Karina Förster

Spring!


Скачать книгу

Finger mit den Stiften über das Papier fahren. Seine Zunge kaut er angestrengt, die Augenbrauen sind konzentriert in Falten geschoben. Dann sieht er sich erschöpft sein Werk an und als er damit zufrieden ist, schiebt er es zu mir. Erwartungsvoll werde ich von ihm angesehen.

      Er hat es für mich gedreht und ich brauche es noch nicht einmal in meine Hände zu nehmen, um zu erkennen, was er gemalt hat.

      In ein großes, rotes Herz ist eine Familie eingerahmt. Vater, Mutter, Sohn und Tochter. Ich bekomme schwer Luft und sehe ihn fragend an.

      Er lächelt. »Das ist für dich.«

      »Oh, hast du deine Familie für uns gemalt?«, fragt Yanick, der nun neugierig das Blatt betrachtet und dann verstummt. Er sieht zu mir. Ich betrachte noch immer Joris, der nickt.

      »Für dich!«

      »Danke«, schreibe ich schnell auf den Block.

      »Das bist du und er.« Er deutet mit seinem Zeigefinger auf Yanick. Danach fährt er sie auf das Papier. Er tippt auf den Mann und die Frau, die er gemalt hat. Zwischen uns ist ein kleiner Junge zu sehen. Auf dem Arm hält der Mann ein Mädchen, das an ihrem Röckchen in Rosa gut zu erkennen ist.

      »Ich habe einen großen Bruder«, erklärt Joris mir und kaut auf seinen Stift ohne uns aus den Augen zu lassen.

      Erst ein Junge. Dann, später ein Mädchen, hatte Kai mir damals gesagt.

      »Das hast du sehr schön gemalt. Du hast uns wirklich gut gesehen«, sagt Yanick versonnen.

      »Haben Sie denn Kinder?«, fragt Joris Oma erstaunt.

      »Nein«, antwortet Yanick wahrheitsgemäß und ich schüttele meinen Kopf.

      Joris Oma hebt wissend eine Augenbraue.

      »Ich möchte keineswegs aufdringlich erscheinen. Wissen Sie, was mir noch aufgefallen ist? Ich kam nicht umhin Teile Ihres Gespräches zu verfolgen und habe Sie ein wenig beobachtet. Wie Sie ihr den Hof machen ist wirklich sehr originell.« Sie lächelt in sich hinein, nickt anerkennend mit ihrem Kopf in Yanicks Richtung. »Aber wie mir scheint, liegt das Problem nicht bei der Werbung allein. Ganz offensichtlich ist Ella … Gestatten Sie, dass ich Ella sage? Nun, ich bin alt und weiß, dass auch die schönste Rose auf der Welt Dornen trägt. Unangenehme Dornen, die sich manchmal unbemerkt, aber tief, in das Fleisch bohren.«

      Nachdenklich winkelt Yanick seinen Zeigefinger an den Mund. Er verharrt schweigend, nicht ohne zuvor genickt zu haben. Joris Oma sieht zu mir und ich hebe meine Hände, lege sie zum Namaste Gruß zusammen. Der Gruß, der übersetzt Verbeugung zu dir heißt.

      Ein Dorn. Ja. Er hatte sich irgendwo hineingebohrt. Nur wusste ich nicht genau wo.

      Das Bild von Joris liegt vor mir auf dem Tisch und ich sehe es nachdenklich an, bis wir Warnemünde erreichen.

      Kapitel 10

      Der Zug rollt im Warnemünder Bahnhof ein. Joris ist jetzt sehr nervös. Er erwartet Mama und Papa und die Vorfreude steht in seinem Gesicht geschrieben.

      Yanick hat die ganze Zeit über auf das Bild gestarrt und seine Finger an die Lippen gepresst. Nun sieht er auf, weil Joris Oma vor ihm steht und ihn anlächelt.

      Sie sieht liebevoll zu mir: »Ich wünsche Ihnen gute Besserung.«

      Ich danke ihr nickend. Ihre Hand an Yanicks Wange, spricht leise, aber eindringlich: »Vergessen Sie meine Worte nicht! Der Dorn. Finden Sie den Dorn!«

      Sie senkt unbedeutend ihren Kopf. Yanick antwortete ihr, indem er ebenfalls seinen Kopf senkt. Dann geht sie mit Joris, der uns zum Abschied winkt, zur Tür. Ich antworte ihm mit einem Luftkuss.

      Yanick holt meinen Koffer aus der Gepäckablage und steigt mit mir aus dem Zug. Auf dem Bahnsteig atmet er ein. »Seeluft. Riechst du das?«

      Ich nicke.

      Fisch.

      Opa.

