Eckhard Lange

Von Gott erzählen


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nicht Selbstzweck, sondern soll die Hörenden hineinnehmen in das, was damals geschehen ist oder was doch von damals erzählt wird: Es soll Imagination wecken und damit Identifikation ermöglichen.

      Wir vertiefen sie, indem wir die Empfindungen - Hoffnungen und Wünsche, Ängste und Nüte - aussprechen, die die Personen unserer Geschichte bewegt haben mögen. Wir nehmen an den Gedanken teil, die hinter dem ausgesprochenen Wort stehen, und machen so Konflikte, Ansichten, theologische und existentielle Fragen deutlich.

      Wir deuten sie aber auch, indem wir unsere exegetischen und systematischen Überlegungen (die ja keinesfalls überflüssig geworden sind mit der Entscheidung, narrativ an einen Text heranzugehen) zurückprojizieren auf die Ebene des Geschehens: Die Erzählung selbst ist zugleich Deutung des Erzählstoffes. Wir legen also - simpel ausgedrückt - unsere Fragen und unsere Antworten den Personen der Geschichte in den Mund.

      Das alles vollzieht sich in der Geschichte, und es muß damit im historischen Umfeld dieser Geschichte bleiben. Ohne daß ich jedes einzelne Detail forschungsgeschichtlich absichern muß (unsere Predigtgemeinde erwartet schließlich keinen Fachvortrag über archäologische oder historische Befunde) - genauere Kenntnis dieses geschichtlichen Umfeldes sind notwendige Voraussetzung für das Erzählen.

       Der "garstige Graben" zwischen damals und heute muß und kann innerhalb der Geschichte überbrückt werden; denn das ist ja gerade der Sinn des Narrativen: den unmittelbaren Zugang zurückzugewinnen, die Erfahrung anderer zu meiner eigenen zu machen.

       Beispiel 1: Matthäus 13, 44 - 46

       Das Himmelreich gleicht einem Schatz, verborgen im Acker, den ein Mensch fand und verbarg; und in seiner Freude geht er hin und verkauft alles, was er hat, und kauft den Acker. Wiederum gleicht das Himmelreich einem Kaufmann, der gute Perlen suchte, und da er eine kostbare Perle fand, ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte sie.

      Wie an jedem Abend haben sich die Männer auf dem Dorfplatz zusammengefunden, während die Sonne langsam hinter den Bergen Galiläas versinkt. Sie hocken in einer großen Runde auf dem Boden, sprechen über dieses und jenes - all die kleinen Ereignisse des Tages - schweigen dann wieder und beobachten, wie die Schatten der Feigenbäume länger werden.

      Eben hatte Jizchak, der alte Schuster, davon erzählt, daß unten am See in Kapernaum ein Kaufmann mit einer besonders wertvollen Perle vom Basar in Bagdad zurückgekehrt war. So sprechen sie eine Weile vom unverhofften Reichtum, von geheimnisvollen Schätzen, bis Josafat, ein Kleinbauer, sie unterbricht: "Ihr könnt alle nur träumen," sagt er abschätzig. "Aber - nicht wahr, unser Leben sieht anders aus: Den ganzen Tag habe ich auf dem Feld gearbeitet, mir Schwielen geholt unter der heißen Sonne. Stein für Stein habe ich wieder zur Seite geräumt, damit der Pflug überhaupt durch den harten Boden gehen kann. Das sind die Schätze, die wir finden! Und die finden wir Tag für Tag - mehr, als uns lieb ist."

      "Du hast recht, Freund!" Aus dem Schatten des Feigenbaumes ist ein Mann hervorgetreten. Sie kennen ihn nicht. Er sieht aus wie einer jener Rabbis, die mit ihren Schülern gelegentlich durchs Land ziehen und predigen. Er saß dort mit seinen Freunden und hatte ihnen zugehört. Nun ist er aufgestanden und setzt sich zu ihnen. "Du hast recht, Freund," wiederholt er. "Der Acker ist oft steinig und hart. Er ist ein gutes Bild für unser Leben: Viele mühen sich ab, aber sie werden nur enttäuscht."

      "Richtig," sagt ein Bauer in einem braunen Wollrock. "Die ganze Welt kommt mir manchmal vor wie solch ein Acker. Jeden Morgen beginnst du dein Tagwerk, du tust deine Pflicht nach den guten Geboten des Ewigen - gelobt sei sein Name! - aber was bringt es dir ein? Irgendwann kommt der Abend, und du bist müde geworden, alt und verbraucht und einsam. Und dann fragst du dich: Wozu nur all diese Plage? Was habe ich schon erreicht im Leben? Wofür überhaupt leben, wenn es doch nur auf das Ende, das Abschiednehmen zugeht..." Seine Stimme war leise geworden. Nun verstummt sie ganz. Auch die anderen schweigen. Der Rabbi hat sie nachdenklich gemacht.

