Autos. Die Scheiben spiegelten sich in der gleißenden Sonne. Marie suchte sich einen Parkplatz. Leider fand sie wieder nur einen Parkplatz ohne Schatten, der zudem ein ganzes Stück vom Eingang entfernt lag. Wenn sie etwas hasste, dann bei so einer Hitze länger zu laufen. Aber was soll’s, dachte sie und folgte den Hinweispfeilen zum Eingang des Stadions.
Der Parkplatz war riesengroß und Mengen an Menschen liefen mit ihr in die gleiche Richtung. So viele Pferdetrailer wie hier standen, hatte Marie noch nie im Leben gesehen. Sie sah, dass die Pferde und Cowboys hinter dem Stadion waren, dort gab es umzäunte Weiden für Pferde und Rinder. Zwischen all dem Treiben schlenderten die Besucher herum und dazwischen erkannte Marie die Reiter. Sie ging zunächst in die Arena und sah zu, wie einer der Cowboys eine Kuh einfing, sie zu Boden warf und dann wieder freiließ. Jetzt verkündete ein Sprecher eine Pause. Marie sah sich um und beschloss, hinter das Stadion zu den Pferden zu gehen. Pferde waren zwar nicht ihre große Leidenschaft, aber sie war doch sehr neugierig auf die Tiere und die Cowboys. In der Sonne auf die nächste Vorführung zu warten, hatte sie jedenfalls keine Lust.
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Pauls Laune war an diesem Tag nicht die beste. Sharadon hatte ihn den ganzen gestrigen Abend mit dem Rodeoball genervt. Hoffentlich lässt sie mich heute in Ruhe, dachte er missgelaunt.
Er liebte dieses jährlich stattfindende Rodeo. Es wurde von seiner Familie für das gesamte Tal ausgerichtet und fand auf dem Gelände der McGreggan-Ranch statt. Inzwischen war das sogenannte Stadion fest gebaut und nicht wie zu früheren Zeiten ein festgestampfter Platz. Das Stadion war umrahmt von einem großen Besucherparkplatz, der aber ansonsten Weideland der Ranch war. Die Korrals und die große Scheune auf dem Platz dienten ebenfalls der Ranch. Heute sollte Paul den schwarzen Mustang reiten. Dieser war wild und hatte einen ungebärdigen Drang nach Freiheit. Aber eigentlich war das Pferd viel zu schade, um in diesem Rodeo aufzutreten. Er hatte auf das Pferd bereits eine Kaufoption abgegeben, um es nach dem Rodeo zu erwerben und zuzureiten. Der Hengst wird mit dem entsprechenden Training sicher ein sehr gutes Rennpferd sein. Es hatte sehr viel Potential und Paul, als ausgesprochen guter Reiter und Züchter, hatte das sofort erkannt. Er hoffte, dass sich das Pferd nicht verletzen würde.
Sein jüngster Bruder Sean lehnte an der Holzwand der Scheune und unterhielt sich mit den Beringer-Schwestern. Paul hörte das Lachen und Kichern der Jüngsten, Jessie-Blue. Alle drei Schwestern warfen immer wieder Blicke in Pauls Richtung. Er war zweifelsohne sehr attraktiv: Über einen Meter fünfundachtzig groß und über dem muskulösen Oberkörper spannte sich das dunkelblau karierte Hemd und die Jeans saß genau so, wie sie sitzen musste. Paul hatte schwarzes, dichtes Haar, das durch zwei Haarwirbel an der Stirn und auf dem Hinterkopf wie Draht wirkte. Seine Augen leuchteten in einem intensiven Blau und blickten interessiert auf das Treiben um sich herum. Er hatte freundliche Augen und schien immer zu lächeln. Lachfältchen umgaben diese blauen Augen, die den Betrachter an die Ozeane der Welt erinnerten. Paul war jetzt gerade sechsunddreißig Jahre alt geworden und auch wenn sein Vater ihn mindestens einmal die Woche auf Sharadon, die hübsche älteste Tochter von Charles Beringer, hinwies, dachte er noch nicht daran zu heiraten.
Tatsächlich ging Paul schon eine ganze Weile mit Sharadon. Dies erschöpfte sich zwar auf gemeinsame Reitausflüge, das übliche Biertrinken und natürlich den Sex. Sharadon Beringer war eine Schönheit, ein bisschen biestig, schlank und mit langen goldblonden, lockigen Haaren. Ihr Haar war wie auch bei ihren Schwestern von Natur aus blond und hatte einen eigenwilligen Goldton. Sharadons Augen waren smaragdgrün mit wundervoll geschwungenen Augenbrauen. Sie war das Ebenbild ihrer verstorbenen Mutter Susan Beringer. Für die Bewohner des Tals stand fest, dass es wohl bald eine Hochzeit geben würde. Alle warteten auf den Tag, an dem sich der Sohn des reichsten und mächtigsten Ranchers mit der Tochter des zweitreichsten Ranchers im Tal verloben würde. Auch jetzt blickte Sharadon zu ihrem Liebhaber. Sie kicherte nicht. Mit ihren neunundzwanzig Jahren fühlte sie sich auch entschieden zu alt, bei Seans immer gleichen Witzen so zu kichern wie ihre jüngste Schwester Jessie. Jessie-Blue war sechzehn und trug ihre blonden Haare unter einem Stetson zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sicher, auch sie schaute sehnsuchtsvoll zu Paul hinüber, den sie sehr bewunderte.
