in die Ruhe ihrer Kapitänsmesse zurück. Sie hatte noch einige
Vorbereitungen zu treffen, sobald sie im Hafen von Shan’hor
einliefen. Die Reparaturarbeiten wusste sie bei de›Soto in den
richtigen Händen. Niemand würde die Arbeiten schärfer überwachen
als dieser Darq von einem Geheimdienstler, der sie immer
mit gierigen Augen abtastete und in Gedanken auszog. Sie wusste,
dass er nur zu gern ihr Bett teilen würde. Doch niemals wieder, so
hatte sie sich geschworen, würde sie einen Mann der Sekte in ihr
Schlafgemach lassen.
Langsam löste sie den Umhang, den sie an einen Messinghaken
hängte. Dabei öffnete sie mit einer grazilen Bewegung gleichzeitig
mehrere Knöpfe der engen roten Kapitänsjacke und holte tief
Luft. Wie sie diese Uniform hasste, wie sie alles, was mit der Sekte
zu tun hatte, hasste. Dass nur der Glaube an die geliebte Tochter
ihr Kraft gab, diese Scharade aufrecht zu halten. Sie würde Mylinda
finden, selbst wenn die Suche noch Jahre dauern sollte, denn ihr
Herz sagte, dass ihr Kind noch lebte und irgendwo auf Rettung
wartete …
Einige Tage später erreichte die Galeone den Hafen von
Shan’hor und machte am langen Pier die Taue fest. Aurelia übergab
ihrem ersten Offizier das Kommando und wartete nicht einmal
das Eintreffen des Hafenmeisters ab, sondern eilte schnurstracks
zum Hafenbüro. Dort hoffte sie, den örtlichen Agenten Joliko
Gnorx anzutreffen, der hier auf Riva die Interessen des Tempels
wahrnahm. Unterdessen überwachte de’Soto die Verladearbeiten,
die sofort begonnen hatten, nachdem der Hafenmeister die Unterlagen
überprüft und keinerlei Beanstandungen hinsichtlich ihrer
Richtigkeit geäußert hatte. Doch hierbei handelte es sich nur um
eine Formalität, denn Schiffe des Tempels wurden nicht nur auf
Riva bevorzugt behandelt und die Papiere niemals angezweifelt,
wenn sie das Siegel der Zentrale trugen. Der Stempel der Hafenmeisterei
war eine Farce, doch niemand würde dies zugeben, denn
zu groß war auf Riva die Macht der Rotröcke geworden, als dass
irgendjemand wagte, unbequeme Fragen zu stellen.
Am Kai herrschte reges Treiben, wo die bulligen zotteligen
Soho’s, die anerkannt stärksten Träger weit und breit, Kisten, Säcke
und in Segeltuch verschnürte Bündel auf ihre breiten Rücken
wuchteten, um sie unter ständigem Gesumme ihrer bienenähnlichen
Sprache über die Gangways von Bord und hin zu den
Lagerschuppen zu schleppen. Mehrere Schiffe lagen im Hafen,
darunter einige kleinere Galeonen, Schaluppen sowie zahlreiche
Fischerboote. Auch zwei Klipper erspähte Aurelia am Ende des
langen Piers, konnte jedoch ihre gehissten Flaggen nicht erkennen.
Die Heilige Kuh entlud Stoffe und Holzfässer mit Wein von Risetta
und nahm außer den Artefakten, die sie von Joliko Gnorx erhalten
sollte, noch mehrere Tonnen Bastillafelle an Bord, die für Thetis
bestimmt waren. Pelzmäntel aus dem Fell der Bastillamännchen
waren hoch begehrt bei den edlen Damen der hohen Gesellschaft.
Im Naturzustand waren sie schlicht und unscheinbar. Doch wurde
der Mantel getragen, entwickelte er ein seltsames Eigenleben und
spiegelte das Gefühlsleben seiner Trägerin wieder. Dabei bot er ein
irrlichterndes Farbspiel, das in immer neuen Variationen über das
Fell flackerte. Man nahm an, dass es Teil des Balzverhaltens der
Bastillamännchen war, mit der sie eine Partnerin umwarben und
für sich zu gewinnen suchten. Kenner verstanden dieses Farbspiel
zu deuten und so konnten sie auf die Gefühlslage der Mantelträgerin
schließen. In den Kreisen des Adels und der Reichen war es
derzeit ein beliebtes Gesellschaftsspiel, dem sie mit einer geradezu
perversen Lust auf ihren vielen Festivitäten nachgingen. Das
trieb die Nachfrage nach diesen exquisiten Mänteln extrem in die
Höhe. Allerdings vermochte das knappe Angebot das große Interesse
nicht zu befriedigen.
Für dergleichen Zerstreuung hatte sich Aurelia nie erwärmen
können. Doch als lukratives Handelsgut waren die Felle hervorragend
geeignet, denn es ließen sich außergewöhnlich hohe Gewinne
erzielen und auch hier hatte sich der Tempel ein Monopol
gesichert, erinnerte sich Aurelia erbittert. Endlich erreichte sie das
große Steingebäude der Hafenmeisterei, in dem Agent Gnorx sein
Büro unterhielt und trat durch das protzige Eingangstor, das in
eine geräumige Halle führte. Die Hafenstadt hatte es zu ziemlichen
Wohlstand gebracht, stellte Aurelia anerkennend fest und blickte
sich suchend um. Der Boden war nicht aus einfachen Holzbohlen,
wie allgemein bei einer Behörde üblich, sondern mit edlen blassblauen
Fliesen bedeckt. Zusammen mit den mehrfarbigen Kacheln
bildete das Mosaik ein deutlich erkennbares Muster. Sie erkannte
sofort das auffällige Emblem der Sekte, ein Spinnennetz, das sich
über eine funkelnde Sternenspirale spannte. In der Mitte der Halle
befand sich ein großer Informationsstand, der mit mehreren weiblichen
Mitarbeiterinnen besetzt war. Aurelia näherte sich diesem
Prunkstück aus feinstem roten Wurzelholz und wurde sogleich von
einer der jungen gut aussehenden blonden Frauen angesprochen.
»Was kann ich für euch tun, Mylady?«
›Aha …‹, dachte Aurelia, ›woher will sie wissen, dass ich adliger
Abstammung bin oder werden hier alle Besucher in Kapitänsuniform
auf diese höfliche Art empfangen?
»Ich suche das Büro von Joliko Gnorx, dem hiesigen Handelsagenten
des Tempels. Ist er anwesend?«
Die junge Frau warf einen raschen Blick auf ihre Unterlagen
und beantwortete ihre Frage mit einem freundlichen Lächeln.
»Agent Gnorx ist im Haus und er erwartet euch bereits, Kapitän
Lethos.«