Christian Sternenfeuer

Das Magische Universum


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in die Ruhe ihrer Kapitänsmesse zurück. Sie hatte noch einige

      Vorbereitungen zu treffen, sobald sie im Hafen von Shan’hor

      einliefen. Die Reparaturarbeiten wusste sie bei de›Soto in den

      richtigen Händen. Niemand würde die Arbeiten schärfer überwachen

      als dieser Darq von einem Geheimdienstler, der sie immer

      mit gierigen Augen abtastete und in Gedanken auszog. Sie wusste,

      dass er nur zu gern ihr Bett teilen würde. Doch niemals wieder, so

      hatte sie sich geschworen, würde sie einen Mann der Sekte in ihr

      Schlafgemach lassen.

      Langsam löste sie den Umhang, den sie an einen Messinghaken

      hängte. Dabei öffnete sie mit einer grazilen Bewegung gleichzeitig

      mehrere Knöpfe der engen roten Kapitänsjacke und holte tief

      Luft. Wie sie diese Uniform hasste, wie sie alles, was mit der Sekte

      zu tun hatte, hasste. Dass nur der Glaube an die geliebte Tochter

      ihr Kraft gab, diese Scharade aufrecht zu halten. Sie würde Mylinda

      finden, selbst wenn die Suche noch Jahre dauern sollte, denn ihr

      Herz sagte, dass ihr Kind noch lebte und irgendwo auf Rettung

      wartete …

      Einige Tage später erreichte die Galeone den Hafen von

      Shan’hor und machte am langen Pier die Taue fest. Aurelia übergab

      ihrem ersten Offizier das Kommando und wartete nicht einmal

      das Eintreffen des Hafenmeisters ab, sondern eilte schnurstracks

      zum Hafenbüro. Dort hoffte sie, den örtlichen Agenten Joliko

      Gnorx anzutreffen, der hier auf Riva die Interessen des Tempels

      wahrnahm. Unterdessen überwachte de’Soto die Verladearbeiten,

      die sofort begonnen hatten, nachdem der Hafenmeister die Unterlagen

      überprüft und keinerlei Beanstandungen hinsichtlich ihrer

      Richtigkeit geäußert hatte. Doch hierbei handelte es sich nur um

      eine Formalität, denn Schiffe des Tempels wurden nicht nur auf

      Riva bevorzugt behandelt und die Papiere niemals angezweifelt,

      wenn sie das Siegel der Zentrale trugen. Der Stempel der Hafenmeisterei

      war eine Farce, doch niemand würde dies zugeben, denn

      zu groß war auf Riva die Macht der Rotröcke geworden, als dass

      irgendjemand wagte, unbequeme Fragen zu stellen.

      Am Kai herrschte reges Treiben, wo die bulligen zotteligen

      Soho’s, die anerkannt stärksten Träger weit und breit, Kisten, Säcke

      und in Segeltuch verschnürte Bündel auf ihre breiten Rücken

      wuchteten, um sie unter ständigem Gesumme ihrer bienenähnlichen

      Sprache über die Gangways von Bord und hin zu den

      Lagerschuppen zu schleppen. Mehrere Schiffe lagen im Hafen,

      darunter einige kleinere Galeonen, Schaluppen sowie zahlreiche

      Fischerboote. Auch zwei Klipper erspähte Aurelia am Ende des

      langen Piers, konnte jedoch ihre gehissten Flaggen nicht erkennen.

      Die Heilige Kuh entlud Stoffe und Holzfässer mit Wein von Risetta

      und nahm außer den Artefakten, die sie von Joliko Gnorx erhalten

      sollte, noch mehrere Tonnen Bastillafelle an Bord, die für Thetis

      bestimmt waren. Pelzmäntel aus dem Fell der Bastillamännchen

      waren hoch begehrt bei den edlen Damen der hohen Gesellschaft.

      Im Naturzustand waren sie schlicht und unscheinbar. Doch wurde

      der Mantel getragen, entwickelte er ein seltsames Eigenleben und

      spiegelte das Gefühlsleben seiner Trägerin wieder. Dabei bot er ein

      irrlichterndes Farbspiel, das in immer neuen Variationen über das

      Fell flackerte. Man nahm an, dass es Teil des Balzverhaltens der

      Bastillamännchen war, mit der sie eine Partnerin umwarben und

      für sich zu gewinnen suchten. Kenner verstanden dieses Farbspiel

      zu deuten und so konnten sie auf die Gefühlslage der Mantelträgerin

      schließen. In den Kreisen des Adels und der Reichen war es

      derzeit ein beliebtes Gesellschaftsspiel, dem sie mit einer geradezu

      perversen Lust auf ihren vielen Festivitäten nachgingen. Das

      trieb die Nachfrage nach diesen exquisiten Mänteln extrem in die

      Höhe. Allerdings vermochte das knappe Angebot das große Interesse

      nicht zu befriedigen.

      Für dergleichen Zerstreuung hatte sich Aurelia nie erwärmen

      können. Doch als lukratives Handelsgut waren die Felle hervorragend

      geeignet, denn es ließen sich außergewöhnlich hohe Gewinne

      erzielen und auch hier hatte sich der Tempel ein Monopol

      gesichert, erinnerte sich Aurelia erbittert. Endlich erreichte sie das

      große Steingebäude der Hafenmeisterei, in dem Agent Gnorx sein

      Büro unterhielt und trat durch das protzige Eingangstor, das in

      eine geräumige Halle führte. Die Hafenstadt hatte es zu ziemlichen

      Wohlstand gebracht, stellte Aurelia anerkennend fest und blickte

      sich suchend um. Der Boden war nicht aus einfachen Holzbohlen,

      wie allgemein bei einer Behörde üblich, sondern mit edlen blassblauen

      Fliesen bedeckt. Zusammen mit den mehrfarbigen Kacheln

      bildete das Mosaik ein deutlich erkennbares Muster. Sie erkannte

      sofort das auffällige Emblem der Sekte, ein Spinnennetz, das sich

      über eine funkelnde Sternenspirale spannte. In der Mitte der Halle

      befand sich ein großer Informationsstand, der mit mehreren weiblichen

      Mitarbeiterinnen besetzt war. Aurelia näherte sich diesem

      Prunkstück aus feinstem roten Wurzelholz und wurde sogleich von

      einer der jungen gut aussehenden blonden Frauen angesprochen.

      »Was kann ich für euch tun, Mylady

      ›Aha …‹, dachte Aurelia, ›woher will sie wissen, dass ich adliger

      Abstammung bin oder werden hier alle Besucher in Kapitänsuniform

      auf diese höfliche Art empfangen?

      »Ich suche das Büro von Joliko Gnorx, dem hiesigen Handelsagenten

      des Tempels. Ist er anwesend?«

      Die junge Frau warf einen raschen Blick auf ihre Unterlagen

      und beantwortete ihre Frage mit einem freundlichen Lächeln.

      »Agent Gnorx ist im Haus und er erwartet euch bereits, Kapitän

      Lethos.«