Karina Förster

Spring!


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den gesellschaftlichen Unterschieden? Was war mit dem Dorn, der sich noch irgendwo versteckte?

      Müde von den vielen Fragen ohne Antworten schleppe ich mich irgendwann zum Bett. Yanick liegt bereits darin und atmet gleichmäßig.

      Das Bild von Joris lege ich auf den Nachtschrank, schalte das Licht aus und krieche zu ihm unter die Decke. Was wussten Kinder schon von Dornen?

      Mit seinem Arm zieht er mich zu sich heran. Er streift meine Haare in den Nacken und küsst mich zärtlich. Ich lege mein Bein auf seinen Oberschenkel und meine Hände fahren über seine Haut. Verlangend ziehe ich ihn zu mir heran.

      »Jetzt nicht. Ich kann im Augenblick nicht. Entschuldige«, stammelt er und versteckt sich in meinen Haaren. Er hält mich fest an sich gedrückt, bis sein Griff sich lockert, weil er wegdämmert.

      Als ich wach werde, schläft Yanick noch und ich krieche vorsichtig aus dem Bett. Im Bad dusche ich mich. Die Haare drehe ich spiralförmig und fixiere sie mit einem Haargummi. Im bodentiefen Spiegel betrachte ich mich.

      Der dicke Zopf bedeckt meine linke Brust und reicht hinab bis zur Hüfte. Schlank, groß, blond und mit einem Gesicht, das gar nicht mal so übel aussieht. Der Traum vieler Männer. Der Traum von Yanick. Doch wovon träume ich?

      Ich verlasse geknickt das Bad, weil ich nicht einmal meine eigene Frage beantworten kann.

      Yanick schnarcht leise und ich will ihn nicht wecken. Es ist sein Urlaub und er hat sicher Regeneration nötig. Auf dem Nachttisch liegt das Bild von Joris. Ich hole es, stelle mich damit an das Fenster. Aus der Küche hole ich mir ein Glas mit Wasser. Am Fenster trinke ich einen Schluck.

      Draußen beginnt der Tag schwerfällig. Alles liegt noch im trüben Licht der Morgensonne. Sie steigt langsam höher. Es sind kaum Leute unterwegs.

      Ich sehe zu Yanick, der auf seinem Bauch liegt, halb zugedeckt.

      Danach streift mein Blick das Bild, welches Joris im Zug gemalt hat. Vor Monaten habe ich die Pille abgesetzt. Wir hatten gestern ungeschützten Verkehr.

      Ich sehe aus dem Fenster. Sanft geht der Wind durch die Bäume. Ein Wald trennt die Pension und die Ostsee voneinander, die jedoch blau durch die Bäume schimmert. Es wird ein schöner Tag.

      Mit Yanick habe ich nicht darüber gesprochen, dass es unvorsichtig war. Habe ich es ausblenden wollen?

      Ich sehe erneut auf das Bild in meinen Händen und falte es abwesend in der Mitte. Zu sehen sind jetzt eine Frau und ein Kind. Lange betrachte ich mir diese Seite der Zeichnung.

      Etwas hatte pulsiert .

      Yanick zappelt und murmelt etwas Unverständliches, doch er schläft weiter. Er träumt sicher.

      Drei Wochen. Das ist genug Zeit, um schwanger zu werden, es sei denn, ich verhüte.

       Ein unsagbar schönes Licht.

      Magenschmerzen. Das Bild fällt aus meiner Hand und liegt auf dem Boden vor mir. Eine Frau. An ihrer Hand ein Kind.

       Ein Herzschlag?

      Er muss es ja nicht unbedingt erfahren. Er hatte gesagt drei Wochen. Wer weiß, ob ich ihn noch einmal sehen werde. Berlin ist groß und wir würden uns sicherlich nicht per Zufall treffen, zumal wir in unterschiedlichen Kreisen verkehren.

       Ein gemeinsamer Herzschlag.

      Magenschmerzen. So heftig, dass ich das Glas auf dem Fensterbrett abstellen muss, damit es mir nicht aus der Hand rutscht. Ich stütze mich auf dem Sofa ab und krümme mich vor Schmerz. Schweiß perlt von der Stirn.

       Das Recht habe ich nicht! Ich darf das nicht ungefragt machen, nicht allein entscheiden.

      Als ich meine Augen öffne, ist es der Junge auf dem Bild, den ich anblicke.

       Doch! Ich will es. Ich will etwas von Yanick haben. Er hatte meinen Bikini bekommen und ich werde mir auch ein Geschenk aussuchen.

