Pia Wunder

Hoffnungsschimmer in Trümmern - Eine Liebe in Zeiten des Krieges


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gestern hatten die Gäste so schöne Tischdecken mitgebracht. Und ich dachte, das wäre doch perfekt für dein Hochzeitskleid. Eine schöne Bordüre oder Verzierung oder was man so damit machen kann. Ich habe meinen Chef gefragt, ob ich nicht eine davon haben und das Geld dafür abarbeiten könnte.« Ludwig konnte gar nicht aufhören zu reden, bis Grete sein Gesicht in ihre kleinen, zarten Hände nahm und ihn mit Tränen in den Augen küsste. Ein schöneres Geschenk hätte sie sich nicht vorstellen können. Mit ihrem Geschick würde sie einen Traum von einem Hochzeitskleid schneidern. Und für ihn ein kleines, weißes Einstecktuch. Selbst wenn das gar nicht zu der Uniform passte, die er wahrscheinlich zur Hochzeit tragen würde.

      Wortlos erwiderte er ihre sanften Küsse und zog sie hinunter auf die Picknickdecke. Arm in Arm lagen sie dort und küssten sich immer wieder. Zuerst noch zaghaft, doch dann leidenschaftlicher. Unbeschreibliche Glücksgefühle stiegen in beiden hoch. Und ein Gefühl, dass Grete bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht kannte: Begehren. Sie wusste, dass es sich nicht schickte, mehr zu verlangen. Doch sie wünschte sich so sehr, dass er genau so fühlte. Und das tat er. Seine Augen glänzten vor Verlangen und vorsichtig öffnete er den obersten Knopf ihres Kleides. Nie hätte sie es gewagt, gleiches zu tun, aber das Gefühl in jeder Faser ihres Körpers war größer als jede Vernunft.

      Sie konnte kaum den Seufzer unterdrücken, als seine Finger zärtlich die Rundungen ihrer Brüste streichelten. Er nahm den hervorkommenden Ton schnell mit seinen Lippen auf. Ludwig hatte mit seinen 24 Jahren wenig Erfahrung mit Frauen, doch er ahnte, dass er für Grete der erste Mann sein würde. Behutsam wollte er sein, obwohl es ihm schwer fiel, sein Verlangen zu zügeln. Er hatte das nicht so geplant, doch es fühlte sich jetzt und hier genau richtig an.

      Schnell ließ er zwischen zwei Küssen seinen Blick schweifen. Sie waren immer noch ungestört. Weit und breit war niemand zu sehen und die Büsche um sie herum schützten sie vor ungebetenen Blicken. Grete hatte die Augen geschlossen und genoss sichtlich seine Berührungen. Als er seine Hand unter ihr Kleid schob und ihre Unterwäsche berührte, erschrak sie kurz. Doch als er innehielt, um sich zu vergewissern, dass auch sie es wollte, bekräftigte sie ihn. Grete zog das Hemd aus seiner Hose und berührte seinen glatten, unbehaarten Bauch. Nun gab es für Ludwig kein Halten mehr. Ein zarter Windhauch wehte ihr Kleid ein kleines Stück beiseite, und er versank vollkommen mit ihr, bevor er noch einen weiteren, klaren Gedanken fassen konnte.

      Ihr zaghaftes: »Wir müssen aufpassen«, kam einen winzigen Augenblick zu spät. Beide wurden von ihren Gefühlen so überrollt, dass sie schon kurz darauf erschöpft und gleichzeitig überwältigt nebeneinander lagen und Ludwig liebevoll ihr Sommerkleid und dazu die Decke schützend über ihren Schoß legte. Eigentlich wollten sie doch bis zur Hochzeit damit warten. Grete konnte sich nicht erinnern, jemals so von ihren Gefühlen übermannt worden zu sein.

      Langsam beruhigte sich beider Atem und ihre Aufregung. Ein tiefer Friede machte sich breit. Die Hochzeit war schließlich schon in ein paar Monaten und außerdem würde ja niemand etwas davon erfahren.

      »Hallooo, atmen se mal!« Mit diesen Worten der kaltherzigen Nachtschwester wurde Grete wieder in die Wirklichkeit zurückgeholt. »Nich die Luft anhalten.« Grete versuchte, ihren Anweisungen zu folgen. Die Schmerzen waren unerträglich, doch sie traute sich nicht, zu widersprechen. Wenn doch nur Ludwig bei ihr wäre. Die Bilder dieses romantischen Nachmittags waren blitzschnell aus ihren Gedanken verdrängt. Sie wünschte nur, alles wäre schon vorüber. Es kam ihr vor wie eine Ewigkeit und sie konnte später nicht sagen, wie lange sie dort in den Wehen gelegen hatte. Irgendwann hörte Grete ein zaghaftes Stimmchen. Es war kein Schreien, nur ein leises Wimmern. Aber sie hörte ihr Baby. Sie war Mutter. Und fassungslos. Allein.

