Pia Wunder

Hoffnungsschimmer in Trümmern - Eine Liebe in Zeiten des Krieges


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Schoß hielt, als ihr Vater losfuhr. Wie friedlich hier doch alles war. Sie vermisste die Geschäftigkeit der großen Stadt kein bisschen und genoss es, zuzuschauen, wie sich die Mittagssonne im See spiegelte. Wie zwei Schwäne mit ihren Jungen sanft über das Wasser glitten. Das satte Grün der Bäume. Sie konnte sich gar nicht satt sehen an der Schönheit der ursprünglichen Natur. Vielleicht könnte sie mit Ludwig zusammen hier für ihre kleine Familie ein Zuhause schaffen. Nahe bei ihrer Großfamilie, die sie so sehr liebte. Sie würde dieses Wochenende nutzen, um ihre Eltern um Rat zu fragen und möglicherweise bereits Pläne zu schmieden.

      Bei der Ankunft auf dem Hof war sie allerdings erst einmal überrascht. Sie hatte das Anwesen viel größer in Erinnerung. In U-Form waren die Gebäude errichtet. An der Stirnseite das Haus des Gutsherren und seiner Familie. Auf der linken Seite war das Gebäude, in dem das Personal wohnte. Ihre Familie lebte in der Wohnung, die direkt an das Herrenhaus grenzte. Sie bestand aus einem geräumigen Wohnraum mit einem Ofen zum Kochen und Heizen, einer Sitzecke mit vielen Stühlen und einer Schlafgelegenheit in einer Ecke. Das zweite, relativ kleine Zimmer, war ein reiner Schlafraum. Wenn sie darüber nachdachte, dass sie hier mit ihren Eltern und drei Geschwistern geschlafen hatte, war es für sie kaum mehr vorstellbar. Noch weniger vorstellbar war, dass nun ihre große Schwester Marie ebenfalls mit ihren vier Kindern hier lebte. Nachvollziehbar, dass es unmöglich war, nun auch noch Grete mit ihrem Baby aufzunehmen. Umso dankbarer war sie, dass zumindest ihre kleine Ilse vorübergehend hier wohnen konnte. Das Babybett stand schon im Schlafraum neben dem großen Bett ihrer Eltern bereit.

      So eng es auch war – als sie kurze Zeit später alle zusammen bei einer Brotzeit im Wohnraum versammelt waren, spürte Grete eine tiefe innere Ruhe einkehren. Ihr Kind würde hier wohl behütet und mit viel Liebe aufwachsen. Sie war schon jetzt der Mittelpunkt der Familie, der Alt und Jung ein Lächeln ins Gesicht zauberte. Mit ihren leuchtend grünen Augen strahlte sie so eine Klarheit und Freude aus, dass sie im Nu die Herzen der ganzen Familie erobert hatte.

      Der Raum duftete nach frisch gebackenem Brot, reifem Käse und einem starken Kaffee. Die Kinder tranken Wasser oder Milch. Neben den eigenen Kindern kamen noch drei kleine Kinder der Arbeiter vom Hof dazu, deren Eltern beide um diese Tageszeit arbeiten mussten. Man half sich hier. Jeder war für den anderen da. Erst nachdem sie die gemeinsame Mahlzeit beendet hatten, kam auch Marie an der Tür herein und fiel ihrer kleinen Schwester in die Arme. Sie war zuständig für die Hauswirtschaftsarbeiten im Gutshaus. Im Wesentlichen musste sie kochen und die Kinder hüten, was ihrem von Grunde auf eher bequemen Wesen sehr entgegenkam. Für die härteren oder unangenehmen Arbeiten hatte sie die Unterstützung einer weiteren jungen Frau. Irgendwie hatte sie es mit ihrem Wesen geschafft, sich eine Art Vorarbeiterinnen-Status zu ergattern. Das kam auch ihrer Familie zugute, da sie hier und da schon mal etwas von den Vorräten mitbringen konnte. Heute war es eine Flasche Wein, die sie zur Feier des Tages mitnehmen durfte. Es hatte sich gelohnt, dass sie sich mit dem Essen besondere Mühe gegeben hatte. Heute Abend würden sie diesen köstlichen Tropfen gemeinsam genießen. Sie hatte noch eine Überraschung für ihre Schwester und konnte es kaum aushalten, bis zum Abend damit zu warten.

      Gemütlich saßen sie bei einer Tasse Kaffee zusammen, ehe ihr Vater wieder an die Arbeit musste und die jungen Frauen ihrer Mutter in der Küche halfen. »Leg doch die Kleine etwas hin, sie scheint müde zu sein.« Ihre Mutter hatte Recht. Ilse rieb sich mit ihrer kleinen Faust die Augen und gähnte. Also nahm Grete die Tasche mit ins Schlafzimmer und zog den Reißverschluss auf. Ganz oben lag die Decke, die man ihr netterweise aus dem Waisenhaus mitgegeben hatte. Sie legte Ilse in das Bettchen, in dem vorher schon alle ihre Cousins und Cousinen gelegen hatten und rechnete damit, dass die Kleine augenblicklich einschlafen würde. Grete wollte die Zeit nutzen und die wenigen Kleidungsstücke, die sie für ihren Liebling hatte, in den Schrank räumen. Doch im Handumdrehen hatte Ilse sich von der Decke befreit und strampelte aufgeregt mit den Beinen. Obwohl sie die Augen kaum aufhalten konnte, fand sie nicht in den Schlaf.

