einen knielangen engen Rock, wodurch ihre Bewegungen wie von einem inneren Metronom betont waren. Eine weiße Bluse und schwarze Haare, beides stets streng nach hinten gebunden, unterstützten noch den delikat verdorbenen Eindruck, der, ohne dass sie etwas Konkretes versprechen musste, eine spezielle Form von Vorfreude auslösen konnte.
Sie erkundigte sich, ob sie Schönherr eine Tasse Kaffee bringen dürfe. »Oder vielleicht etwas anderes?«
»Ja, danke, Kaffee hätte ich gern, das wäre sehr nett, vielen lieben Dank«, sagte er unbeabsichtigt devot.
»Mein Gott, wie hübsch du bist, zum Anbeißen!« Frau Schäfer schien ganz hingerissen von Lisa, während sie sich mit durchgestreckten Knien zu ihr hinunterbeugte, wie um einen winzigen Hund aus der Nähe zu betrachten.
Etwa gleichzeitig öffnete sich eine Tür auf der anderen Seite des Flurs. Ein Mädchen, vielleicht eine Schülerin aus der Mittelstufe, kam herüber und wartete höflich, bis Frau Schäfer ihr Entzücken über Lisa angemessen zum Ausdruck gebracht hatte und vorschlug, dass Selina die liebe Nichte für die Zeit der Besprechung ein bisschen herumführen könnte.
»Herr Hoffmann hat heute leider nicht so viel Zeit. Jemand vom Ministerium hat kurzfristig ... Naja, Sie wissen ja, wie das ist. Tut mir schrecklich leid«, sagte sie, und für eine Sekunde sprang die Mimik der exquisiten Vorzimmerlady in einen Ausdruck des Bedauerns, der nicht völlig ausschloss, dass tatsächlich eine flüchtige Form von Mitgefühl durch ihr Innerstes geweht war.
»Ich bin gleich wieder da, mein Schatz«, rief Schönherr seiner Lisa hinterher, die mit Selina losgestürmt war.
Frau Schäfer schloss die Tür und bat ihren Gast, auf einem Besuchersessel am Fenster Platz zu nehmen. Als sie nach einem wohldosierten Moment sichergehen konnte, dass ihr auch die nötige Beachtung geschenkt wurde, stöckelte sie zur Küchenzeile gegenüber. Im nächsten Moment zischte und fauchte eine Kaffeemaschine, die, tiefrotlackiert und verchromt, Schönherr daran erinnerte, den E-Type vor dem Regen in die Garage zu fahren. Als Frau Schäfer den Kaffee brachte, sich dabei tief nach unten beugte, hatte er das Glück, dass das Sommerlicht vom Fenster seinen Blick tief in ihr Dekolleté lenkte, zwischen wunderbar harmonischen Brüsten hindurch bis hinab zum Bauchnabel. Er deutete ein Kopfnicken an, und zum Beweis, dass sein stummer Dank allein dem Kaffee galt, schloss er für einen Moment die Augen.
Dass Schönherr es nicht fertigbrachte, für einen angenehmen Zeitvertreib mit Frau Schäfer mehr zu tun, als würdevoll zu schweigen, war ihm ein bisschen unangenehm. Immerhin kümmerte sie sich ganz fürsorglich um ihn. Außerdem gehörte sie zweifellos zu jenen Frauen, die es gewohnt waren, dass die Männer jeden Alters in ihrer Gegenwart munter und interessiert wirkten. Schönherr tröstete sich mit dem Gedanken, dass sie wahrscheinlich über seine Akte Bescheid wusste, und für den Fall, dass sie über eine feurige Fantasie verfügte, die es ihr erlaubte, ihn sich außerhalb der Schule geistreich und angenehm vorzustellen, würde sie das Gegenteil sowieso nie erfahren.
Wie also bekommt er Lisa auf diese Schule?
Bei allem, was man gegen die Schlossberg Academy vorbringen konnte - elitär, teuer, hip -, er traute der Schule zu, dass sie seine Nichte mit jener zertifikatgetriebenen Bildung und Score-Kompetenz aufladen würde, die jedem Recruiting Manager die Tränen in die Augen treibt.
Es war natürlich möglich, dass die Schule erst durch ihre Absage solche Gedanken in ihm ausgelöst hatte. Doch als er mit dem erstklassigen Kaffee in der Nase tief in Gedanken Frau Schäfer dabei zusah, wie sie ihre langen roten Fingernägel gegen das Brillengestell tickerte und tackte, während sie mit der anderen Hand den Telefonhörer ans Ohr legte, um im Nachbarzimmer anzurufen und zu sagen, dass der Herr Doktor Schönherr jetzt da sei, da war er sich plötzlich sicher, dass es keine bessere Schule für Lisa geben konnte.
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LS Consulting Group - Infomaterial an unsere Mandanten. Glossar. Stichwort: 'Score'
Als Score wird die personenbezogene Auskunft bezeichnet, die über die Score Holding AG bezogen werden kann. Das Unternehmen ist aus einem Zusammenschluss verschiedener Ratingagenturen und Auskunfteien, darunter der SCHUFA Holding AG, hervorgegangen. Der moderne Score über Privatpersonen ist eine Weiterentwicklung der SCHUFA-Auskunft, insofern neben den herkömmlichen Angaben zur Bonität weitere Informationen über die Auskunftsperson abgefragt werden können, so etwa Krankheitsrisiken, Lebenserwartung, psychologische und soziale Kenngrößen, Lenkbarkeit, Stabilität, Grundvertrauen in die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen