Pia Wunder

Hoffnungsschimmer in Trümmern - Eine Liebe in Zeiten des Krieges


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er selbst noch nicht schlafen gegangen war und auf sie wartete? Leise schloss sie die Tür auf und erschrak beim Quietschen der dicken Scharniere. Das war ihr bislang gar nicht aufgefallen. Erst jetzt, wo alles um sie herum totenstill war, glich es einem Schrei und sie erschrak.

      Regungslos blieb sie in der halb geöffneten Tür stehen. Es war still im Haus. Grete traute sich kaum, die Tür wieder zu schließen, doch ihr blieb keine Wahl. Fest hielt sie die Türklinke in der Hand und mit einem schnellen Ruck schob sie die Tür wieder zu. Wieder verharrte sie einen Augenblick. Dann drückte sie die Türklinke hinab und verschloss die Tür. Immer noch war kein Ton zu hören. Sie beschloss, die Lampe im Flur zu löschen und im Dunkeln den Weg in ihr Zimmer zu suchen. Hoffentlich lag nichts auf der Treppe, über das sie stolpern könnte. Aber die Befürchtung, Jakobsen durch den Lichtschein zu wecken, war größer als die Angst, im Dunkeln in ihr Zimmer zu gehen. Zwei der unzählig erscheinenden Holzstufen knarrten erbarmungslos. Jedes Mal blieb sie stehen und hoffte inständig, dass sie bald ungesehen in ihr Bett fallen konnte. Wenige Minuten später hatte sie es geschafft. Sie verzichtete auf die Abendtoilette und verkroch sich in ihre Kissen, nachdem sie die Zimmertür verschlossen hatte.

      ***

      Als Jakobsen sich ihr das erste Mal unsittlich von hinten näherte, ließ Grete vor Schreck den Porzellanteller aus der Hand fallen und stieß einen hellen Schrei aus. Diese Reaktion löste in ihm einen unvorhergesehenen Schock aus und da gleichzeitig die Klingel des Ladens ertönte, eilte er in sein Geschäft. Zu Gretes Glück kam noch am gleichen Tag seine Frau unverhofft aus dem Urlaub zurück. Ihre frühzeitige Ankunft passte Jakobsen gar nicht in seinen Plan. Darüber hinaus hatte sie Klaus bei Verwandten gelassen, damit dieser seine Ferien und sie selbst eine ungestörte Zeit mit ihrem Gatten verbringen konnte.

      Es begann eine ruhelose Zeit für Grete, in der sie immer befürchten musste, dass Jakobsen sein Ziel weiter verfolgte. Sie vermied es möglichst, allein in einem Raum mit ihrem Chef zu sein, was oft sehr schwierig war. Ihre freie Zeit verbrachte sie wenn irgend möglich nicht zu Hause. Sie suchte sich für die Wochenenden, die früher für Ilse reserviert waren, eine Nebentätigkeit. Die Gaststätte in der Nähe des Bahnhofs stellte die hübsche Frau gerne für die Bedienung der Gäste ein. Sie war fleißig und sehr freundlich. Das sicherte ihr zudem ein gutes Trinkgeld. Freiwillig blieb sie bis zum Schluss, half dabei, die Gläser zu spülen und den Boden zu wischen, obwohl es nicht zu ihren Aufgaben gehörte. Sie tat alles, um Jakobsen möglichst nie allein zu begegnen.

      Doch nicht immer ließ es sich vermeiden. Obwohl sie immer die stärkere der beiden Zwillinge gewesen war, wünschte sie sich in dieser Zeit, ihre Schwester würde ihr beistehen. Die Begegnungen waren oft eine Gratwanderung. Sie wollte sich nichts von ihrem Chef gefallen lassen, war aber andererseits unbedingt auf diese Stellung angewiesen. Wie sonst sollte sie das Geld, das sie in einer kleinen Schatulle auf dem Kleiderschrank aufbewahrte, verdienen. Die Zeiten waren nicht mehr so rosig. Die Gerüchte, dass die eigenen Männer an der östlichen Front die rote Armee nicht auf Dauer zurückhalten können, verdichteten sich. Niemand würde heute jemanden neu einstellen. Jeder musste sehen, wie er zurechtkam.

      Jakobsens Annäherungsversuche wurden eindringlicher, so dass er sich eines Tages nicht mehr zurückhielt, obwohl seine Frau mit Klaus nur für einen Einkauf das Haus verlassen hatte. Unverhofft stand er plötzlich hinter ihr und fasste ihr mit schnellem Griff unter den Rock. Erschrocken versuchte Grete, sich herumzudrehen, doch der kräftige Mann hatte sie mit einer Hand fest im Griff und schob sie gegen den Küchentisch. Mit der anderen Hand schob er den langen Rock nach oben und machte sich schnell an seiner Gürtelschnalle zu schaffen. Grete wehrte sich mit aller Gewalt und schaffte es, eine gusseiserne Pfanne zu greifen. Obwohl diese ihr sonst immer so schwer erschien, schaffte sie es, damit hinter sich zu schlagen. Leider jedoch, ohne ihn zu treffen. Geschickt nahm er ihren Arm und schlug damit auf den Tisch, so dass sie die Pfanne vor Schmerz loslassen musste.