      »Ob sie Hunger hat?«, warf Marie ein, die im Türrahmen stand. »Ja, das könnte wirklich sein.« »Räum du nur weiter ein, ich mache ihr ein kleines Fläschchen fertig.« Grete nahm einige Stoffwindeln aus der Tasche und verstaute sie im Schrank. Dann kniete sie sich neben das Bettchen und streichelte Ilse sanft über den Bauch. »Hm, mein Liebling, gleich gibt es etwas für dich.« Schnell stand Marie mit der kleinen Flasche bereit und nahm Ilse wieder aus dem Bett. Sie machte es sich auf dem Bett ihrer Eltern gemütlich und bot Ilse die warme Milch an. Doch das Kind begann sofort lauthals zu schreien.

      »Vielleicht war die Aufregung etwas zu viel für sie. Lass mich mal machen.« Grete nahm ihrer Schwester erst das Kind und dann die Flasche ab. Doch wieder drehte Ilse das Gesicht zur Seite und verweigerte schreiend die angebotene Mahlzeit. »Sie scheint keinen Hunger zu haben. Dann lege ich sie wieder hin und wir lassen sie erst einmal schlafen.« Es dauerte allerdings fast eine Stunde, bis Ilse endlich, nach langem Weinen, in den Schlaf gefunden hatte. »Sicherlich spürt sie die ganze Anspannung.« Ja, das dachte Gretes Mutter auch. Sie war froh, die Zeit der Ruhe zu nutzen, um sich mit Grete unterhalten zu können, als auch Marie nach draußen gegangen war, um die Horde von Kindern zu beschäftigen. Ganz entgegen ihrer Gewohnheit setzte sich ihre Mutter auf das Bett, das im Wohnraum stand. Sie hatte einen kleinen Teller mit 4 Plätzchen auf das Kopfkissen gestellt und klopfte auf den Platz neben sich, um ihre jüngste Tochter einzuladen, sich zu ihr zu setzen.

      Gerne nahm Grete ihre Einladung an und kuschelte sich an die Seite ihrer Mutter. Die Decke, die am Fußende des Bettes lag, schlug sie beiden um die Schultern und stellte den Teller mit den Plätzchen auf den Schoß. Wortlos nahmen beide etwas vom Gebäck und saßen beieinander. Es war schön, den Duft ihrer Mutter einzuatmen und ihren warmen Arm zu spüren, der sie umschlang. Sie fühlte sich auf einmal selbst wie ein kleines Kind. Aber nicht hilflos, sondern behütet. Behütet im Schoß der Familie. Sicher. Geborgen.

      »Weißt du noch, wie du und Ida versucht habt, mich reinzulegen, wenn einer von euch etwas angestellt hatte?« Grete musste lachen. »Ich weiß gar nicht, was du meinst«, antwortete sie mit unschuldigem Blick. Ja, sie und Ida waren sich wirklich wie aus dem Gesicht geschnitten, so dass selbst ihre Eltern sie kaum auseinander halten konnten. Und erst Recht konnte es das Personal auf dem Hof nicht. Wenn eine von ihnen Mist gebaut hatte, so schworen beide, dass sie es gewesen seien. Manchmal wurden sie dann beide bestraft. Das war es ihnen wert. Aber oftmals war es den Erwachsenen einfach zu mühselig und sie ließen die ganze Sache im Sand verlaufen.

      »Verrätst du mir heute, wer von euch beiden damals heimlich Papas Geburtstagskuchen angeknabbert hat?« Ihre Mutter sah sie prüfend von der Seite an. »Na, ICH natürlich«, erwiderte Grete lachend. »Ja, dasselbe hat Ida auch gesagt.« Lächelnd schüttelte ihre Mutter den Kopf. »Ich bin froh, dass ihr so zusammen haltet und ich wünsche mir, dass das immer so bleibt. Egal, was in eurem Leben noch passiert. Blut ist dicker als Wasser. Vergiss das nie!« Grete nickte und lehnte ihren Kopf an Mutters Schulter.

      Nach einer Weile des Schweigens war Grete es, die das Wort ergriff. Sie berichtete ihrer Mutter von der Idee, in ihre Heimat zurückzukehren und sich eine Existenz aufzubauen. Diese wollte ihrer Tochter Mut machen, teilte ihr aber auch ihre Bedenken mit. Wie schwer es sein würde, etwas Geld anzusparen. Sie versprach jedoch, die Augen offen zu halten für eine Arbeit, die so gut bezahlt wäre, dass sie vorerst auch ohne Ludwig ihren Lebensunterhalt bestreiten könnte. Grete war bereit, hart dafür zu arbeiten, um sich etwas Geld beiseite zu legen. Sie war zuversichtlich und stark genug, dass sie einen Weg finden würde, um ihrer Familie nahe zu sein und selbst für ihre Tochter sorgen zu können.

      Nicht einmal eine Stunde war vergangen, da hörten sie Ilse nebenan weinen. Grete nahm sie aus dem Bettchen und unternahm einen weiteren Versuch, ihr die Flasche zu geben. Vergeblich. Schreiend drehte Ilse den Kopf beiseite. Aber sie musste doch inzwischen hungrig sein. Warum nur nahm sie die Flasche nicht an? Kurzerhand packte sie die Kleine in einen Kinderwagen und spazierte eine ganze Stunde durch die Natur an diesem immer noch warmen Sommernachmittag. Einige der Kinder vom Hof waren ihr gefolgt und begleiteten sie. Dieses kleine, rothaarige Kind sorgte schon jetzt für Aufsehen. Tatsächlich ließ sie sich etwas beruhigen und reagierte aufmerksam auf die Spielchen und Fratzen der Kinder.

      Zur Abendbrotzeit war sie zurück und Grete machte sich doch langsam Sorgen, da ihr Kind den ganzen Tag noch nichts getrunken hatte. Selbst