zu ziehen, sie nicht auch klugerweise für Euch behaltet. Doch Ihr wünscht vermutlich Näheres über die Angelegenheit zu hören. Ich habe zwei verschiedene Fassungen erhalten: die inoffizielle ist die ausführlichere und zugleich weit unterhaltsamer, da sie der munteren Feder meiner ältesten Tochter entstammt. ›Zur Zeit hat ein recht sauberes Schelmenstückchen die ganze Stadt in Aufruhr versetzt‹, schreibt sie, ›und, was die Sache noch anrüchiger macht, wenn es die guten Leute wüßten – die Spitzbübin ist eine Protegée Seiner Lordschaft, meines Herrn Papas. Ich bin überzeugt, Euer Herz ist (abgesehen von allem andern) allzusehr eins mit Eurer Pflicht, als daß Ihr der »Grauen Augen« vergessen hättet. Was tut nun das Mädchen! Schafft sich einen breitrandigen Hut mit heruntergeschlagenen Ohrenklappen, einen langen, zottigen Männermantel und eine stattliche Krawatte an, schürzt sich die Röcke hoch bis Gott weiß wohin, zieht sich zwei Paar Gamaschen über die Beine und marschiert, ein Paar geflickter Nagelschuhe in der Hand, gen's Schloß! Dort gibt sie sich aus als einen Schuhmacher in Diensten von James More und wird in seine Zelle gelassen, wobei der Herr Leutnant (der ein recht scherzfroher Mann zu sein scheint) sich mit seinen Kerls über des Schusters Paletot amüsieret. Bald darauf hört man drinnen Streit, zudem Lärm von Hieben. Heraus fliegt der Schuster mit flatternden Rockschößen, die Ohrenklappen fest ums Gesicht gezogen, und Leutnant und Soldaten lachen hinter ihm drein. Sie lachten nicht ganz so herzhaft, als sie das nächstemal die Zelle inspizierten und niemanden dort fanden als ein großes, hübsches, grauäugiges Mädchen in Frauenzimmerkleidern! Was nun den Schuster anbetrifft, so ist er längst über alle Berge, und es heißt, unser armes Schottland müsse sich ohne ihn trösten. Ich habe in jener Nacht öffentlich auf Catrionas Wohl getrunken. Wahrhaftig, die ganze Stadt bewundert sie; ich glaube, die Herren Galans würden Stücke ihres Strumpfbandes im Knopfloch tragen, könnten sie nur etliche bekommen. Ich hätte sie auch im Gefängnis besucht, wäre mir nicht rechtzeitig eingefallen, daß ich Papas Tochter bin. So schrieb ich ihr statt dessen ein Billett, das ich dem treuen Doig anvertraute, und ich hoffe, Ihr werdet zugeben, daß ich, wenn nötig, diplomatisch sein kann. Derselbe treue Esel soll auch dieses Schreiben zusammen mit Briefen der klugen und gescheiten Leute per Eilpost weiter befördern, so daß Ihr Hans Narr in Gesellschaft Salomos reden hören könnt. A propos Esel! Benachrichtigt bitte auch David Balfour! Ich wollte, ich sähe sein Gesicht, wenn er von der verzwickten Lage eines langbeinigen Mädchens hört, geschweige denn von der frivolen Dreistigkeit Eurer zärtlichen Tochter und seiner respektvollen Freundin!‹ So unterschreibt sich meine Schelmin«, fügte Prestongrange hinzu. »Ihr seht also selbst, Mr. David, ich habe vollkommen recht, wenn ich behaupte, daß meine Tochter Euch mit wohlgeneigter Munterkeit betrachtet.« »Der Esel läßt sich vielmals bedanken«, sagte ich.
»War die Sache nicht scharmant arrangiert?« fuhr er fort. »Hat dieses Hochlandsmädchen nicht etwas von einer Heldin?« »Ich wußte von jeher, sie hatte ein großes Herz,« sagte ich, »und ich wette, sie hat nichts erraten. Pardon – das heißt, sich auf verbotenes Gebiet wagen.« »Ich bürge dafür, daß sie nichts ahnt«, erwiderte er ganz offen. »Ich wette, sie glaubte, damit König George einen Schlag ins Gesicht zu versetzen.«
Erinnerungen an Catriona und der Gedanke an ihr Gefangensein griffen mir seltsam ans Herz. Es war klar, selbst Prestongrange bewunderte sie, ja konnte sich in Erinnerung an ihr Verhalten eines Lächelns nicht erwehren. Was nun gar Miß Grant betraf, so machte sie trotz ihrer peinlichen Spottlust kein Hehl aus ihrer ausdrücklichen Bewunderung. Da packte mich eine Art Feuer. »Ich bin nicht Eurer Lordschaft Tochter«, hub ich an.
»Das weiß ich!« unterbrach er mich lächelnd.