      Diesen kurzen Augenblick der Ohnmacht nutzte Jakobsen, um hastig seinen Reißverschluss zu öffnen und seine Hose nur soweit wie nötig herunterzulassen. In ihrer ganzen Wut sammelte Grete noch einmal alle ihre Kräfte, um hinter sich zu schlagen. Bevor sie dazu kam, vernahm sie ein dumpfes Geräusch und spürte, wie der Mann hinter ihr zu Boden sank. Mit ihm fiel auch ihr Rock hinab. Sie wagte kaum, sich umzudrehen. Ihr Blick haftete noch immer auf dem Tisch. Langsam und voller Scham drehte sie den immer noch geneigten Kopf zur Seite und sah in das verbitterte Gesicht von Jakobsens Frau, die Grete wortlos mit einem Nicken aufforderte, sich zurückzuziehen.

      Selbstverständlich wusste die Hausherrin, dass Grete keine Schuld an diesem Vorfall traf. Es war schon vorher deutlich zu spüren, dass ihr Mann nur auf eine Gelegenheit wartete, zu seinem – wie er meinte – Recht zu kommen. Nur dem Zufall, dass sie ihre Geldbörse vergessen hatte und Frau Jakobsens kräftiger Schlaghand war es zu verdanken, dass Grete unbeschadet aus dieser Situation entkommen konnte. Er war mit einer Platzwunde am Hinterkopf davongekommen. Vor allem aber war er sich der ständigen Beobachtung seiner Frau nun sicher. Die Gefahr für Grete war zwar nun nicht mehr allgegenwärtig, doch die Stimmung im Haus war in jeder Hinsicht vergiftet und oft nur schwer zu ertragen.

      Es war ein Segen, dass Jakobsen in dieser Zeit einen Unfall hatte, bei dem er sich einen komplizierten Beckenbruch zuzog und eine ganze Weile im Krankenhaus bleiben musste. Grete war dankbar für dieses Geschenk des Himmels. Es machte ihr nichts aus, dass sie nun noch mehr Stunden arbeiten musste, da sie nun auch den Verkauf im Laden übernahm. Zu ihrer großen Freude kam in dieser Woche auch noch ein Paket aus Bernstein. Ihre Mutter hatte einen wunderschönen, warmen Pullover für die kalte Jahreszeit gestrickt. Obwohl die rote Wolle nicht sehr fein war, fühlte sich der Pulli wunderbar flauschig an. Doch richtig warm ums Herz wurde ihr erst, als sie den Brief ihrer Mutter öffnete, dem ein Foto ihrer kleinen Tochter beilag. Als sie die Zeilen las, konnte sie nicht verhindern, dass ihr die Tränen durchs Gesicht rannen.

      Ilse hatte ihre ersten Schritte gemacht und entwickelte sich zu einem wahren Sonnenschein. Grete las von dem riesigen Appetit ihres Kindes, das trotzdem kaum an Gewicht zunahm und weiterhin zierlich blieb. Auch ihre helle Haut hatte trotz des Sommers keine Farbe angenommen. Sie konnte sich ihr zartes, hübsches Mädchen bildlich vorstellen und lächelte. Gleichzeitig war sie traurig, dass sie die Entwicklung ihres Mädchens nicht mit erleben durfte.

      Diese Zerrissenheit begleitete Grete durch die folgenden Jahre. Nur einmal noch konnte sie ihren Eltern einen Besuch abstatten und ihre Tochter wiedersehen. Es war kurz nach ihrem zweiten Geburtstag. Grete konnte diese Gefühle kaum in Worte fassen. Obwohl das Kind seine Mutter so lange nicht gesehen hatte, lief Ilse ihr gleich auf dem Hof in die Arme. Grete ließ alles, was sie in der Hand hatte, auf der Stelle fallen, ging auf die Knie und hielt ihr Kind fest in den Armen. Für einen Augenblick löste sie die Umarmung, um ihrem Kind ins Gesicht zu sehen. Mit Sommersprossen auf der Nase und großen Augen lachte sie ihre Mutter an. Schnell drückte sie die Kleine wieder an sich und hätte sie am liebsten nicht mehr losgelassen. Das schönste Geschenk, das Ilse ihr an diesem Tag machte, war ein einziges Wort, das sie bislang noch nie aus dem Mund ihres geliebten Kindes gehört hatte: »Mami«. Ein Wunder, dass sie das überhaupt zu ihr sagte.

      Umso schlimmer war wieder einmal der Abschied. Denn auch dieser Besuch verging viel zu schnell. Grete übergab ihrer Mutter vor der Abreise ein Kuvert mit dem ersparten Geld und bat sie, es gut für sie aufzuheben. Sie traute Jakobsen nicht über den Weg und wollte nicht riskieren, ihr hart erarbeitetes Geld zu verlieren.

      Ida lebte und arbeitete immer noch in Stettin. Auch ihr schrieb Grete regelmäßig und sie tauschten sich vor allem über die bedrohliche Entwicklung an der Front aus. Mehr als einmal hatte Grete überlegt, ob sie zu ihren Eltern und vor allem zu ihrer Tochter ziehen sollte. Doch immer wieder machte ihre Mutter ihr klar, dass es unmöglich sei, für sie eine Stellung zu finden. Ihre Arbeit in der Ferne half ihrer Familie weitaus mehr. Also versuchte sie, so lange wie möglich in Posen auszuhalten.

      Ludwig machte ihr Hoffnung. Immer wieder kamen Briefe. Doch die Abstände wurden größer. Im August 1944 erhielt sie einen unförmigen Briefumschlag. Man sah ihm an, dass er außer einem Brief noch etwas anderes beinhalten musste. Aufgeregt versteckte Grete ihn in ihrer Arbeitsschürze, um ihn in einem unbeobachteten Moment zu öffnen. Sie wusste selbst nicht recht, warum sie so misstrauisch war. Die Stimmung in der ganzen Stadt schien