      "Die ganze Welt ist wie solch ein Acker," nimmt schließlich der alte Jizchak den Faden wieder auf. "Du säst und pflanzt, aber was geht schon auf und bringt Frucht? Der Acker ist ungerecht - wie diese Welt." Der fremde Wanderprediger blickt den Sprecher an und nickt ihm zu, daß er weiterrede. Da fährt er fort: "Seht ihr, als ich jung war, da habe ich mich aufgelehnt gegen die Ungerechtigkeit: Ich war in den Bergen beim Widerstand gegen die Römer. Aber das ist lange her. Und was hat es gebracht? Die Mächtigen sind an der Macht geblieben - wie immer. Wir aber hatten von Gottes Reich geträumt, von Gerechtigkeit auf Erden. Wir wollten den Acker umpflügen und der Erde ein neues Antlitz geben. Er ist voller Steine geblieben."

      "Aber du hattest ein Ziel, eine Hoffnung," sagt ein junger Mann. "Ja," antwortet der Alte, "aber sie ist längst vergessen. Was läßt sich schon ändern! Wenn man so oft enttäuscht wird, dann verliert man die Hoffnung - und den Glauben. Und es bleiben nur die Steine auf dem Acker deines Lebens. Es bleibt der Alltag mit seiner Mühe, es bleibt der Schmerz und das Leid... Ja, so ist es mit dem Acker des Lebens." - Und wieder liegt Schweigen über der Runde. Da ergreift auf einmal der Rabbi das Wort. "Ich will euch eine Geschichte erzählen," beginnt er, "eine Geschichte vom Acker, der ein Bild des Lebens ist:

      Da lebt in einem Nachbardorf ein Mann. Er ist Tagelöhner, und ihr wißt, was das bedeutet. Er besitzt noch nicht einmal den Boden, den er bearbeitet - so wie du es doch von dir sagen kannst, Josafat. Was hat er schon für eine Chance im Leben! Eines Tages nun kommt ein Fremder ins Dorf und sucht nach einem Arbeiter. Er sieht den Tagelöhner auf dem Platz am Brunnen sitzen und gibt ihm einen Auftrag: „Ich habe da ein Stück Land geerbt, draußen bei den beiden Eichen. Das möchte ich gerne wieder herrichten lassen als Ackerland. Vielleicht läßt es sich dann besser verkaufen.“

      Der Tagelöhner nickt. Er kennt das Stück: Nichts als Disteln und Dorngestrüpp wächst dort. Aber er macht sich an die Arbeit, reißt die Dornen heraus und verbrennt sie, und dann beginnt er den Boden umzupflügen. Bei der sechsten oder siebenten Furche stößt sein Pflug gegen etwas Hartes, knirscht über Widerstand hinweg. „Wieder einer von diesen verdammten Steinen,“ denkt er bloß. Aber als er wendet und an die Stelle zurückkommt, da spiegelt etwas das Licht der Sonne zurück: Ein glasierter Tonscherben liegt vor ihm. Neugierig schaut er näher hin, und da sieht er es: Ein großer Krug steckt dort im Boden; und da, wo die Pflugschar den Hals zerbrochen hat, leuchtet es metallen aus der dunklen Höhlung: Silberstücke! Hundert, hundertzwanzig vielleicht und noch mehr.

      Blitzschnell durchfährt es ihn: Wem dieser Acker gehört, der ist ein reicher Mann, der besitzt einen Schatz, ein Vermögen! Mitten zwischen den Steinen des Ackers liegt er. „Wie oft mag hier schon jemand gepflügt haben,“ denkt er, „ohne etwas davon zu ahnen - so wie ich. Aber nun ist er sichtbar. Ich habe ihn entdeckt.“ Er schaut sich um, er bückt sich. Rasch scharren seine Hände den Boden über die Öffnung: „Ein Schatz im Acker, und niemand weiß es."

      Der Rabbi macht eine Pause. Seine Jünger blicken sich an: Ja, das ist wieder einmal eine seiner Geschichten, die er da so plötzlich herbeizaubert. Ob die Leute merken, was er damit sagen will?

      Der alte Jizchak schaut nachdenklich auf den Lehmboden zu seinen Füßen: "Du willst also behaupten, Meister, daß es wirklich Schätze gibt im Acker unseres Lebens - und daß wir sie nur nicht entdecken?" Der Rabbi lächelt, aber er antwortet nicht. "Mitten zwischen den Steinen, die uns Tag für Tag das Leben schwermachen; mitten auf dem Acker, den wir Tag für Tag bestellen und der uns nichts Neues, nichts Besonderes mehr schenken kann; mitten in unserm Alltag mit seiner Mühe, seinen Enttäuschungen, seinem Leid - sollen wir... das Unerwartete finden?" Jizchak schüttelt zweifelnd den Kopf.

      Der Bauer im braunen Rock ist aufgestanden und geht auf und ab, als wollte er seinen Gedanken nachlaufen: "Das große Geheimnis Gottes - es ist in unserem eigenen Leben verborgen? Seine Liebe - wir können sie in unserem Alltag, ja sogar in unserem Leiden, unseren ungelösten Fragen entdecken? ER ist uns... so nahe, daß er uns auch in Schmerz und Tod nahe ist - willst du das sagen?"

      Auch der junge Mann springt nun auf: "Also gibt es eine Hoffnung auf eine gerechtere Welt - gibt es ein Ziel für unser Leben?" Noch immer schweigt der Rabbi. "Ich beginne zu begreifen," sagt nun Josafat leise. "Gott ist da, aber wir sehen ihn