begann. Kaum war ich damit fertig, da saß ich auch schon zu Pferde, um noch den letzten Rest Tageslicht auszunutzen; trotzdem wurde ich von der Dunkelheit überrascht und mußte in einem Hause in der Nähe von Almond Water übernachten. Noch vor Tagesgrauen war ich wieder im Sattel, und die Edinburger Läden wurden eben aufgeschlossen, als ich bei West Bow zum Tor hineinrasselte und vor des Lord Staatsanwalts Haus mein dampfendes Pferd zügelte. In meinem Besitze befand sich eine schriftliche Anweisung an Doig, Mylords Privatsekretär, von dem man annahm, daß er in alle Geheimnisse eingeweiht wäre – ein würdiger, häßlicher kleiner Mann, ganz Fett, Schnupftabak und Selbstsicherheit. Ich fand ihn in dem gleichen Vorraum, in dem ich mit James More zusammengestoßen war, vor einem Pult, trotz der Morgenfrühe über und über mit Tabakspuren bekleckst. Meinen Zettel las er mit peinlicher Sorgfalt durch, gleich einem Kapitel aus der Bibel.
»Hm,« meinte er, »Ihr kommt ein wenig spät, Mr. Balfour. Der Vogel ist ausgeflogen – wir ließen ihn frei.« »Miß Drummond befindet sich in Freiheit?« rief ich. »Jawohl! Weshalb sollten wir sie behalten? Versteht Ihr mich? Wem wäre damit gedient, wenn wir um des Mädels willen ein Aufhebens machen?«
»Wo wird sie jetzt sein?« forschte ich.
»Weiß der liebe Himmel«, antwortete Doig mit einem Achselzucken. »Sie wird zu Lady Allardyce gegangen sein.«
»Höchstwahrscheinlich.«
»Dann gehe ich auch dorthin.«
»Aber Ihr werdet zuvor doch einen Bissen zu Euch nehmen?« »Keinen Bissen und keinen Tropfen! Ich trank in Ratho einen tüchtigen Trunk Milch.«
»Gut, gut«, meinte Doig. »Ihr könnt indes Euer Pferd und Euer Gepäck hier lassen; es scheint, wir müssen Euch beherbergen.« »Nein, nein,« entgegnete ich, »am heutigen Tage von allen Tagen des Jahres wären Schusters Rappen nicht die richtigen Rösser für mich.« Da Doig ziemlich breiten Dialekt redete, war ich unwillkürlich in eine Aussprache verfallen, weit gröber als die, derer ich mich gewöhnlich mit großer Sorgfalt befleißigte. Um so beschämter war ich, als hinter mir eine dritte Stimme einige Takte aus einer Ballade summte:
»Lauf, sattle mir mein tapferes Roß,
Heut gilt's, drum spute dich fein;
Will reiten über den Gatehope-Berg,
Besuchen die Liebste mein.«
Die junge Dame stand da im Morgennegligé, die Hände, wie abwehrend, in den Falten ihres Kleides vergraben. Trotzdem schien mir der Blick, mit dem sie mich betrachtete, nicht unfreundlich. »Mein ehrerbietigstes Kompliment, Miß Grant«, grüßte ich, mich verneigend. »Euch selber das gleiche«, antwortete sie und machte mir einen tiefen Knicks. »Gestattet mir, Euch an ein hausbackenes und altersgraues Sprichwort zu gemahnen: ›Durch Messen und Essen kam niemand noch zuschanden.‹ Die Messe kann ich Euch zwar nicht bieten, da wir alle gute Protestanten sind, aber das Essen möcht ich Euch dringend anempfehlen. Ferner müßte es mich wundernehmen, hätt ich nicht privatim für Euer Ohr einige Neuigkeiten, die den Aufenthalt hier lohnen dürften.« »Miß Grant,« sagte ich, »ich glaube, ich bin bereits etlicher munterer Worte wegen – die mir zugleich recht gütig dünkten – Euer Schuldner. Sie standen auf einem Papier ohne Unterschrift.«
»Ohne Unterschrift?« wiederholte sie mit drolligem, aber wunderbar schönem Ausdruck, wie jemand, der sich an etwas zu erinnern sucht. »Sonst müßte ich mich arg täuschen«, fuhr ich fort. »Doch uns bleibt ja noch Zeit genug, davon zu reden, da Euer Herr Vater so gütig ist, mich eine Zeitlang als Hausgenossen aufzunehmen; ›der Esel‹ bittet Euch daher, ihm dieses eine Mal die Freiheit zu gewähren.« »Ihr gebt Euch da einen harten Namen!«
»Mr. Doig und ich würden uns mit Freuden seitens Eurer geschickten Feder noch härtere gefallen lassen.« »Wieder einmal muß ich die Diskretion der Männer bewundern«, lautete die Antwort. »Aber macht, daß Ihr fortkommt, wenn Ihr wirklich nicht essen wollt. Um so früher seid Ihr zurück; die wilde Jagd ist doch umsonst. Macht, daß ihr fortkommt, Mr. David.« Und die Tür öffnend, fügte sie hinzu:
»Auf saß er auf sein wackeres Roß,
Fort ging's über Berg und Rain;
Nicht schonte er Peitsche und stachligen Sporn;
So jagt er zur Liebsten fein.«
Ich ließ mir das nicht zweimal sagen und machte Miß Grants Zitat auf dem Wege nach Dean alle Ehre. Die alte Lady Allardyce spazierte in Hut und Haube allein im Garten, gestützt auf einen schwarzen, mit Silber eingefaßten Spazierstock. Als ich vom Pferde stieg und mich ihr unter Bücklingen näherte, sah ich, daß ihr das Blut ins Gesicht schoß, und daß sie mit einer Miene, wie ich sie mir bei einer Kaiserin träumte, den Kopf in den Nacken warf. »Was führt Euch an meine Tür?« rief sie in schrillem, näselnden Ton. »Ich kann sie Euch nicht verschließen. Die Männer meines Hauses sind tot und begraben; ich habe weder Gatten noch Sohn, die sich an meiner Statt vor die Schwelle stellen könnten; jeder Bettler darf mich am Barte zupfen – ein Bart ist wirklich vorhanden – und das ist noch das Schlimmste an der Sache!« fügte sie halb zu sich selbst hinzu.
