Eric Scherer

Block 4.2


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      Block 4.2

      Roman

      Eric Scherer

      ISBN: 978-3-00-061467-5

      Titel: Block 4.2

      Umschlaggestaltung: Karina Wilinski

      Korrektorat: Gabriele Koske

      © 2013 by Eric Scherer, Mainz

      Alle Rechte vorbehalten

       www.blogvierzwei.de

      „Unsere Legenden wollen wir bewahren. Sie sind für uns wahr geworden.“

      Aus: „Der Mann, der Liberty Valance erschoss“, Spielfilm, USA, 1962

      Inhalt

       Und es begab sich aber zu der Zeit, als de Betze in tiefer Vergessenheit zu versinken drohte

       Recht und Pizza

       Gíslason

       Barkero

       Hristov

       Dusek

       De Fritz

       Marcello

      Und es begab sich aber zu der Zeit, als de Betze in tiefer Vergessenheit versinken drohte …

      Eigentlich folgt Albin keinem klaren Gedanken. Die Scheinwerfer vor ihm schießen so schnell auf ihn zu, dass seine Hände das Lenkrad nur noch instinktiv nach links reißen können. Eine reelle Chance, den Libero auf der Fahrbahn zu halten, hat er nicht. Selbst wenn Albin reaktionsschnell genug für ein Ausweichmanöver wäre, wie es der berühmte Elchtest vorsieht – das Steuer also blitzschnell nach links und dann wieder nach rechts ziehen – der Libero könnte den Fliehkräften niemals widerstehen, er würde sofort umkippen. Denn an Fahrakrobatik dieser Art hatte der Japaner nicht gedacht, als er diesen rollenden Blechkasten baute.

      Was also bleibt Albin anderes übrig auf dieser schmalen Kreisstraße, wenn der entgegenkommende Fahrer sie für sich allein beansprucht? Er hat gar keine andere Wahl: Er sucht den Weg ins Feld, um einen frontalen Zusammenstoß zu vermeiden.

      Direkt neben der Fahrbahn führt eine Böschung ins Grüne hinab. Sie ist nicht sehr steil, ein niedrigeres Fahrzeug als ihres müsste in dem flachen Winkel, in dem Albin den Wagen den Hang entlang steuert, nicht unbedingt zur Seite kippen, der Libero aber, mit seiner Dachhöhe von fast zwei Metern bei nicht einmal anderthalb Metern Breite, kann gar nicht anders. Die beiden Räder auf der Beifahrerseite heben sich in die Höhe.

      Wenn der Crash sich nicht vermeiden lässt, einfach lockermachen, haben sie Albin mal beigebracht. Also macht er sich locker, obwohl er immer noch keinem klaren Gedanken folgt, auch das ist reiner Instinkt. Doch er macht das gut, ist jedenfalls sein Eindruck, vielleicht ist ja ein Actionheld an ihm verloren gegangen. So einer, der sich nach einer aufregenden Verfolgungsjagd drei Mal mit dem Auto überschlägt, dann aber unversehrt aus dem Wagen springt und noch im Flug ein halbes Dutzend seiner Verfolger abknallt.

      Der Libero schießt diagonal in die Böschung und gerät schon nach wenigen Metern so sehr in Schräglage, dass er zur Seite kippt, ohne dass Albin es verhindern kann. Nachdem er auf die Fahrerseite zum Liegen gekommen ist, rutscht er weiter, und in dem Maße, wie sein Vorwärtsdrang abebbt, beginnt er eine Kurve nach unten zu beschreiben. Unter ihm ist frisches, grünes, hohes Gras, das zudem feucht ist, da gleitet es sich gut. Zum Stillstand kommt der Wagen erst am Fuß der Böschung.

      Verdammte Scheiße.

      Albin muss sich erst einmal sammeln. In sich hineinhorchen. Sein Gurt hat ihn gehalten, er spürt keinen Schmerz, nichts ist gesplittert und hat ihn geschnitten, kein Blut. Nichts hat ihm Beine oder Brustkorb zusammengequetscht. Er kann sämtliche Gliedmaßen bewegen. Er ist unverletzt. Hat Albin gut gemacht, vor allem aber auch der Libero. Ist halt ein Profi.

