hat, und sie wird verkünden, dass er Anton nicht nur zu diesem Spiel nicht, sondern nie mehr mitnehmen werde uff de Betze. Albin wird sich natürlich dagegen wehren, wird argumentieren, dass sie damit ja Anton bestrafe und nicht ihn, doch sie wird dagegenhalten, dass Anton sich das Spiel ja auf Sky angucken könne, denn schließlich bezahlten sie für dieses scheiß Pay TV … Menschen wie Heidrun begreifen es eben nicht und werden es nie begreifen: In der Glotze guckt man, wenn überhaupt, nur Auswärtsspiele. Wenn de Betze uffem Betze spielt, hat man uffem Betze zu sein, Anton vor allem, weil de Betze nur mit ihm gewinnt.
Denn Anton braucht de Betze, und de Betze braucht Anton. Wenn Albin auch sonst nichts weiß, das weiß er. Ohne Anton hat de Betze morgen keine Chance. Drum muss Anton uff de Betze, und er, Albin, muss ihn dahin bringen. Das ist seine Pflicht, seine Mission, die muss er erfüllen, unbedingt.
Also keine Bullen.
Aber wen soll er sonst anrufen?
Heidrun etwa?
Noch blöder, die Idee. Die rastet sofort aus, wenn sie hört, was mit dem Libero geschehen ist. Albin könnte dann morgen zwar uffem Betze sein, weil sie ihn noch heute rausschmeißen würde, Anton aber nicht. Für den würde sich nichts ändern: Bettruhe, Hausarrest, Sky statt Betze. Außerdem hätte Heidrun ja gar kein Auto, um sie aufzulesen. Sie müsste erst eine Freundin aus dem Bett klingeln, und ihre Wahl würde mit Sicherheit auf die nervigste und hysterischste von allen fallen, auf Karla. Und dass ausgerechnet die heute Nacht hier vorfährt, muss nun wirklich nicht sein. Denn sie hielte auch nicht mit Ratschlägen hinterm Berg, wie Heidrun mit ihm, Albin, dem Saufkopp, zu verfahren hätte … Karla hat nämlich keine Hemmungen, gegen ihn abzuledern, selbst wenn er unmittelbar daneben steht.
Noch jemand, den er anrufen könnte?
Werner vielleicht?
Okay. Er könnte Werner anrufen. Der wird sein Lokal bestimmt ohnehin bald zusperren, vielleicht hat er es ja auch schon getan. Heute Abend schaut eh niemand mehr bei ihm vorbei. Was eigentlich eine Schande ist, an einem Samstag, kurz vor Mitternacht. Ist halt nichts mehr los mit der Bagage hier …
Werner könnte sie vielleicht nicht nur abholen, vielleicht ließe er sie auch bei sich übernachten. Und Albin könnte Heidrun anrufen und ihr sagen, er habe ein paar Gläser zu viel erwischt und wolle nicht mehr fahren. Und morgen früh überredet Albin Werner, ihnen seinen Wagen zu leihen. Die Information, was mit dem Libero geschehen ist, ließe sich mit etwas Glück bis morgen nach dem Spiel zurückhalten, was danach geschieht, ist eh egal.
Vielleicht kann er Werner sogar überzeugen mitzukommen. Oder er bietet Werner Geld dafür an, ihm den Wagen zu leihen, irgendwo wird er schon noch was zusammenkratzen. Warum soll Werner nicht gegen Geld seinen Wagen verleihen, der macht schließlich aus allem ein Geschäft. Oder er fragt Werner, ob er ihnen ein Auto organisieren kann, ebenfalls gegen Geld. Werner kennt ja Hinz und Kunz. Und den Libero lassen sie einfach hier liegen. Vielleicht decken sie ihn noch ein wenig ab, damit er von der Straße aus nicht zu sehen ist, auch morgen früh nicht, wenn es hell wird. Und irgendwann nach dem Spiel, in der Nacht zum Montag, schaffen sie den Libero dann irgendwie weg.
Klingt doch gar nicht so schlecht. Also, Werner anrufen?
Albin beginnt, sich in seinen eigenen Überlegungen zu winden. Ist schon ganz schön viel, was er da von Werner verlangt. Ist Werner wirklich ein so guter Freund? Er ist ihr Wirt, sie sind seine Stammgäste, deswegen behandelt er sie wie Freunde. Solange sie bei ihm saufen und ihr Geld bei ihm lassen. Sicher, manchmal schmeißt auch Werner eine Runde, denn knauserig ist er nicht. Aber ein Freund?
Und wenn er Werner erzählt, was geschehen ist, wie wird er reagieren? Freunde lügt man nicht an, man sagt ihnen immer die Wahrheit.