Ich war über diesen Empfang arg konsterniert, zumal die letzte Bemerkung, die von einer Verrückten zu stammen schien, machte mich sprachlos.
»Ich sehe, ich habe mir Eure Ungnade zugezogen Madame«, sagte ich. »Dennoch möchte ich so kühn sein, mich bei Euch nach Miß Drummond zu erkundigen.« Brennenden Auges blickte sie mich an, die Lippen in zwanzig Falten zusammengepreßt, zitternd auf ihren Stock gelehnt. »Das übersteigt doch alles!« stieß sie hervor. »Ihr kommt, um Euch nach ihr zu erkundigen? Wolle Gott, ich wüßte was von ihr!« »Sie ist nicht hier?« rief ich. Abermals warf die alte Dame den Kopf zurück, trat einen Schritt vor und fuhr mich so heftig an, daß ich schleunigst den Rückzug antrat.
»Schande über Eure lügnerische Zunge! Was? Ihr kommt, mich auszuhorchen? Im Gefängnis sitzt sie, wo Ihr sie hingebracht habt – mehr gibt es nicht zu sagen. Und von allen Wesen in Mannsbildkleidung mußtet gerade Ihr der Verräter sein! Ihr feiger Schuft! Wäre meinem Namen auch nur ein einziges Mannsbild verblieben, ich sorgte, daß Euch der Buckel verwamst würde, bis Ihr brülltet.« Mich dünkte es unratsam, länger an diesem Ort zu verweilen, da ich merkte, daß sie sich immer mehr in Zorn hineinredete. Ja, als ich nach dem Pfosten zurückwich, an dem mein Pferd angebunden war, folgte sie mir, und ich schäme mich nicht, einzugestehen, daß ich davonritt, einen Fuß im Steigbügel und mit dem anderen krampfhaft den zweiten Bügel suchend. Da ich nicht wußte, wohin ich mich mit meinen Nachforschungen noch wenden sollte, blieb mir nichts übrig, als nach dem Hause des Lord Staatsanwalts zurückzukehren. Ich wurde von den vier Damen sehr freundlich begrüßt, die alle beisammen saßen und sich bemüßigt fühlten, mit großer Ausführlichkeit und Langeweile für mich, alle Neuigkeiten zu erzählen, sowie alles, was es von Prestongrange zu berichten gab. Währenddessen beobachtete mich die junge Dame, die wieder allein zu sprechen ich mich von Herzen sehnte, mit verschmitztem Ausdruck und schien sich an meiner Ungeduld zu weiden. Endlich, als ich eine ganze Mahlzeit über mich hatte ergehen lassen und schon sehr nahe daran war, das Fräulein in Gegenwart ihrer Tante um eine Unterredung zu bitten, erhob sie sich, ging an das Notenpult, wählte ein Lied aus und sang in hohem Sopran: »Wer nicht nutzt die Gelegenheit, wartet vergeblich zu späterer Zeit«. Damit jedoch ließ ihre Strenge es bewenden; bald darauf führte sie mich unter irgendeinem Vorwand, den ich vergessen habe, in ihres Vaters Privatbibliothek. Dabei darf ich nicht unterlassen zu erwähnen, daß sie mit vollendeter Eleganz gekleidet war und ganz ungewöhnlich schön aussah.
»So, Mr. David, jetzt setzt Euch und laßt uns unter vier Augen miteinander plaudern. Ich habe Euch viel zu erzählen; außerdem scheine ich Euch in puncto Geschmack schweres Unrecht getan zu haben.«
»Inwiefern, Miß Grant? Ich hoffe, ich habe es niemals an schuldigem Respekt fehlen lassen.« »Darüber kann ich Euch beruhigen, Mr. David. Euer Respekt, ob gegenüber Euch selbst oder Euren armen Mitmenschen, war glücklicherweise stets exemplarisch. Ihr erhieltet von mir ein Billett?«
»Ich war so kühn, dies auf gewisse Indizien hin zu glauben; es wurde dankbar aufgenommen.«
»Es muß Euch ungeheuer überrascht haben. Aber wir wollen