Karina Förster

Spring!


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sechs Wörter hallen in mir nach. Ich frage mich, woher er das so sicher und genau wissen will. Seiner Miene nach zu urteilen scheint er das.

      Doch, antworte ich schriftlich.

      »Nein!«

       Doch!

      Meine Hand schlägt flach auf den Tisch und lässt die Teller hüpfen. Manchmal ängstigt mich mein Temperament selbst. Niemand in meiner Familie hat vergleichbare Wutausbrüche. Ärgerlich starre ich ihn an und er weicht meinem Blick nicht aus.

      Auf mich wirkt er überhaupt nicht eingeschüchtert. Im Gegenteil. Seelenruhig beißt er erneut in sein Toast. Er hat in seinem Beruf gelernt zu pokern und macht es jetzt auch bei mir.

      »Das kaufe ich dir nicht ab, Ella. Ich meine, du denkst, dass du das tust«, murmelt er ganz gefasst.

      Er wird jedoch von mir am Weitersprechen gehindert. Ich bin aufgesprungen und gehe nun aufgewühlt neben dem Tisch hin und her. Was weiß er denn schon, was mit mir ist. Er denkt, wenn er mit mir schläft, kennt er mich auch? Vor Wut straffe ich meine Hände. Zu unbeherrscht bin ich und weiß es auch in diesem Augenblick. Macht er das bei seinen Gegenparteien auch so?

      »Soll ich dir sagen, warum ich das denke?«

      Schwungvoll werfe ich meinen Kopf zur Seite und der eben gewundene Zopf droht sich wieder aufzulösen. Ich setze mich wieder hart auf den Stuhl und schreibe unleserlich: Also schön, Herr Doktor.

      Danach springe ich wieder auf. Breitbeinig und angriffslustig stehe ich neben meinem Sitzplatz. Wenn er jetzt was Falsches sagt, werde ich ihn würgen. Er ist manchmal so überheblich.

      Ich sehe zu, wie er gelassen meine Antwort liest. Seine Augenbrauen ziehen sich zusammen. »Ella. Hör auf damit!«, sagt er mir eine Spur zu vernünftig und mir geht seine Ruhe so auf den Keks. Wieder greife ich den Stift und fege über das Papier: Was dann?

      Jetzt bin ich gespannt auf seine Antwort und sehe ihn über den Tisch an. Mal sehen, was der Herr Psychologe noch von mir weiß.

      Yanick legt sein Toast auf den Teller. Er antwortet, ohne auf meinen Angriff einzugehen: »Ich denke, deine Maßstäbe zum Prüfen sind fehlerhaft.«

      Darauf will er hinaus. Ich richte mich auf und atme scharf ein. Meine Maßstäbe? Da hat er was von Kai aufgeschnappt und haut es mir hier um die Ohren? Wie mein Großvater. Bei ihm habe ich das auch immer gehasst. Immer wenn ich wütend war, sagte er das zu mir und ich kann das nicht mehr hören.

      »Ella, ich sage das nicht, um dich zu kränken. Ich sage das um dich …«

      Weiter kommt er nicht, denn ich bin in einem Satz am Tisch. Ich habe mich weit über den Tisch gebeugt. Mein Zopf hat sich durch die harsche Bewegung gelöst und die Haare liegen auf meinem Teller voll Honigtoast.

      Das ist mir einerlei, denn ich starre zu dem Klugscheißer mir gegenüber. Wutentbrannt nehme ich den Stift, deute damit zornig auf ihn und schreibe langsam: Da spricht der, der um mich gewettet hat! Du kränkst mich sowieso nicht mehr! Kein drittes Mal!

      Jetzt ist es raus und ich richte mich langsam wieder auf. Mit voller Wucht schmeiße ich den Stift aus meiner Hand. Krachend fällt er zu Boden und zerbricht dort unter dem Schwung. Er bleibt vor der Spüle liegen.

      Kein Drittes mal!

      Unerbittlich und grausam sehe ich Yanick kalt an, obwohl er blass wird. Sein Kehlkopf hüpft, als ob er einen dicken Kloß hinunterwürgt.

      Ja, genau. Da schluckst du!

      Er liest und der Blick bleibt auf dem Papier haften.

      Ja, lies es nur! Die Wahrheit ist grausam und erbarmungslos. Gerade in der Liebe. Wir stehen entblößt vor dem anderen, schutzlos. Das macht uns angreifbar. Niemand weiß das besser als ich.