      In ihrer Vorstellung sagten die Hebammen in diesem Augenblick etwas Aufbauendes wie: »Da ist ja der propere Stammhalter« oder »Willkommen, kleine Prinzessin«. Nachtschwester Alexe bemerkte nur abfällig: »Ein Fuss.« Ihr Baby hatte tatsächlich Ludwigs rötliche Haare geerbt. Immer noch nicht wusste sie, ob es ein Junge oder ein Mädchen war. Alexe hielt es auch nicht für nötig, ihr etwas dazu zu sagen. Erst als sie wissen wollte: »Welchen Namen soll ich eintragen?«, fragte Grete nach und erfuhr, dass sie soeben einer kleinen Tochter das Leben geschenkt hatte. »Ilse.«

      Als man ihr das winzige Bündel in den Arm legte, überkam Grete ein unvorstellbares Glücksgefühl. Sie atmete den Duft ihres Mädchens tief ein und schloss die Augen. Ilse tat es ebenso. Schnell mischten sich die Glücksgefühle mit einer tiefen Traurigkeit. Die Bilder der vergangenen Monate liefen wie schon so oft wie ein Film an ihren Augen vorbei.

      Schon wenige Tage nach ihrem Treffen im Park ließ Ludwig ihr eine Nachricht zukommen, dass sie sich unbedingt sehen müssen. Grete bereitete das Abendessen für die Familie des Fischhändlers zu, wischte den Laden und brachte dann den kleinen Klaus ins Bett. Nachdem auch die Küche wieder sauber war und die Wäsche gemangelt, schlich sie sich leise aus dem Haus. Ludwig wartete bereits an der Ecke des Ladens auf sie. Ihre Freude über das rasche Wiedersehen schwand schnell. Mit bedrückter Stimme berichtete Ludwig, dass er noch vor dem Wochenende an die Front versetzt würde. In Posen selbst fanden keine Kämpfe statt, daher schien dieser Krieg für sie bislang nicht bedrohlich nahe. Doch die Rote Armee rückte unbarmherzig gen Westen vor und er musste seinen Vorgesetzten begleiten. Seine ursprüngliche Arbeit als Mechaniker wurde nach und nach durch Fahrtätigkeiten ersetzt. Da seine Vorgesetzten seine zuverlässige und vertrauliche Art sehr schätzten, wurde er nun in dieser geheimen Mission gebraucht, um wichtige Befehlshaber in die Krisengebiete zu befördern. Seine weiteren Worte realisierte sie nicht mehr. Die Tränen rannen nur so über ihr Gesicht und ihr Kopf bestand aus einem einzigen Nebelfeld.

      Zu diesem Zeitpunkt ahnte Grete noch nicht, dass sie schwanger war und ebenso wenig wusste sie, ob Ludwig zum Termin der geplanten Hochzeit zuhause sein würde. Zuhause. Posen sollte ihr gemeinsames Zuhause werden. Nach der Hochzeit und dem Einzug in eine kleine Wohnung für Angehörige der Wehrmacht. Jetzt lebte sie immer noch in der kleinen Kammer des Fischhändlers. Ihr wunderschönes Hochzeitskleid hatte Grete in ihrem unerschütterlichen Glauben fertiggestellt und an den alten Kleiderschrank gehängt. Jeden Tag erinnerte es sie daran, dass er bald zurückkommen würde und sie heirateten. Und jetzt lag sie hier in diesem kalten Krankenhaus. Allein.

      »Nein«, schimpfte sie mit sich selbst. Sie war nicht allein. Sie hatte Ludwigs Tochter das Leben geschenkt. Wie sehr er sich freuen würde, wenn er zurück kam. Wenn er zurück kam. Grete versuchte, den Gedanken zu verdrängen, dass er womöglich gar nicht zurück kam. Sie wollte fest daran glauben. Sonst würde sie die vor ihr liegende Zeit nicht überstehen.

      Der nächste Tag sah gleich ein wenig freundlicher aus. Es war für sie ein ungewohnter Luxus, nicht in aller Herrgottsfrühe aufstehen zu müssen, um die Auslagen für das Geschäft herzurichten bevor sie das Frühstück vorbereitete. Grete genoss es, einfach liegen zu bleiben, zumal sie sich noch sehr erschöpft fühlte. Als sich die Tür öffnete, graute ihr bereits vor der unsympathischen Nachtschwester. Doch zu ihrer Freude schlenderte gut gelaunt die nette Schwester herein, die sie am Vorabend in das Krankenhaus geführt hatte. »Wunderschönen guten Morgen. Und herzlichen Glückwunsch zu diesem süßen kleinen Mädchen.« Das Strahlen in ihren Augen war ansteckend und Grete war einfach nur dankbar.

      Schwester Ingeborg stellte ihr das Frühstück auf den Tisch und setzte sich zu ihr auf die Bettkante. »Wie geht es Ihnen?« »Danke, ganz gut. Wann kann ich mein Mädchen denn sehen?« Die Hand der Schwester legte sich auf Gretes Hand und Ingeborg schien ihre Worte behutsam zu wählen. »Frühstücken Sie erst einmal, damit Sie zu Kräften kommen. Dann bekommen Sie von mir die Tabletten, damit der Milchfluss gestoppt wird und danach bringe ich Sie zu Ihrer Tochter. Ilse wird gerade gefüttert und dann frisch gewickelt. Also bekommen Sie gleich ein sauberes, sattes und glückliches Kind.«

      Erst jetzt bemerkte Grete den Druck in ihren geschwollenen Brüsten. »Kann ich sie denn nicht stillen?« Sie ahnte, dass sie sich die Frage hätte schenken können. Mitfühlend antwortete Ingeborg: »Das würde es für alle nur noch schwieriger machen.« Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Sie können ihr heute Mittag die Flasche geben.« Darauf freute Grete sich. Sie war einfach froh, dass sie alles überstanden hatte und sowohl ihr Kind als auch sie selbst gesund waren. Also versuchte sie, alles um sich herum einfach auszublenden und die nächsten beiden Tage so gut es ging zu