      Wieso eigentlich hat sich der blöde Airbag nicht aufgeblasen? Vermutlich, weil der Wagen keinen Stoß von vorne bekam. Ist aber eigentlich auch egal. Eigentlich sogar besser so. So ist es doch viel leichter, sich aus dem Wagen zu zwängen.

      „Anton“, ruft Albin. „Anton?“

      Früher hat Albin Anton sogar mal Papa genannt. Obwohl Anton nur sein Schwiegervater ist. Aber es hatte sich irgendwie gut angefühlt, da Albins Papa doch schon lange nicht mehr da ist. Irgendwann aber hatte sich das mit dem Papa wieder erledigt, warum, weiß Albin auch nicht mehr so genau. Nach einer gewissen Zeit hörte sich Anton einfach wieder richtiger an.

      „Anton?“, fragt er noch mal. „Alles in Ordnung?“

      Albin versucht, über seine rechte Schulter zu schauen, erkennt aber nichts. Tiefschwarze Nacht da hintendrin. Immerhin ist ein verstörtes Grummeln zu hören. Hört sich aber nicht nach Schmerzen an, das ist doch schon mal gut.

      Albin tastet nach dem Arm seines Beifahrers.

      „Alles klar, Champ?“

      Noch mal lauter: „Champ? Alles klar?“ Albin tastet sich vom Arm zum Brustkorb des Freundes.

      „Jo“, antwortet der Champ endlich. Genau genommen ist nur der Vokal zu hören. Das J muss man sich dazudenken, um das „Jo“ zu verstehen. Typisch Champ halt. Was reden angeht, ist er Minimalist.

      „Kriegst du die Tür auf? Kommst du raus?“

      Denn andernfalls wird’s schwierig mit dem Aussteigen. Denn sie können ja nur auf der Beifahrerseite raus. Und die befindet sich jetzt über ihnen.

      Albin hört, wie der Champ die Tür entriegelt und sie aufstößt. Sie schwingt auf und schlägt wieder zu. Immerhin, sie funktioniert. Der Champ öffnet seinen Sicherheitsgurt, stößt die Tür ein zweites Mal auf, hält sie diesmal offen und zieht sich nach oben. Die Mittelkonsole benutzt er als Tritt. Das Klettern fällt ihm erstaunlich leicht, als sei er schon aus vielen Unfallwagen gekrochen ... Ist er vermutlich nicht, dafür aber immer noch gut in Form. Hat fast noch sein altes Kampfgewicht. Kein Gramm Fett.

      Albin hat da schon mehr Schwierigkeiten. Okay, er muss sich auch aus der tieferen Position in die Höhe schaffen. Aber einhundertzehn Kilo wollen erst einmal quer durch so einen Libero gewuchtet werden. Albin benutzt die Handbremse als Tritt, die sich dabei leicht verbiegt.

      Oben angekommen, holt Albin erst einmal tief Luft. Riecht das frische Grün der feuchten Wiese, auf der sie gelandet sind. Der Nachthimmel bedeckt die Szene wie der weite, dunkle Mantel eines Zauberers, auf dem kleine goldene Punkte leuchten. Keine zwanzig Meter von ihnen entfernt erhebt sich der tiefe schwarze Wald, verschlossen und stumm. Nicht einmal seine Wipfel rauschen.

      Auch von der Straße her ist nichts mehr zu hören.

      Der andere ist einfach verschwunden. Einfach weitergerast. Auf und davon. Als hätte er nicht einmal mitbekommen, dass Albin seinen Minibus von der Straße reißen musste, um nicht frontal in ihn zu krachen. Drecksack. Blöd und blind. Und besoffen vermutlich. Bestimmt einer von diesen jungen Burschen, die sich jeden Samstagabend die Kutte volllaufen lassen und dann gegen sich selbst Rennen fahren in ihrem scheiß Dreier-BMW oder was auch immer. Vielleicht ist der Kerl auch nicht allein gewesen. Hatte ’ne Büchs neben sich, vor der er den coolen Rennfahrer raushängen lassen, ihr zeigen wollte, dass Eiswasser statt Blut in seinen Adern fließt. Ich fahr nicht zur Seite, niemals, die anderen sollen Platz machen, sind doch alles Schisshasen … Dummes Arschloch.

      Oder