      Yanick beugt sich zu mir, bis seine Lippen auf meinem Mund liegen. Lange und innig. Ich schmiege mich an ihn. Die Erinnerung von Opas Fisch verbindet sich mit einem neuen Gefühl.

      »Komm, Ella. Lass uns den Dorn suchen«, sagt er, legt mir seinen Arm um die Schulter und führt mich zum Taxistand.

      Die Pension liegt versteckt im Wald, nur einen Steinwurf von der Ostsee entfernt. Sie wird von einer warmherzigen Dame betrieben, die Yanick anhimmelt. Es ist dunkel, als wir ankommen. Das Meer sehe ich nicht, doch ich rieche es.

      Als ich von Yanick in das Pensionszimmer geführt werde, bin ich tief bewegt. Ich stehe in einem Raum, der Wohnzimmer, Küche und Schlafzimmer in einem ist und durch die weißen Möbel geschickt abgeteilt wird. Blaue Details verstärkten das maritime Ambiente.

      Im Wohnbereich stehen sich zwei Sofas gegenüber. Dazwischen ist ein kleiner Tisch platziert.

      An jeder freien Stelle wurden Vasen, die üppig mit Tulpen gefüllt sind, aufgestellt. Es duftet im Zimmer, wie in einem Blumengeschäft. Ich liebe diese Blumen. Mein Mund steht offen.

      Auf einem kleinen Beistelltisch entdecke ich einen Teller. Auf ihm liegen Tulaer Prjanik. Das ist ein rechteckiger Lebkuchen, mit Marmeladenfüllung. Auch die liebe ich. Fassungslos betrachte ich mir die Schale, die daneben steht. Darin liegen Aljonka Mich-Schokoladenriegel. Ich schlage mir entzückt die Hände vor dem Mund.

      Aber das ist noch nicht alles. Eine Konfektschale voll mit russischen Pralinen, lässt mir das Wasser im Mund zusammenlaufen. Sie quillt fast über.

      Ich berühre alles. Für mich ist es unfassbar, welche Mühe er sich gegeben hat, die Dinge zu organisieren, an denen ich meine Freude habe. Die Dinge, die mich in den siebten Himmel heben. Gerührt sehe ich ihn an.

      Yanick steht an der Tür und kommt jetzt gemächlich näher.

      »Ich habe es wegen der Farben ausgesucht. Gefällt es dir?«, fragt er und ich kann seine Bescheidenheit kaum glauben. Wegen der Farben … das hier ist mein Himmel auf Erden. Nicht nur aufgrund der Farben. Heftig nicke ich und lächele glücklich. Mit meiner Hand forme ich ein Herz.

      »Du bist sicher müde.« Er stellt gerade meinen Koffer neben dem Bett und kommt zu mir und umschließt mich. »Ruh dich etwas aus. Ich besorge uns in der Zwischenzeit eine Kleinigkeit zu Essen. Bin gleich wieder da.«

      Nach einem Kuss löst er sich nur widerwillig und verschwindet durch die Tür, nicht ohne noch einmal lächelnd zu mir zu sehen.

      »Lauf nicht weg!«, grinst er und geht wieder zur Tür. Ich schüttele meinen Kopf und die Tür schließt sich.

      Unschlüssig stehe ich im Raum und sehe mich um. Er hat das ausgesucht. Für mich.

      Ich suche aufgeregt mein Handy und knipse Fotos für Uta. Mit einer Nachricht schicke ich sie ab. Sie schreibt zurück, dass sie sich freut. Wir sollen uns gut erholen.

      Ich öffne das Fenster und blicke in die Dunkelheit hinaus. Viel sehe ich nicht, aber riechen kann ich und atme tief ein.

      Die Ärzte hatten eine Logotherapie verordnet. Sie waren angetan von der Idee, an die Ostsee zu fahren. Die salzhaltige Luft würde mir helfen. Ebenso die Ortsveränderung. Sie rieten mir, meinen Stress zu minimieren. Dabei hatte ich keinen Stress.

      Erst glaubten alle an eine Heiserkeit durch eine Erkältung. Ich war ja den ganzen Freitag nur im Bikini herumgelaufen. Aber mit meinen Bronchien war alles in Ordnung.

      So blieb mir zerknirscht nur die Stimmbänder zu schonen, mich auszuruhen und zu inhalieren. Jetzt eben die Ostsee.

      Ich suche mir aus meiner Tasche den Schreibblock und Stift. Beide lege ich auf dem Couchtisch ab. Dabei fällt mir das Bild von Joris in die Hände. Vorhin hatte ich es zusammengefaltet und in die Handtasche gelegt. Mit dem Stift schreibe ich auf die Vorderseite rechts unten Joris 12.03.2011. Auf die Rückseite vermerke ich: Ella und Yanick mit ihren Kindern . Berufskrankheit.

      Danach