      Statt aufzubrausen, zu schreien oder mich wütend anzugehen, steht Yanick schweigend auf. Er beugte sich zu dem Stift hinunter, hebt ihn wieder auf und legt ihn in einer sehr langsamen Bewegung wieder auf den Block ab. Die Finger belässt er dort.

      »Ich weiß. Ich habe dich sehr verletzt. Zweimal sagst du? Von einem Mal weiß ich. Es ist mir nicht bewusst gewesen, dass es bereits öfter geschehen ist.« Er hebt den Blick zu mir.

      Unter meinen Füßen droht mir der Boden wegzurutschen. Ich bin es, die Halt sucht, obwohl ich darauf aus war, ihn zum Wanken zu bringen. Er hat mich in eine Falle gelockt.

      Aufgewühlt trete ich die Flucht zum Fenster an. Dort starre ich durch die Gardine. Mit Tränen in den Augen sehe ich hinaus, ohne etwas wahrzunehmen. Ich bin in meiner Vergangenheit gefangen und kann mich von dort nicht lösen.

      »Was war damals in der Dusche los?«, fragt Yanick aus der Küche. Wie kann er immer so besonnen bleiben?

      Mit verschränkten Armen stehe ich vor dem Fenster und sehe ins Leere. Für heute habe ich genug aus meinem Nähkästchen geplaudert und muss selbst sortieren, was ich sagte.

      In der Dusche. Ich will nicht über die Dusche nachdenken.

      Meine Gedanken sind bei der Wut über die, die mich einst Baby nannte und ihn küsste. Bei meiner Wut auf Yanick, der um mich wie um ein Stück Fleisch gewettet hat. Die Dusche ist doch egal!

      Zudem ist es mir gerade bequem mich hinter meine Sprachlosigkeit zu verstecken. Selbst wenn ich reden könnte, würde ich es jetzt nicht wollen.

      Yanick seufzt laut und räumt den Tisch ab. Als er damit fertig ist, spüre ich seine Körperwärme neben mir. Er streicht mir das Haar beiseite und küsst meine Stirn. Doch ich bin noch in meinen Emotionen gefangen und kann nicht auf seine Liebkosungen eingehen.

      Da ich nicht antworte, begibt er sich in das Bad.

      Ich eile zum Bett, lege mich hinein und ziehe die Bettdecke bis an mein Ohr hoch.

      Müde will ich den Gefühlen mit Schlaf davonkommen. Will dem zu viel an Emotionen, mit denen ich nicht umgehen kann, entrinnen.

      Ich sacke weg, während im Hintergrund die Dusche im Bad beruhigend rauscht.

      Erschreckt fahre ich auf, denn meine Decke hat sich bewegt und ich fürchte einen Angriff. Yanick. Geduscht und rasiert. Besänftigend sieht er mich an.

      »Ich will mich nicht drei Wochen mit dir streiten. Ich will alles verstehen und bei dir sein dürfen.«

      Alle sagen immer, dass ich wie ein Engel aussehe, aber das bin ich nicht. Er ist es. Er verhält sich wie einer. Ich fühle mich eher als ein Gefallener.

      Er will bei mir sein dürfen und mich verstehen? Ich begreife mich doch selbst nicht. Warum will er denn bei mir sein, wenn ich es nicht einmal sein wollen würde?

      Yanick beugt sich zu mir und küsst mich versöhnungsbereit. Ich schlinge meine Arme um seinen Kopf. Sofort wird alles in mir still. Ich will mich auch nicht drei Wochen streiten.

      »Gehen wir etwas raus?«, fragt er und küsst mich in kurzen Abständen.

      Einmal zwinkern.

      »Dann los. Wer zuerst angezogen ist …«

      Die nachfolgenden Tage und Wochen vergehen wie im Fluge.

      Wir fahren mit der Fähre nach Dänemark, stehen auf der Reling im Wind. Nach jeder Antwort für Yanick halte ich meine Hand hoch und entlasse den kleinen Zettel lachend in den Wind. Der trägt sie flatternd mit sich fort.

      Ich bitte eine Passagierin um ein gemeinsames Foto mit meinem Handy. Als ich es Yanick weiterleiten will, lehnt er ab. Er bittet um ein Foto aus einer Foto-Fix-Box.

      Er will meine Telefonnummer nicht. Wäre sie auf seinem Handy, würde er in Versuchung kommen anzurufen. Er will sie erst, wenn ich bei ihm bleibe.

      Die Foto-Fix-Boxen stehen überall in Einkaufszentren herum und sind schnell gefunden. Ich setze mich auf seine Beine und es blitzt viermal.

      Yanick