»Ich rede wie ein Narr – vielmehr habe ich falsch angefangen. Ohne Zweifel wäre es von Miß Grant unklug, sie im Gefängnis zu besuchen; dagegen gälte ich, meiner Meinung nach, nur als ein lauer Freund, wenn ich nicht sofort zu ihr eilte.«
»O, Mr. David, ich dachte, Ihr und ich hätten einen Handel abgeschlossen?« »Mylord, als ich auf jenen Handel einging, war ich zwar recht sehr gerührt von Eurer Güte, gleichzeitig jedoch unleugbar von persönlichen Interessen bewogen. Selbstsucht lebte in meinem Herzen; jetzt schäme ich mich ihrer. Möglich, daß die Behauptung, dieser lästige David Balfour sei Eurer Lordschaft Freund und Hausgenosse, sich mit Eurer Sicherheit reimt. Haltet sie also aufrecht, ich werde Euch niemals widersprechen. Doch was Eure Gunst betrifft, so gebe ich sie hiermit ungeteilt zurück. Ich bitte nur um das eine – laßt mich gehen und gebt mir einen Paß, daß ich sie im Gefängnis besuchen darf.«
Er warf mir einen harten Blick zu. »Ihr zäumt, wie es scheint, das Pferd beim Schwanze auf. Was ich Euch gewährte, war ein Teil meiner Zuneigung, und Eure undankbare Natur scheint das nicht bemerkt zu haben. Meine Gunst jedoch ist Euch weder gewährt noch (um präzis zu sein) Euch angeboten worden – vorläufig.« Er schwieg einen Augenblick. »Ich warne Euch, Ihr kennt Euch selbst nicht«, fügte er hinzu. »Die Jugend ist vorschnell, Ihr werdet in einem Jahr über das alles anders denken.«
»Ich möchte aber zu dieser Art Jugend gehören!« rief ich. »Ich habe gar zuviel von der anderen Partei in Gestalt der jungen Advokaten gesehen, die Eure Lordschaft mit Schmeichelei umgeben und sich sogar die Mühe machen, mir zu schmeicheln. Ja, ich habe das Gleiche auch bei den Alten entdeckt. Sie jagen alle bestimmten Zwecken nach – alle, die ganze Sippschaft! Das ist der Grund, weswegen ich Eurer Lordschaft Zuneigung anzweifle. Weshalb sollte ich annehmen, daß Ihr mich mögt? Ihr sagtet mir im Gegenteil selbst, Ihr verfolgtet dabei einen Zweck!« Ich hielt inne, verwirrt, daß ich mich so weit hatte hinreißen lassen; er betrachtete mich derweil mit unergründlichem Ausdruck. »Mylord, ich bitte Euch um Verzeihung. In meinem Maul steckt nur eine grobe Bauernzunge. Ich meine, es wäre nicht mehr als anständig, wenn ich die mir befreundete Dame in der Gefangenschaft besuchte; aber ich verdanke Euch mein Leben – das werde ich Euch nie vergessen. Und wenn es Eurer Lordschaft Wohl befiehlt – so bleibe ich. Das verlangt die bloße Dankbarkeit.« »Dieses Resultat hätte sich mit geringerem Wortaufwand erreichen lassen«, bemerkte Prestongrange grimmig. »Es ist leicht und mitunter auch edelmütig, mit einem schlichten, schottischen ›Ja‹ zu antworten.« »Ah, Mylord, ich glaube, Ihr habt mich nicht ganz verstanden!« rief ich. »Um Euretwillen, um des Lebens willen, das ich Euch schulde, und um des Wohlwollens willen, das Ihr mir, wie Ihr sagt, entgegenbringt – gebe ich meine Zustimmung; nicht etwa, weil Gutes daraus für mich entstehen könnte. Wenn ich beiseite trete, während dieses junge Mädchen in Not ist, wird es durchaus nicht mein Vorteil sein; ich werde im Gegenteil daran verlieren, niemals gewinnen. Lieber scheiterte ich mit Mann und Maus, als auf solcher Grundlage weiterbauen.«
Einen Augenblick blickte er ernst drein, dann lächelte er. »Ihr erinnert mich an den Mann mit der langen Nase«, sagte er. »Wenn Ihr durchs Fernrohr den Mond betrachtetet, würdet Ihr auch nur David Balfour sehen! Aber Ihr sollt Euren Willen haben. Ich will nur noch einen einzigen Dienst von Euch erbitten, dann seid Ihr frei. Meine Schreiber sind übermäßig beschäftigt; seid so gut, mir diese wenigen Seiten zu kopieren«, und er kramte ostentativ zwischen mächtigen Manuskriptrollen ... »Ist das geschehen, dann wünsche ich Euch gute Reise! Gott verhüte, daß ich mich mit Mr. Davids Gewissen belaste! Wenn Ihr jedoch ein Teil davon (so en passant) wegwürfet – Ihr würdet sehen, Ihr säßet weit leichter zu Pferde.« »Der Ritt ginge vielleicht nicht ganz in der gleichen Richtung weiter, Mylord!« »Ihr sollt wahrhaftig das letzte Wort haben!« rief er wohlgelaunt. Er hatte auch in der Tat einigen Grund zu dieser Laune, da er inzwischen das Mittel zur Erreichung seines Zieles entdeckt hatte. Um das Gewicht des Memorials zu verringern und eine plausible Antwort bei der Hand zu haben, wünschte er, daß ich öffentlich in der Rolle seines vertrauten Freundes aufträte. Wenn ich jedoch mit der gleichen Öffentlichkeit Catriona im Gefängnis besuchte, würde die Welt nicht säumen, ihre eigenen Schlüsse zu ziehen, und die wahre Bewandtnis von James Mores Flucht mußte allen klar werden. Das war das kleine Problem, das ich ihm unversehens zu lösen gegeben und auf das er so rasch die Antwort gefunden hatte. Ich sollte in Glasgow durch die Kopierarbeit festgehalten werden, die ich aus reinem äußeren Anstand nicht ausschlagen konnte; während ich so beschäftigt war, konnte er sich im Stillen Catrionas entledigen. Ich schäme mich, so etwas von diesem Manne zu schreiben, der mich derart mit Wohltaten überhäufte. Er war gütig zu mir wie der gütigste Vater; dennoch dünkte er mir stets so falsch wie eine gesprungene Glocke.
Neunzehntes Kapitel Ich bin viel