Robert Louis Stevenson

Robert Louis Stevenson - Gesammelte Werke


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auf Baß gründlich auskosten lassen«, erwiderte er.

      »Dabei fällt mir ein; hier ist Euer Lordschaft Brief.«

      Und ich reichte ihm den Zettel mit der verstellten Handschrift. »Da war noch ein versiegelter Umschlag.«

      »Ich habe ihn nicht mehr. Er trug nur die Adresse und konnte keine Katze kompromittieren. Dagegen befindet sich die zweite Einlage noch in meinem Besitz, und ich möchte sie, mit Eurer Erlaubnis, behalten.« Ich glaube, er war unangenehm berührt, ohne mir jedoch zu widersprechen. »Morgen«, fuhr er fort, »wird unser Geschäft hier beendet sein, und ich reise nach Glasgow weiter. Ich werde mich sehr freuen, wenn Ihr mich begleitet, Mr. David.«

      »Mylord –«, hub ich an. »Ich leugne nicht, Ihr würdet mir damit einen Dienst erweisen«, unterbrach er mich. »Ich wünsche sogar, daß Ihr in Edinburgh in meinem Hause absteigt. Ihr habt an den Fräulein Grants sehr warme Freundinnen gefunden, sie werden entzückt sein, Euch bei sich zu haben. Wenn Ihr glaubt, ich wäre Euch nützlich gewesen, könnt Ihr Euch auf diese Art sehr leicht revanchieren und, statt zu verlieren, obendrein einigen Vorteil daraus ziehen. Nicht jeder junge Unbekannte wird durch den Kronanwalt in die Gesellschaft eingeführt.« Häufig genug (trotz unserer kurzen Bekanntschaft) hatte dieser Gentleman erreicht, daß mir der Kopf sich drehte; zweifellos brachte er auch jetzt einige Sekunden lang diese Wirkung zustande. Hier sah ich ihn wieder einmal die alte Fiktion aufrechterhalten, daß ich mich bei seinen Töchtern besonderer Gunst erfreue; dabei war die eine so freundlich gewesen, mich auszulachen, während die anderen beiden kaum die Gnade gehabt hatten, von meiner Existenz Notiz zu nehmen. Und jetzt sollte ich mit Mylord nach Glasgow reiten und in Edinburgh bei ihm wohnen, sollte unter seiner Protektion in die Gesellschaft eingeführt werden! Daß er so gutmütig war, mir zu verzeihen, war an sich schon wunderbar genug; daß er aber meine Bekanntschaft pflegen und mir dienen wollte, schien unfaßbar, und ich begann nach seinen Gründen zu forschen. Das eine war klar: wurde ich sein Gast, dann war jede Umkehr unmöglich; niemals konnte ich meine jetzigen Absichten bereuen und ein Verfahren gegen ihn einleiten. Außerdem – würde nicht mein Aufenthalt in seinem Hause dem Memorial die ganze Stoßkraft rauben? Die Beschwerde konnte nicht allzu ernst genommen werden, wenn die Person, der am meisten unrecht geschehen, der Gast des am stärksten inkriminierten Beamten war. Als ich das bedachte, konnte ich mich eines Lächelns nicht erwehren. »Das soll eine Art Aktion gegen das Memorial sein?« fragte ich. »Ihr seid schlau, Mr. David,« meinte er, »und habt nicht so ganz daneben geraten. Die betreffende Tatsache wird mir meine Verteidigung erleichtern. Vielleicht unterschätzt Ihr aber auch meine freundschaftlichen Gefühle, die wirklich vollkommen echt sind. Ich habe vor Euch Respekt, Mr. David, untermischt mit Angst«, fügte er lächelnd hinzu.

      »Ich bin mehr als bereit, ja begierig, Euren Wünschen entgegenzukommen«, sagte ich. »Ich habe die Absicht, selbst Jurist zu werden, und Eurer Lordschaft Protektion dürfte für mich unschätzbar sein; außerdem bin ich Euch selbst und Eurer Familie für die vielen Beweise von Interesse und Nachsicht aufrichtig dankbar. Die Schwierigkeit besteht nur darin: wir ziehen in einer bestimmten Sache an verschiedenen Strängen. Ihr sucht James Stuart zu henken, ich ihn zu retten. Insofern meine Begleitung Eurer Lordschaft Verteidigung erleichtert, stehe ich Eurer Lordschaft ganz zur Verfügung; sofern sie aber hilft, James Stuart zu henken, stehe ich vor einem unüberwindlichen Hindernis.« Ich glaube, er fluchte vor sich hin. »Ihr solltet entschieden Advokat werden; der Gerichtssaal ist der wahre Schauplatz für Eure Talente«, bemerkte er bitter und schwieg dann eine Weile. »Ich will Euch etwas sagen,« fuhr er fort, »es handelt sich nicht länger darum, für oder gegen James Stuart Partei zu ergreifen. James ist ein toter Mann; sein Leben ist gegeben und genommen – gekauft und verkauft (wenn Ihr wollt); kein Memorial kann ihm helfen – keine Abtrünnigkeit des treuen Mr. David ihm mehr schaden. Ob es nun so oder so ausgeht, es gibt kein Pardon für James Stuart: laßt Euch das gesagt sein! Es handelt sich jetzt nur noch um mich selbst: werde ich stehen oder fallen? Und ich leugne nicht, ich befinde mich in einiger Gefahr. Mag jedoch Mr. David Balfour gefälligst bedenken, weshalb! Nicht etwa, weil ich gegen James zu scharf vorgegangen bin; dafür bin ich meines Lohnes sicher. Nicht weil ich Mr. David auf einem Felsen gefangengehalten habe, obgleich man dem Kind natürlich diesen Namen geben wird; sondern weil ich nicht den bequemen, breiten Pfad erwählte und, wie man mir verschiedentlich nahelegte, Mr. David in sein Grab oder zum Galgen sandte. Daher der Skandal – daher dieses verdammte Memorial«, rief er, das Papier gegen sein Bein schlagend. »Meine Rücksicht gegen Euch hat mich in diese schwierige Lage gebracht. Ich möchte nun wissen, ob die Rücksicht auf Euer eigenes Gewissen zu groß ist, um Euch zu erlauben, daß Ihr mir wieder heraushelft?« Ohne Zweifel war an seinen Worten viel Wahres; war James nicht mehr zu helfen – was konnte natürlicher sein, als daß ich dem Manne vor mir, der mir selbst so oft geholfen hatte, und der mir gegenüber im nämlichen Augenblick eine vorbildliche Geduld zeigte, die Hand reichte? Außerdem war ich auf dem besten Wege, mein ewiges Mißtrauen und die daraus entstehende ablehnende Haltung nicht nur satt zu bekommen, nein, auch mich ihrer zu schämen.