Sharadon hoffte, dass sie sich nach dem Rodeo noch mit Paul treffen konnte. Besonders deshalb, weil sie ihn noch einmal fragen wollte, ob er nicht doch mit ihr als seine Begleitung zum Rodeoball gehen möchte. Bisher hatte Paul sich überhaupt noch nicht geäußert, ob er gedachte, dorthin zu gehen. Immer, wenn sie dieses Thema ansprach, schwieg er nur unwillig und Sharadon hoffte inständig, ihn überreden zu können, dort mit ihr zu erscheinen. Der Ball war das gesellschaftliche Ereignis im Tal und sie wusste nur zu gut, dass das ganze Tal glaubte, heute Abend würde eine Verlobung verkündet, denn sie selbst hoffte es inzwischen ganz genau so. Sharadon wusste, dass sie im Tal keine Konkurrentin um Pauls Liebe hatte. Aber warum erklärte er sich nicht? Sicher, dass sie so richtig in Paul McGreggan verliebt war, konnte sie nicht behaupten, aber er sah verdammt gut aus und war der absolut begehrteste Junggeselle. Seine Familie war sagenhaft reich und alle guten Gründe sprachen dafür, Mrs. Paul McGreggan zu werden. Sollte die Ehe mit Paul doch einmal langweilig werden, konnte sie ja auf Reisen gehen. So wie ihre Mutter es von Zeit zu Zeit gemacht hatte, bevor sie starb. Aber dazu müsste Paul sie, Sharadon, erst einmal heiraten.
Da die Witze und Gespräche mit Sean und ihren Schwestern sie langweilten, sah sie, an diesem Punkt ihrer Betrachtungen angekommen, in Pauls Richtung. Dieser betrachtete aufmerksam den schwarzen Mustang. Irgendwie war das Pferd genauso wild wie Paul. Sie passten gut zusammen. Sharadon, die mit Pferden genauso wie alle anderen hier groß geworden war, machte sich nicht allzu viel aus ihnen. Jessie-Blue und Sabrina, die mittlere der drei Schwestern, liebten ihre Pferde dafür umso mehr und beide Schwestern waren ausgezeichnete Reiterinnen. Auf ihre Weise war Sharadon das auch, aber nicht mit so viel Herzblut. Wenn sie Zeit hatte, fuhr sie lieber nach Helena einkaufen oder flog an die Westküste nach San Francisco oder Los Angeles. Manchmal kam auch Paul mit, er entfernte sich aber eher selten aus dem Tal. Das lag auch daran, dass er sehr viel Arbeit auf der Ranch hatte. Sharadon schlenderte zu Paul hinüber. „Hey, was macht der Schwarze?“
„Ich glaube eigentlich, dass er zu schade für das Rodeo ist, aber ich werde ihn trotzdem gleich reiten. Er ist gemeldet und es ist nicht mehr zu ändern“.
„Nun, so schlimm ist es ja auch nicht, dass er geritten wird. Du bist ein guter Reiter. Sonst lass ihn von Jessie reiten. Du weißt ja, dass sie so ziemlich die beste Reiterin im Tal ist.“
„Wenn ich eine Sechzehnjährige auf dieses Pferd beim Rodeo ließe, müsste ich mich schämen. Sharadon, ich hoffe, dass das nur ein Witz gewesen ist“.
„Übrigens Paul, ich habe mir für heute Abend ein traumhaft schönes Kleid gekauft. Hast du es dir überlegt?“
„Was überlegt? Du weißt doch, dass ich mir aus diesen Veranstaltungen nicht allzu viel mache. Aber, wie du weißt, lege ich dir keine Steine in den Weg, dorthin zu gehen.“
„Ohne Begleitung!? Wie stellst du dir das vor? Jeder im Tal weiß, dass wir zusammen sind. Wenn ich allein dort auftauche, möchte ich nicht das Getuschel der Leute hören. Wirklich Paul, du bist unmöglich!“
„Sharadon, ich will jetzt nicht mit dir streiten. Du kennst meine Auffassung. Und die Leute im Tal haben mich noch nie interessiert.“
Paul wandte sich wieder dem Pferd zu. Sharadon wusste, wann sie besser nicht mehr mit ihm diskutieren sollte und dachte darüber nach, dieses dumme Rodeo überhaupt zu verlassen. Aber auf den Ball musste sie unbedingt gehen. Sie überlegte, ob sie nicht John Williams fragen sollte. John war ein zuverlässiger Verehrer, der sicher nicht nein sagen würde. Das war zumindest eine Alternative und besser, als gar nicht auf den Ball zu gehen. Vielleicht könnte sie Paul damit so eifersüchtig machen, dass die von ihr ersehnte Verlobung etwas beschleunigt wurde. Paul war aber auch ein Dickkopf! Wahrscheinlich war es falsch gewesen, ihn jetzt vor seinem Auftritt zu fragen. Er schien ohnehin nicht besonders gut gelaunt zu sein.
Sharadon blickte sich um, ob sie irgendwo in der Nähe John sah. Ach, tatsächlich, da war John an der Scheune und mit seinem Pferd beschäftigt. Sabrina, Sharadons jüngere, siebenundzwanzig Jahre alte Schwester, unterhielt sich mit ihm. Was Sabrina nur an John fand? So groß, stämmig und rothaarig