Vielleicht will Werner dann da nicht mit reingezogen werden, immerhin kommt da ja ein bisschen was zusammen, Unfallflucht ist das ja irgendwie schon, wenn sie sich jetzt vom Unfallort verkrümeln, dazu Trunkenheit am Steuer ... Auch Werner ist kein Heiliger, der hat schon ganz andere Dinge gedreht, den hatten sie mal dran wegen Hehlerei. Gerade deswegen aber will er sich wahrscheinlich nicht mehr in solche Geschichten hineinziehen lassen, auch nicht von Stammgästen …
Also, Werner besser auch nicht.
Und welche Freunde hast du sonst noch, Albin?
Freunde hattest du früher vielleicht mal, als du dein Geschäft noch hattest. Oder waren das vielleicht doch nicht eher nur gute Kunden, die freundschaftlich mit dir umgegangen sind?
Eigentlich hast du nur einen richtigen Freund. Und der steht neben dir. Der Champ.
Also mach mal halblang mit jemanden anrufen.
Was aber sonst tun? Weiter warten, bis jemand vorbeikommt und sie mitnimmt? Aber wer pickt schon mitten in der Nacht drei Typen auf, die gerade ihr Auto gecrasht haben und lieber von der Bildfläche verschwinden möchten, statt die Polizei zu rufen? Von denen einer auch noch halb dement ist und im Rollstuhl sitzt?
Davon abgesehen: Bis hier mal wieder einer vorbeikommt, das kann dauern.
Und wenn du dir einfach ein Taxi rufst? Das kann ebenfalls dauern in dieser gottverlassenen Gegend. Und der Taxifahrer wird sich die gleichen Gedanken machen, wenn er sie drei sieht.
Es ja gar nicht mehr weit zum nächsten Ort. Albin ist einigermaßen gut zu Fuß, auch wenn es ihm niemand zutraut mit seinen einhundertzehn Kilo. Der Champ sowieso. Anton hat seinen Rollstuhl, kann also gefahren werden. Er kann darin sogar pennen, wenn er will, während Albin schiebt.
Im Ort könnten sie dann zum Bahnhof gehen. Und auf den ersten Zug am Sonntagmorgen warten. Von unterwegs könnte er Heidrun anrufen und ihr erzählen, dass sie bei Werner pennen, die prüft das schon nicht nach. So zwischen fünf und sieben Uhr morgen früh dürfte wieder ein Zug fahren. Allerdings ist die Bahnverbindung uff de Betze nicht die beste, nicht von hier aus, nicht aus dem tiefen Wald heraus. Die Züge rollen erst in den Osten, ins Rebenland, dann rauf in den Norden und schließlich nach Westen. Wahrscheinlich müssten sie auch ein paar Mal umsteigen. Sie wären stundenlang unterwegs und wahrscheinlich erst am Nachmittag uffem Betze. Bis zum Anpfiff könnten sie es zwar bis Block 4.2 schaffen, aber trotzdem …
Ist irgendwie auch Scheiße.
Albin flucht.
Absichts- und gedankenlos tapst Albin auf die Kompass-App, malt eine Acht in die Luft, damit diese sich einnordet. Dann schaut er wehmütig in die Richtung, in die die virtuelle Nadel zeigt. De Betze liegt von ihnen aus auf einer fast geraden Linie Richtung Norden. Da drüben, hinter den sieben Bergen, erhebt sich de Betze, stolz und mächtig, schicksalsträchtig …
Luftlinie beträgt die Entfernung von ihrem aktuellen Standort grade mal vierzig Kilometer und ein paar Zerquetschte. Bis zum Spiel sind es noch fast vierzehn Stunden. Eine Ewigkeit, und dennoch scheint es keine Möglichkeit zu geben, diese lächerliche Distanz in dieser Zeit zu überbrücken.
Das darf doch nicht wahr sein.
Albins Blick heftet sich immer sehnsüchtiger an den Horizont. Bis seine Augen zu Glas werden.
Da!
Da blinkt was. Im Norden. Exakt überm Betze.
Ein Ami-Flugzeug, oder?
Aber es bewegt sich nicht. Das blinkende Licht bleibt einfach auf der Stelle stehen. Und es blinkt eigentlich auch gar nicht. Es ist einfach ein gelber Punkt am Firmament, der heller strahlt als alle anderen.
Ein Satellit vielleicht. Doch auch der würde blinken. Oder irgendwie anders leuchten.
Also doch ein Stern. Aber was für einer.
Albin bestätigt es sich mit einem weiteren Blick auf die Kompass-App. In der Tat: Der Stern leuchtet im Norden, exakt überm Betze. Kein Zweifel …
Komm, hör auf, Albin. Das bildest du dir ein. Du bist besoffen, vergiss das nicht.
Versuch lieber, den Libero doch irgendwie aufzustellen, und du wirst sehen, er wird anspringen und ihr könnt damit einfach wegfahren. Die simplen Lösungen erweisen sich am Ende doch immer als die besten.
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