      »Wenn Ihr mir Zeit und Ort angeben wollt, werde ich pünktlich zur Stelle sein, um Eurer Lordschaft aufzuwarten«, sagte ich. Er schüttelte mir die Hand. »Ich glaube sogar, meine jungen Damen haben gute Nachrichten für Euch«, waren seine Entlassungsworte.

      Ich verabschiedete mich, ungemein befriedigt von dem Frieden, den wir geschlossen hatten, aber immer noch mit leise unruhigem Gewissen; und rückblickend fragte ich mich trotz allem immer wieder, ob ich nicht doch ein wenig zu gutmütig gewesen sei. Allein die Tatsache ließ sich nicht leugnen: dieser Mann, der mein Vater hätte sein können, der ein tüchtiger Mann und großer Würdenträger war, hatte in der Stunde meiner Not seine Hand ausgestreckt, um mir zu helfen. Um so besser war ich in der Lage, den Rest des Abends zu genießen, den ich mit den Anwälten zusammen, zwar in unzweifelhaft guter Gesellschaft, aber unter überreichlichem Genuß von Punsch verbrachte; denn obwohl ich früh zu Bett ging, kann ich mich nicht mehr deutlich erinnern, wie ich dorthin gelangte.

      Am folgenden Tage hörte ich von ihrem Privatzimmer aus, wo niemand mich sehen konnte, die Richter das Urteil über James Stuart sprechen und verlesen. Ich hin ganz sicher, des Herzogs Worte richtig verstanden zu haben; und da jene berühmte Rede seither vielfach umstritten wurde, dürfte es angebracht sein, meine Version zu fixieren. Nach einer Anspielung auf das Jahr '45 redete das Oberhaupt der Campbells in seiner Eigenschaft als Lord Oberrichter den unglücklichen Stuart vor ihm mit folgenden Worten an: »Wäret Ihr in jener Rebellion erfolgreich gewesen, Ihr würdet vielleicht Recht sprechen, wo Ihr heute aus den Händen des Rechts das Urteil empfangt; wir, die wir heute Eure Richter sind, wären von einem Eurer Scheingerichte abgeurteilt worden; dann hättet Ihr Euch an dem Blute jenes Mannes oder Clans satt trinken können, gegen den Ihr einen Haß nährtet.«

      »Das heißt tatsächlich die Katze aus dem Sack lassen«, dachte ich. Dies war auch der allgemeine Eindruck. Man mußte sich wundern, zu sehen, wie die grünen Anwaltjungen jene Rede aufgriffen und verspotteten; wie kaum eine Mahlzeit vorbeigehen konnte, ohne daß irgend jemand die Worte einschmuggelte: »Dann hättet Ihr Euch satt trinken können.« Zahlreiche Augenblickslieder wurden gedichtet und fast alle wieder vergessen. Ich erinnere mich, das eine begann:

      » Von wem wollt Ihr trinken das Blut, ja das Blut?Ist's ein Name, sagt, ist es ein Clan?Oder ist's gar ein wilder Hochlandsmann,Von dem Ihr wollt trinken das Blut, ja das Blut

      Ein anderes wurde nach meiner alten Lieblingsmelodie »The House of Airlie« gesungen:

      » Es begab sich an dem Tag, da Argyle präsidierte,Daß man ihm einen Stuart zum Abendbrot servierte

      Und einer der Verse lautete:

      » Und auf stand der Herzog und sprach zu seinem Koch:Ich eracht es als mein heißestes Bestreben,Mir zu füllen den SchlauchUnd zu stopfen den BauchMit dem Blute der feindlichen Leben

      James wurde so offenkundig ermordet, als hätte der Herzog ihn mit seiner Jagdflinte niedergeknallt. Das alles wußte ich genau, aber andere wußten es nicht. Um so größer war die Empörung über gewisse skandalöse Einzelheiten, die im Verlauf des Prozesses durchsickerten; darunter an erster Stelle dieser Hieb des Vorsitzenden. Mit ihm wetteiferte die ausfallende