      Ich rechne im Kopf.

      Yanick schläft noch. Nicht einmal das spärliche Licht, das bereits bis zu ihm durch das Fenster scheint, weckt ihn. Ich gehe um das Bett, damit ich ihn betrachten kann. Vor seiner Bettseite setze ich mich auf den Boden und schaue ihn lange an. Wie schön er schlummert. Er liegt noch immer auf dem Bauch, den Kopf zur Seite gedreht. Mir zugewandt.

       Okay, ich mache einen Deal. Wenn er wach wird und duschen geht, lasse ich es nicht darauf ankommen. Wenn er wach wird und springen will, werde ich ihm nicht sagen, dass ich nicht verhüte.

      Seine Hand ist unter das Kissen geschoben. Die andere liegt neben ihm. Auf seinem Kinn ist ein dunkler Schatten zu sehen, weil die ersten Bartstoppeln wieder wachsen.

      Er atmet regelmäßig. Die Augen bewegen sich sachte hinter seinen Lidern. Wovon träumt er?

      Er sieht so zum Anbeißen aus. Die Zudecke liegt über seine Hüfte. Ich schiebe sie vorsichtig beiseite, um ihn ganz betrachten zu können. Er hat ein paar Narben an den Beinen, von Haaren leicht bedeckt, die sich aufrichteten, wenn ich seine Haut sanft berühre. Ich fahre hinauf bis zum Nacken und meine Augen folgen den Fingern. Seine Härchen richten sich nun großflächig auf, aber er rührt sich nicht. Die braunen Haare liegen durcheinander vom Schlaf. Sie lassen ihn verwegen aussehen. Ich kann nicht anders. Zu verlockend ist mit meinen gespreizten Fingern hineinzufahren und … seine Augen sehen mich an. Die Sonne dringt durch die Wolkendecke und scheint in sein Gesicht. Die hellbraune Iris schimmert wie Bernstein.

       Etwas hatte pulsiert.

      Mein Herz klopft bei diesem Anblick. Ein Geschenk von ihm. Ich lächele bei dem Gedanken und er lächelt ahnungslos zurück.

       Ein gemeinsamer Herzschlag.

      Ich rücke näher an sein Gesicht und bette meinen Kopf direkt vor seinen Augen. Selbst der dunkle Ring an der Iris scheint zu leuchten. Er hebt sich deutlich vom Rest ab. Seine Pupille ist klein, weil er gegen das Licht sieht. Feine, dunkle Wimpern wachsen aus den Oberlidern und rahmen das Auge ein. Ich liebe die Form seiner Augen.

       Es besteht die Möglichkeit, dass es ja auch bereits zu spät ist.

      Die Pupille wird größer. Sein Mund lädt zu einem Kuss ein. Sein Gesicht lädt zu einem Kuss ein. Sein Nacken lädt zu einem Kuss ein. Einfach alles lädt zu einem Kuss ein. Yanick umarmt mich mit seinen Armen und zieht mich zu sich in das Bett.

      »Guten Morgen. Hast du gut geschlafen?«

       Würde er jetzt duschen gehen wollen?

      Ich wackele mit meiner Hand. Geht so.

      »Gehen wir nachher noch zum Strand? Ein bisschen Luft schnappen?«

      Ich nicke und bin ein wenig enttäuscht.

      »Aber vorher …«, wispert er und dreht sich auf den Rücken. Dabei zieht er mich mit und ich liege nun auf ihn. Mit seinen Händen fährt er um meine Taille und sein Unterleib wölbt sich lustvoll unter mir. Wir küssen uns. Ich bin doch nicht enttäuscht.

      Er wird nicht duschen gehen und der Deal steht.

      Ich sitze am Tisch und zwirbele meinen Zopf neu. Yanick beißt genüsslich in sein Toast.

      »Darf ich dich was fragen?«, erkundigt er sich.

      Einmal zwinkern.

      »Prüfst du dein Herz, wie es dein Großvater dir geraten hat?«

      Perplex sehe ich ihn an und brauche einen Moment, bis mir Kai einfällt. Das Channeling. Zögernd nicke ich. Yanick stützt sich mit den Ellenbogen ab. Er faltet beide Hände vor seinem Mund. Eine Ewigkeit sieht er mich so an.

      Ich sehe zu meinem Zopf, der fertig geflochten ist. Dann schreibe ich: Warum fragst du das?

      »Ich denke, du